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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.05.1912
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1912-05-31
- Erscheinungsdatum
- 31.05.1912
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- Deutsch
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^ 124, 81. Mai 1S12. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 6663 die Schleuderei so üppig wie in Rußland. Auch Hehlerei und Betrug finden in solchen Handlungen, wo junge Leute von den betreffenden Firmeninhabern einfach dazu verleitet werden, einen sicheren Schlupfwinkel. Um nicht weitschweifig zu wer den, will ich nur einen der vielen Fälle aus meiner Praxis erwähnen: Eine Firma in Riga vcranlatzte eine Reihe junger Fabrikangestcllten, in den dortigen größeren deutschen Buch handlungen Bücher auf gefälschten Briefen zu bestellen, um die so erlangten Exemplare dann weit unter der Hälfte des Laden- Preises für ihre Zwecke anzukaufen. Der Inhaber der Firma selbst ist ein schmutziger Israelit, der bis vor kurzem auf dem Trödelmarkt eine Bllcherbude hatte, jetzt aber in der Stadt drei Läden unterhält, in denen er alte oder sonstige ans dunkeln Wegen erworbene Bücher verkauft. Die Firma hat auch in Leipzig einen Kommissionär. Da wir von außen keinen Schutz erwarten können, gibt es für uns nur einen Weg, das ist der feste Zusammenschluß des gesamten internationalen Buch-, Kunst- und Musiksorti ments in Rußland zu einem festen Verband, der dann auch Verkaufsbedingungen aufstellen könnte, wie sie z. B. in den Ostseeprovinzen bei den bekannten größeren Handlungen schon lange im Gebrauch und auch in anderen Städten des Reiches von den ehrlichen Sortimentern stillschweigend anerkannt sind. Dazu gehört vor allen Dingen eine gemein same Umrechnungstabelle, wie sie der Rigaer Buchhändler verein zusammengestellt hat. Denn die Umrechnung kann nicht zum Kurswert erfolgen, da wir bei der Umrechnung die recht hohen Fracht- und Zollspesen berücksichtigen müssen. Einem solchen Verein wäre es dann auch möglich, korporativ auf die Regierung einzuwirken und in der Reichsduma Gesetze einzureichen, die einer Reorganisation des gesamten Zoll- und Zensnrwcsens die Wege bahnen könnten. Vor allen Dingen aber müßte dafür gesorgt werden, daß die staatlichen Biblio theken veranlaßt werden, ihren Bedarf im Lande zu decken. Viele Tausende von Rubeln wandern heute nach dem Aus lände und werden so dem steuerzahlenden, in Rußland an sässigen Buchhändler entzogen. Dem Verbände wäre es auch möglich, die direkte Lieferung der Verleger und das Rabatt- angcbot seitens des ausländischen Sortiments an das Publi kum mit allen ihm zur Seite stehenden Mitteln zu bekämpfen und so den Boden, auf dem das Sortiment in Rußland steht und der sich zu lockern droht, wieder zu festigen. Schon einige Male habe ich an dieser Stelle einige sta tistische Daten über das Deutschtum in Rußland mitgeteilt und will auch heute das kürzlich bckanntgegebene Resultat der Moskauer Volkszählung hierhersetzen. Moskau hat t 700 OVO Einwohner, von denen nahezu 60 OVO Deutsche sind, also ca. 287» der Gesamtbevölkerung. Das mag es erklärlich machen, daß man in dem alten türme- und kirchenreichen Moskau auf den Straßen, in den Geschäften und Theatern so oft deutsch sprechen hört. Die deutsche Gesellschaft ist in Moskau nicht so isoliert wie in manchen anderen großen Städten des Aus landes. Die gemütliche und breite Natur des Moskowiters teilt sich auch den Deutschen mit, und der Russe betrachtet die alteingesessenen deutschen Familien gern als Eingeborne. Das Leben in Moskau ist überhaupt so anheimelnd und ge mütlich, daß, wenn man einmal auch nur kurze Zeit da gelebt hat, es schwer fällt, darauf zu verzichten. Erzählt man sich doch von dem Münchener Schriftsteller Kurt Aram, daß er an perio discher Schwermut und Langeweile leide, weil er einstmals das große Glück gehabt habe, 3 Wochen in Moskau zu ver bringen. Und nun verzehrt er sich vor Sehnsucht nach ihr, der einzigen Stadt, wo man das Leben nicht als Muß, sondern als köstlich zu genießendes Ding behandelt, wie er sagt. Die