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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.08.1896
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- Erscheinungsdatum
- 25.08.1896
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- Deutsch
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wenn er nicht in solchen Zeiten seiner vaterländischen Er regung das Wörtchen »deutsch- braucht und mißbraucht. Er spricht dann mit Emphase von »deutschen- Frauen, »deutschen- Mädchen, »deutschen- Liedern, »deutscher« Kunst. Es ist zu bezweifeln, ob diese Liebhaberei auch nur bei einer einzigen anderen Nation übertroffen wird. Gewiß aber ist, daß bei keinem Volk die Zeitungen so vielfach nach dem natio nalen Namen benannt sind, wie bei uns. Da giebt es Deutsche Zeitung, Deutsche Worte, Deutsche Warte und hundert andere Blätter mit dem deutschen Beinamen. So weit gehen wir nun freilich doch nicht mehr wie in der Klopstock-Zeit, wo (1775) eine Wochenschrift Der alte Deutsche herauskam, oder wie vor hundert Jahren, wo man allerdings Anlaß hatte, Den biedern Deutschen, der in Regensburg herauskam, sich zum Muster zu nehmen. Auch den im vorigen Jahr hundert so häufig gebrauchten Namen Patriot lesen wir selten oder nie auf einer Zeitung der neuern Zeit, und Thusnelda, wie ein 1816 in Crefeld herausgekommenes Unterhaltungs blatt hieß, hat man seither wohl kein Kindlein mehr in der litterarischcn Wochenstube getauft. Aber auch in weniger auffallenden Namen steckt oft ein Stück Patriotismus, wie z. B. in den Titeln Nord und Süd, Vom Fels zum Meer, so rein geographisch sie klingen. Wahrhaft wunderbar er scheint, daß bei dem zeitlichen Zusammenfallen des gesteigerten Nationalgefühls und des Sieges der Wagner'schen Kunst die germanische Mythologie so selten geplündert worden ist bei der Schöpfung von Zeitungstiteln, während man sie doch ganz unverzagt benützte bei den Namen neuer Schiffe. Die germanische Mythologie ist tot und nicht mehr zu erwecken, selbst nicht für Zeitungstitel, ja nicht einmal für Zeitschriften, die der »Folklore- dienen wollen Ja, sogar die klassische Mythologie weicht zusehends aus dem Gedächtnis der Menschen, und die nächste Generation wird schon ein kleines Wörterbuch davon nötig haben, auch wenn sie nur Schillers Gedichte lesen will. Sie hat auch lange genug gedauert. Selbst in den Titeln unserer Zeitschriften können wir die lange Dauer und die fast ausschließliche Herrschaft dieser alten Götterwelt in unserer Litteratur ersehen und ver folgen. Von allen den alten Götternamen, die auf unfern Zeitschriften und Zeitungen Jahrhunderte hindurch als Titel prangten, ist uns fast nur noch der Merkur geblieben und etwa noch die Minerva. Auch die Musen, die noch Fouqus angerufen hatte, weihen weder in ihrer heiligen Gesamtheit, noch als geneigte Einzelne mehr unsere Zeitschriften. Der Name Thalia, dem doch Schiller geopfert, hat all' sein An sehen eingebüßt, seit man beliebt hat, oft gerade die aller zweideutigsten Theater mit diesem Namen zu benennen. Klio? Ja, der Bildhauer kennt sie noch, der sie meißeln muß als Bildsäule für die leere Ecke irgend eines Staatsgebäudes, der Historiker von heute aber will wohl von Quellen, Akten, Berichten etwas wissen, die Muse der Geschichtschreibung hat er verlassen. Nichts mehr will der moderne Mensch wissen von Horen, Propyläen, von Athenäum, von Kalligone, von Attischem Museum, von Apollo, von Phöbus; und doch haben Schiller, Goethe, die Schlegel, Herder, Wieland, A. G. Meißner und H. v. Kleist die genannten Journale gegründet und ge leitet. Das letztgenannte ist wohl so ziemlich auch zeitlich das letzte von den bedeutendem der mit antikem Titel ge schmückten. Es gab freilich später noch eine Eos und eine Charis, eine Hebe und verschiedene Floras, und in den Taschenbücher-Titeln gar wimmelt es von allerlei griechischen und römischen Namen, aber doch war ihre Zeit jetzt ab gelaufen, und Namen für Zeitschriften, wie Libationen (zu Nürnberg in den 1790er Jahren erschienen), oder Hu maniora (1796 in Leipzig