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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.08.1916
- Strukturtyp
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- 1916-08-29
- Erscheinungsdatum
- 29.08.1916
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- Deutsch
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200, 20. August 1916. Redaktioneller Teil. Glaubenszwang, unter dem die Bevölkerung schwer litt, milderte er durch einen geheimen Befehl an die russische Geistlichkeit, bei gemischten Ehen nicht mehr auf dem Reversal zu bestehen, durch dessen Unterschrift sich die Brautleute verpflichten mutzten, kiinftige Kinder im orthodoxen Glauben zu erziehen. Auch den Ritterschaften wurde dieser Befehl zur Kenntnis gebracht; daß er ein geheimer sein mutzte, zeugt davon, daß auch ein Selbst herrscher sich dem Zwange beugen mutz, den seine Umgebung auf ihn ausübt. Die Zensur wurde wieder milder gehandhabt, und der Buchhandel konnte aufblühen. Seine liberale Regie rung begünstigte freilich auch das Wachsen und Erstarken der soge nannten junglettischen Bewegung, die sich schließlich zu einer revolutionären auswachseu konnte. Der tragische Tod dieses hu manen Herrschers brachte wieder neue Unsicherheit in die bal tischen Verhältnisse. Sein Nachfolger Alexander III. hat aus seiner Abneigung gegen alles Deutsche nie ein Hehl gemacht. Er war der erste russische Kaiser, der die Privilegien der Pro vinzen nicht anerkannte. Bald nach seiner Thronbesteigung wurde der Senator Manassein zur Revision nach den Ostseeprovinzen geschickt. In seinem Gefolge befand sich ein Heer von Beamten .nnzweifelhaft schlechtesten Rufes. Der Senator sollte und wollte alles schlecht finden, und es gelang ihm nur zu gut, für seine Berichte die nötigen Unterlagen zu schassen. Russische Agenten durchzogen das Land und wiegelten das besitzlose Volk auf. In den größeren Siädten aber, wie Riga, Mitau, Dorpat, Reval usw., wurden Bureaus errichtet, in denen eine Klage- und Bitt- schriften-Fabrikation im großen betrieben wurde. Jede Insti tution, der Rat der Städte und die Landesbehörden, jeder Guts besitzer oder Verwalter, jeder evangelische Pastor, ja jeder Schul meister, der aus den von den Baltischen Ritterschaften unterhal tenen Lehrer-Seminaren seine Ausbildung erhalten hatte, wur den in diesen Klageschriften der gröbsten Vergehen bezichtigt. Es fanden sich ja Menschen genug, besonders in den überall vorhan denen junglettischen Vereinen, die das Hetzen gegen die Deut schen schon immer mit Lust betrieben hatten, denen es ein« Art Sport wurde, den ihnen verhaßten Deutschen aus guter Deckung heraus einen Schlag zu versetzen. Es kam ja auch gar nicht darauf an, worüber geklagt wurde, die Hauptsache war eben, daß mög lichst viele Klagen vorgebracht wurden, und das war ge lungen. Das Ende dieser Senatoren-Revision ist ja bekannt. Das Schulwesen wurde von Grund aus umgestaltet, die russische Sprache vom ABC an eingeführt, bei den Gerichts-Institutionen die örtlichen Sprachen vollständig ausgeschaltet. Die Geschäfts führung in den Stadt-Verwaltungen, in den geistlichen Behörden durste nur noch russisch erfolgen, di« von den Ritterschaften unter haltenen Ghmnasien und Lehrer-Seminare wurden geschlossen, Firmen- und Straßenschilder mutzten an erster Stelle die russische Bezeichnung tragen, kurz, es trat der energischste Russisizierungs- Versuch ein, den die Regierung jemals unternommen hat. Der geheime Toleranzbefehl Alexanders II. wurde als nicht vorhanden betrachtet, und da im Vertrauen aus diesen Befehl viel fach Kinder aus gemischten Ehen evangelisch getauft und konfir miert worden waren, vielen, nur widerwillig beim orthodoxen Glauben Gebliebenen, das Abendmahl in evangelischen Kirchen gereicht worden war, so ging die Regierung jetzt mit äußerster Schärfe gegen die evangelische Geistlichkeit vor. Fast all« Pastoren kamen in Untersuchung, viele wurden abgesetzt, andere zu Ge fängnisstrafen verurteilt. Man mutz den Mut bewundern, den diese Leute damals unter dem furchtbaren Drucke des Gewissens zwanges bewiesen haben, und man muß darüber erstaunt sein, daß sich noch christliche Jünglinge in ziemlich großer Zahl fanden, die den schweren Beruf eines evangelischen Predigers unter rus sischer Verwaltung auf sich zu nehmen bereit waren. Da das Ende das Werk krönen mutzte, so wurden endlich auch die Universität Dorpat und das baltische Polytechnikum in Riga russifiziert. Aus Dorpat wurde Jurjew, mit Recht, denn zu dem russischen Wechselbalge, der jetzt in der deutschen Stadt grotzge- zogen werden