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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 30.04.1927
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- 1927-04-30
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- 30.04.1927
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?<! I00,30. April lS27. Redaktioneller Teil. Dazu ist aber noch ein anderes nötig: sich der feinsten und zartesten Regungen der Seel« nicht zu schämen, das schlummernde Edle ins «Bewußtsein zu heben und damit zur Entfaltung zu bringen, und als ein Buch, das zu solchem erzieht, sei Adalbert Stifters »Nachsommer- genannt, nebenbei di« beste deutsche Prosa und die keuscheste Schreibweise, die sich denken läßt. In unaufdringlichster Weise leitet das Buch zu der Höhe jener, die das Leben überwunden haben und in halkyonischer Ruhe ihr Erdendasein zum Kunstwerk gestalten. Wie schwer dieser Weg dahin ist, wo sich uns «der Sinn unseres Daseins restlos entschleiert, zeigt Jakob Wassermann in seinem »Christian Wahnschaffe«, ein Buch, das durchaus nicht literarisch gewertet werben darf, sondern auf Grund seiner weltanschaulichen Basis, die nicht die von heute, sondern die einer noch sehr fernen Zukunft ist. Wie kaum ein anderes ist es ge eignet, Samenkörner in die empfängliche menschliche Seele zu streuen, die, wenn sie sich entwickeln, den Menschen künftigen Zielen seiner Entwicklung näherbringen. Eng verwandt mit ihm ist Stefan Zweigs Büchlein »Di« Augen des ewigen Bruders-, das nicht weniger einer Erlösung der Seele aus dunkler Haft dient und zur Be sinnung auf das Wesen hinleitet, das wir kaum noch zu erfassen vermögen, ohne das aber unser Leben, mag es äußerlich noch so erfolgreich erscheinen, Schall und Rauch bleibt. Im gleichen Geiste einer Mission zur wahren Menschwerdung steht ihm zur Seite Hermann Hesses »Sidd hariha». Hätten auch nur alle gebildeten Deutschen dieses Werk sich wahr haft zu eigen gemacht, so bedeutete das eine Läuterung unserer vom Krieg und der Nachkriegszeit vergifteten Mentalität, daß die Entwicklung «vielleicht um Jahrhunderte beschleunigt würde. Im Wesen der Lyrik liegt es, daß sie tiefer im Seelischen wurzelt und daß der Dichter im heiligen Dienst der Pricster-Sehcr- schaft Künder des Uberintellektucllen wird. Kein Zweifel, daß an erster Stelle zu nennen ist: Stefan George »Der Stern des Bundes«. Mehr als ein Dichter, mehr als der größte deutsche Lyriker: ein Seher, der sich weit über das Jahrhundert der Widerwelt des Geistigen emporhebt in die wahrhaft geistige Welt, der zu den Müttern dringt und, berührt vom letzten tiefsten Wesen alles Geschehens, auch durch den die Gegenwart umgeben den Schleier dringen darf. Noch vermögen wir Mitlebenden längst nicht zu deuten, was sein prophetisches Wort uns sagt, aber läse der Deutsche täglich nur ztvei Zeilen seines Werkes und dächte, anstatt lediglich an seinen Körper die täglichen b Minuten zu wen den, über diese beiden Berszeilen nach, sein Leben wäre bald er füllt, und seine Seele strahlte eine Kraft aus, an der ein tveiter Kreis von Mitmenschen erstarken könnte, »eh eignes spukgebild das Hirn uns zehrt-. Rainer Mario Rilke, schlecht in dies« vom Fieber der Jnflationsgewinnsucht längst noch nicht geheilte Zeit passend, weil er bI oß ein Dichter und nicht ein Champion der Boxerarena ist, muß ohne Frag« mitgenannt werden unter den 12 Büchern. Man kann freilich im Zweifel sein, welches seiner Bücher man nennen soll, und «wenn die Wahl schließlich auf das »S t u n d c n «b u ch« fällt, so deshalb, weil hier — offensichtlicher als sonstwo — die Seele zum Durchbruch zu «sich selbst gebangt. Uber der Eben« des Intellektuellen schwebend, wissend unwissend verbunden mit «den tiefsten Quellen alles Seins, wissend entschlossen, die Verbindung entwurzelter Zeit und vager Zukunft mit jenem Urgrund sich selbst opfernd darzustellen, erlöst Rilke das Seelische aus der Haft der Verleugnung, von ödestem Zeitalter angesetzte Krusten lösend und den göttlichen Kern in allem Menschlichen für einen neuen Früh ling sreilegend. Im gleichen Sinne Wegbereiter der verkapselten Seele ist Hermann Stehr. Dem Erlösungswillen unserer in allem und jedem — gerade wegen der Freiheiten, die sie sich erlaubt — unfreien Zeit weist er Ziel und Weg, indem er über die von ihm bevorzugt« Darstellung der Unfreiheit aller irdischen Wesen die Unbeschränktheit göttlicher Kraft und Gnade setzt, die unausdenk bar, unfaßbar am Unscheinbarsten' und Schwächsten ihre Macht