Duma hat jetzt wieder ihre Sitzungen begonnen, wo durch das alte und doch ewig neue Thema »Schulfragen« in den Vordergrund gerückt ist. Auf der einen Seite versucht man aufzubauen, während auf der anderen Seite reaktionäre Elemente wieder einreißen. Daß die Herren auch dem Deutsch tum nicht immer wohlgesinnt sind, beweist neuerdings ein Erlaß, der den Schülern des Kadettenkorps freistellt, statt der deutschen die englische Sprache zu erlernen. Dieser Erlaß hat natürlich in den deutschen Zeitungen lebhaften Widerspruch hervorgerufen und einsichtige russische Zeitungen zu Protest- kundgebungen veranlaßt. Bei dem Mangel an wirklich tüchti gen und gut durchgebildeten Pädagogen in den russischen Schulen sucht ein großer Teil der russischen Gesellschaft seine Kinder in die vorzüglich geleiteten deutschen Kirchcnschulen zu schicken, obwohl hier die Unterrichtssprache deutsch ist. Fast in jeder größeren Stadt Rußlands unterhalten die deutschen Gemeinden eigene Schulen. In St. Petersburg besitzen die deutschen Gemeinden Mittelschulen mit Gymnasien, Real schulen, Töchterschulen und eine große Zahl Elementarschulen. Moskau hat zwei große deutsche Kirchenschulcn, Odessa eine, und die Städte Riga, Warschau und Lodz haben eine noch größere Anzahl. Am 7. April feierte das gebildete, fortschrittlich gesinnte Rußland den 100. Geburtstag des auch im Auslände durch seine Erinnerungen bekannten Politikers August Herzen, eines der bemerkenswertesten Männer, die Rußland im 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Sein geistiger und poli- tischer Einfluß war so groß, daß man ihn zeitweilig, ob wohl er immer im Auslande lebte, als Führer der russischen Nation bezeichnen konnte. Schon in frühester Jugend bildete Herzen einen Kreis junger Menschen um sich, in dem man über westeuropäische Freiheitsideen disputierte. Die Polizei, die davon Kenntnis erhielt, ließ die jungen Sünder verbannen, und so kam Herzen nach Perm und dann nach Wjatka. Hier fand er auch seinWeib,das ihmdannspäter untren wurde und sich Georg Herwcgh in die Arme warf. Den hohen Adel der Gesinnung Herzens sieht man daraus, daß er seiner Frau, die er aller dings über alles liebte, verzieh, als sie reuig zu ihm zurück kehrte. In seinen Erinnerungen, die zu den schönsten Dokumen ten der russischen Litertur gehören, fehlt wohl auf Herzens Ver anlassung dieses erschütternde Kapitel, das, wie Turgenjew sagt, mit Tränen und Blut geschrieben ist. Nach achtjähriger Verbannung kehrte Herzen gereift und mit der bestehenden Regierung unzufriedener denn je nach Moskau zurück. Hier war er schriftstellerisch als Philosoph und Belletrist tätig. Im Jahre 1847 verließ er Rußland, das er niemals wieder be treten sollte. Von der westeuropäischen Kultur, der er schon in Rußland skeptisch gegenüberstand, schwer enttäuscht, verließ er das Frankreich der Julirevolution und ging nach Italien, wo er zu Mazzini, Garibaldi und Orstni in engste Beziehungen trat. Auch dort war seines Bleibens nicht, da er erkennen mutzte, daß er eine praktische politische Tätigkeit dort nicht ausüben konnte. Seine Werke »Vom anderen Ufer« und »Briefe aus Italien« hatten ihn in Rußland berühmt gemacht, ihm aber auch die Rückkehr in sein Vater land sür alle Zeiten verlegt. Das Verbot seiner Schriften besieht übrigens zum Teil noch heute. Im Jahre 1853 ging er nach England, wo sein Landhaus in der Nähe von London der Mittelpunkt der Freiheitsmänncr der ganzen Welt wurde. Von hier aus veröffentlichte er seine Schriften gegen die Leib eigenschast »St. Georgitag« und »Das getaufte Eigentum«. Als im Jahre 1855 Alexander II. zur Regierung kam, richtete er in seiner Zeitschrift »Uolarnaja Srvesda« (Nordstern) den herrlichen Brief an Alexander II., in dem er die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Freiheit des Wortes und die Abschaffung der Leibesstrafe forderte. Bald ändert Herzen den Titel »Uolsr- naja. Krvssda« in »Koloirol« (Glocke) und schuf damit ein Organ, das an die Spitze der öffentlichen Meinung Rußlands trat. Trotz der strengsten Zensur fand der »Laloknl« in 8SS»
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