herausgekommen) oder gar ?ru-E8U8 boieus (eine Münchener Zeitschrift aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts), oder Der die Welt beleuchtende Diogenes (1742 in Köln bei Schauberg gedruckt), sind in unserm Jahrhundert kaum denkbar. Das 18. Jahrhundert war vielfach ein Zeitalter der Auf klärung, der Vernünftelei, nicht selten auch der Freigeisterei. All das spiegelt sich in Hunderten von Titeln, die für uns zuweilen komisch klingen. Die vernünftigen Tadlerinnen — der ganze Staub der alten Perücke Gottscheds stiegt uns ent gegen, wenn wir solchen Titel lesen. In Altdorf erschien 1765 eine Wochenschrift Macht der Vorurteile; nicht nur hat der früh verstorbene Freund Lessings, Mylius, einen Freigeist herausgegeben, sondern schon 1734 ließ Philippi in Göttingen einen Freidenker ausgehen; Freimütige gab es zu allen Zeiten, auch Kotzebue hat einen geleitet, der viele Jahrgänge dauerte; es gab aber auch ein Archiv für Aufklärung, einen Genius der Zeit. Von Lauban ging der Denker aus, Berlin lieferte den Tugendfreund, und in Erfurt floß — etwas dünn — Die Religion Fast unerschöpflich in auffallenden Titeln sind die Heraus geber jener Hunderte von »moralischen Wochenschriften« ge wesen, wie sie »zum Nutzen und Vergnügen« fast aller Orten im Laufe der Jahrzehnte auftauchten. Sie enthalten vielfach ein geschwätziges Gemisch von Abhandlung und Plauderei, für uns nicht mehr recht lesbar; für ihre Zeit haben sie das unleugbare Verdienst, die Leselust der bürgerlichen Kreise geweckt und unterhalten, ein deutsches Lesepublikum gebildet zu haben. Von England kam die Mode; erst wurden die dort erschienenen Wochenschriften der Addison und Steele über setzt, dann nachgeahmt, so daß es bald verschiedene Zuschauer und Aufseher und Tadler gab. Ihnen folgten dann Wochen blätter wie Der Vernünftler, Die lustige Fama, Die Discursc der Mahlern, so genannt, weil die Beiträge unter der Maske und den Namen alter Maler die Sitten der Zeit schilderten. Es gab ferner Titel wie Menschenfreund, Weltbürger, Ge schmack und Sitten, Die Freunde, Niemand, Die Matrone, Der Druide, Der Freund, Der Hypochondrist, Der Mann ohne Vorurteil, Der Vertraute, Das weibliche Orakel, Diogenes, Der Fremde, Der Gesellige, Die Welt, Der Glückselige, Der Müßige, Manchfaltigkeiten (neue, neueste und allerneueste, von 1770—1783 in Berlin erscheinend). Vergnügte Nachmittage (1758 in Frankfurt bereitet). Der Kenner, Der Schutzgeist, Die Brieftasche, Die Schreibtafel, Der Mann, Die Frau, Der Wirt und die Wirtin, Der Wahrsager. Selbst so krause Titel wie Die witzige Tirolerin, Der Bienenstock, Tapeten, Fidibus, Uhuhu wurden nicht verschmäht, und in Köln kam 1784 gar ein Westfälischer Brockenkorb und 1790 Der Reisende Jncognito heraus. Je länger diese Wochenschriften-Mode währte, um so barocker und gesuchter wurden die Titel, und es gehörte schon ein journalistisches Genie dazu, um immer wieder neue und stark wirkende ausfindig zu machen. Das zeigte insbesondere der geniale Schwabe Wekhrlin mit seinen Chronologen, Paragraphen, seinem Felleisen, Grauen Ungeheuer und den Hyperboräischen Briefen. Manchmal aller dings möchte man bei seinen und anderer Leute guten Titeln in die Worte Lichtenbergs einstimmen, der da einmal gesagt hat: »Ich habe wohl hundert Mal bemerkt und zweifle nicht, daß viele meiner Leser hundert und ein oder zwei Mal bemerkt haben mögen, daß Bücher mit einem sehr einnehmenden, gut erfundenen Titel selten etwas taugen.« Das stimmt oft auch bei Zeitungen und Zeitschriften. Wir streben heute, in unfern Namen und Titeln möglichst kurz und bündig zu sein. Vor 150 Jahren dagegen liebte man, wie in den Büchertiteln so auch in denen der Zeit schriften, die umständlichste Langathmigkeit. Allcrley in einem Sack vorgestelt auf der monatlichen Schaubühne curieuser Gemüther hieß eine in Augsburg zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erschienene Monatsschrift. Der volle Titel des schon erwähnten Litrou88U8 büous lautet: l'. lt. oder Neu-
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