offenbart, damit das Geheimnis «des Göttlichen in den Brennpunkt seines Gestalte»? stellend. Scheinbar nur ist das Leben seiner Dichtung in den Alltag gestellt! aber angehaucht von dem Ge heimnis des Ewigen, dem gegenüber die.Menschheit erst wieder das stumme Sichbcugen lernen muß, wird er zum Feiertag der Seele, zur Hohen Zeit. Am deutlichsten tritt dies in Erscheinung im »He i l ig« n h o s-, der nichts gemein hat mit dem billigen Mystizismus, der heute so beliebt ist, «weil er mit dem Schleier des Unerforschlichcn in so unvcrpflichtend unterhaltender Weise spielt, daß der seelenträge Leser meint, letzter Erkenntnis näher gekommen zu sein; nein, von Stchrs Buch muß im Tiefsten seiner Seele berührt sein, wer überhaupt die Existenz «einer unmittel baren «Verbindung mit dem Ewigen zu ahnen vermag. Was St«ehr durch eine ins wirkliche Leben gestellte Fabel «darzulun sucht, das hebt der nunmehr 'dahingegangene einzige zeitgenössische Epiker großen Stils Carl SPitteler ins Sym bolische, «die innere Not unserer Zeit im Mythus zu einer höheren Wirklichkeit gestaltend. »Prometheus der Dulder-, sein Epilog und zugleich «sein reifstes Werk, zeigt in der letzten Wirklich keit des Mythischen den Sieg der «Seele als des unser Ichbewußt sein mit «dem höchsten universalen Prinzip Verbindenden über die usurpatorische Macht «des Gewissens, ein Problem also, das ein jeder für sich gelöst haben muß, wenn er über «sich hinausgclangcn will zum Ewigen. Ein Werk, für unsere Zeit geschaffen, aber über «die Zeit hinausweisewd. Unter den tvenigen, deren Geist spürbare Lebenslust «durch dringt und unser aller Denken bewußt-unbewußt beeinflußt, ist keiner «von so mächtigem «Einfluß wie Friedrich Nietzsche und die Persönlichkeit seines Werkes, das uns so sehr beherrscht, daß er bereits in den großen Assimilationsprozeß eingetreten ist, durch den sich «das Volksganze feine Gedanken einlebt. Das gilt vor allem von seinem »Zarathustra-, ohne «den «die Krank heit unserer Zeit nicht zu «verstehen und die Anbahnung neuen Werdens kaum zu «begreifen ist. Er steht «am Anfang einer ganz neuen Wissenschaft, die einem neuen Weltzeitalter eigen sein wird, einer Wissenschaft, die be rufen ist, aus der endlosen Wüste des in sich überstürzenden Massen oufgehäusten Wissens wieder den Weg zu finden zum wahren Sein: Die erschütternde Tragödie «des Erkennenden, die er erlebt, steht als unvergänglicher Meilenstein, der «den Beginn einer großen Wende kündet, in unserer Geistesgeschicht«. Was Nietzsche mit seherischem Blick als Ganzes umfassend deutet, das zeigt in engerem Rahmen und das Einzelne in schärfe rer Linie heraushebend: Edgar Dacqus, «der «den trotz Ab schaffung des Scheiterhaufens in unserer Zeit für unmöglich ge haltenen Mut aufbringt, aus der wissenschaftlichen Orthodoxie herauszutreten, «weil er mit einem höheren Organ des Wissens die Zukunft menschlichen Denkens ahnt, das sich nicht mehr auf die experimentelle Empirie »erlassen mag, und auf höherer Er kenntnisebene — ein wahrer Naturforscher — zur Naturphilo sophie, zur Metaphysik — ein im Abendland längst zur Blasphemie entstellter Begriff — durchdringt, d. h. vor der anmaßenden Ge setzmacherei und dem rechthaberischen Erklärungswilleu unserer heutigen sogenannten Wissenschaft zur tiefen Deutung «des Er lebens gelangt, und so einer Forderung der Seele folgend, die sich bald «schon immer energischer geltend machen wird. Am schönsten zeigt dies «sein letztes Buch »Natur und Seele«, aber da dieses ohne das grundlegend« Werk »Urwelt, Sage und Menschheit- «dem Uneingeweihten kaum bis ins Letzte ver ständlich sein dürste, nennen «wir hier das letztere, -das künftiger Überschau unserer Geistesgeschichte als eine der gewaltigsten Zäsuren deutlicher erkennbar sein wird als uns noch im Geiste versinkender «Epoche Befangenen. Ludwig Kluges ist heute Ausdruck eines eignen Geist bereiches von echt metaphysischem Gepräge, in dem sich die Vor ahnungen eines neuen romantischen Weltgefühls, das das materia listische Nichts von heute abzulösen bestimmt ist, wie in einem kristallenen Becken sammeln. «Seine geistesgeschichtliche «Bedeutung beruht in der Herausstellung «des Eros als einer der bestimmen den Faktoren im Bereich aller Geistigkeit, aller Deutung des Lebens, aller wahren Metaphysik. Sein Buch »Vom kvsmo - gonischenEros- — gewiß keine Familienlektüre — erheischt von jedem Gebildeten, der teilhaben will am Geist neuer Zeit, sich «99
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