sollte, patzte der alte, berühmte Name nicht mehr. Weil nun infolge der Russifizierung die Zahl der Studierenden bedenklich abnahm, so gewährte man den Zöglingen der russischen geistlichen Seminare, also Leuten mit ganz mangelhafter und höchst «inseitiger Vorbildung, die Erlaubnis, in Dorpat (Jurjew) als vollberechtigte Studenten einzutreten. Dieser unerwünschte Zuwachs trug natürlich nicht dazu bei, das Ansehen der Uni versität zu Heden, denn die geistlichen Seminare sowohl, wie auch die Lehrer-Seminare waren schon längst als Brutstätten des schlimmsten Nihilismus bekannt. Zur höheren Ehre des Slawen tums aber kam es vor allem darauf an, den Charakter der Hoch schule als einer deutschen Bildungsstätte auszutilgen. Das ist auch so ziemlich gelungen, selbst in wissenschaftlicher Hinsicht ist Jurjew nicht mehr mit Dorpat zu vergleichen gewesen. Die alten deutschen Professoren verschwanden einer nach dem andern, die Koryphäen der russischen Wissenschaft aber sträubten sich gegen eine Übersiedelung nach der kleinen deutschen Stadt, sie zogen naturgemäß Petersburg und Moskau vor, und es blieb nichts übrig, als die freiwerdende» Lehrstühle mit kleineren Geistern zu besetzen. Nur die theologische Fakultät war vorläufig nicht angetastet worden. Jetzt, während des Krieges, sollen aber so wohl die Universität Jurjew-Dorpat, wie auch das Rigasche Polytechnikum in vollem Bestände nach Moskau übergcfllhrt wor den sein; nur die Dorpater theologische Fakultät habe man aus- geschieden und in ein besonderes theologisches Seminar umge wandelt. Für den Buchhandel traten mit der Thronbesteigung Alexanders III. auch erschwerende Zensurbestimmungen in Kraft; di« Zahl der verbotenen Bücher wuchs ins Unendliche, und weil keine Listen darüber ausgegeben wurden, so konnte der Buch händler in eine üble Lage geraten. Erst in den letzten Jahren wurden Verzeichnisse der verbotenen und zu modifizierenden Bücher von der Zensurdehörde käuflich abgegeben. In Riga mutzten an zwei Tagen jeder Woche über hundert zum Teil sehr umfangreich^ Bttcherballen von nur drei Zensoren durchgesehen werden; wenn nun bei der dadurch bedingten Hetz arbeit irgend «in verbotenes Buch übersehen worden war, so wurde nicht der Zensor, sondern der Buchhändler verantwortlich gemacht. Als während der Manasselnschen Revision das Buch -Die deutsche Universität Dorpat« bet Brockhaus in Leipzig er schienen war und vermutlich weit« Verbreitung gefunden hatte, wurden in den Rigaschen Buchhandlungen Durchsuchungen nach diesem Buche von einer ael boe gebildeten Kommission veranstaltet. In einigen Buchhandlnngen wurden tatsächlich Exemplare ge funden; da gab es dann auch große Verhandlungen; den In habern der betreffenden Firmen wurden die Pässe abgenommen, so datz sie Riga nicht verlass«» konnten. Der Teilhaber Paap der damaligen Firma Model L Paap, wurde dadurch so aufgeregt, datz er an Verfolgungswahn erkrankte und kurz darauf starb. Die Angelegenheit verlief dann übrigens im Sande. Zur besseren Überwachung der Geschäfte war ein neues Amt, das eines Inspektors der Buchdruckereien und Buchhandlungen, geschaffen worden. Bis auf eine Ausnahme waren diese Beamten zum Gluck ehrenwerte Männer, die ihr Amt nicht dazu benutzten, um den Buchhändlern Unannehmlichkeiten zu bereiten, was ihnen sehr leicht möglich gewesen wäre, weil sie das Recht hatten, nicht nur die vorhandenen Bücherbestände zu untersuchen, sondern auch sich Korrespondenz und Geschäftsbücher vorlegen zu lass«n. Da diese Beamten wußten, datz in den besseren deutschen Buchhand lungen schon im eigenen Interesse auf Anstand und gute Sitte gehalten wurde, und daß keine einzige für revolutionäre, oder auch nur illoyale Propaganda zu haben gewesen wäre, so übten sie ihr unangenehmes Amt mit großer Rücksichtnahme und hoch an zuerkennender Mäßigung aus. Schon vor Ausbruch des japani schen Krieges machten sich Anzeichen beginnender Unruhen bemerk, bar; in den lettischen Kirchen wurden aufreizende Flugblätter verteilt, und der Polizei wurde häufig bewaffneter Widerstand geleistet. Als der deutsche Pastor einer lettischen Gemeinde in Riga sich nach einem solchen Vorfälle zum Gouverneur begab und an ihn die Bitte richtete, der Geistlichkeit zu gestatten, den Gemein den belehrende Vorträge über das Wesen der Sozialdemokratie halten zu dürfen, erklärte dieser Herr: -In Rußland gibt es keine Sozialdemokratie, wenn sich aber eine solche Partei zeigen sollte, so wäre es Sache der Polizei, sie zu bekämpfen, nicht aber der Geistlichkeit«. 1127
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