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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.05.1916
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1916-05-23
- Erscheinungsdatum
- 23.05.1916
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- Deutsch
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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. ^ 118, 23, Mai 1916. Tabak oder Buch? Von Georg Ko rcz ew ski-Wien. Ach, schenken, schenken, könnt' ich immer schenken Und helfen, wo die Not, die Armut haust, »nd braucht' ich nie mein Geld erst zu bedenken, Wo ein Verzweifelter de» Bart sich zaust, lind könnt' ich alle Krämerhälse henken: Pfeffer ln euer» Schlund! und meine Kaust! Liltencron, Poggsred. Liliencron mützle jetzt noch leben! In dieser heiligen Kriegs zeit, in dieser Zeit der alles mitreißenden Begeisterung, des ju gendlichen Kampfesmutes ergrauter Männer, der Zeit, da Jüng linge singend in das feindliche Trommelfeuer hineinstürmen. Welche herrlichen Tage würden dem Dichter der Adjutantenritte, dem Verfasser der Kriegsnovellen Heraufziehen! Sicherlich würde er noch so manches Kriegslied, so manchen Schlachtengesang ge dichtet haben; und manch treffendes Zorneswort gegen eine ge wisse Sorte von Deutschen Und könnt' ich alle Krämcrhälse henken: Pfcsser in euer» Schlund! und meine Kaust! Als ob er vorahnend den Nahrungsmittelwucher hat verdammen wollen, der immer noch blüht und gedeiht und neue Früchte reifen läßt. Die Lieferanten der Geistesnahrung machen da «ine rühmliche Ausnahme, wo selbst die Apotheker sich zu Preis aufschlägen auch auf die ältesten Lagerbestände »gezwungen sehen«. Dem deutschen Buchhändler ist die Pflege der idealen Güter eben derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß er an jene der materiellen Güter gar nicht denkt. In seiner Selbst losigkeit stand er unaufgefordert gleich zu Anfang des Krieges an der Spitze der Liebesgabensammler. Di« als vortrefflich an erkannte Organisation des deutschen Buchhandels, die im Bör- senverein ihren Brennpunkt hat, förderte die Angelegenheit un- gemein: in kurzer Zeit waren für die Krieger des Deutschen Reiches viele Hunderttausende Bücher, Hefte und Broschüren fast ausschließlich von deutschen Verlags- und Sortimentsbuch händlern gestiftet und an die verschiedenen Regimenter über wiesen worden. Glücklicher deutscher Buchhandel, dem es vergönnt war und ist, in so reichem Maße nach dem Dichterwort: Ach, schenken, schenken, könnt' ich immer schenken handeln zu können! Millionen Bände gern und freudig herge geben, ohne zu warten, ob nicht vielleicht ein Teil davon hätte gekauft werden können, wie andere so oft und so eindringlich an- gepriefene Liebesgaben, als da sind: Schokolade, Delikatessen, Zigarren, Zigaretten, Weine, Liköre, Tee usw. Das Publikum kaufte, kaufte so viel und anhaltend, daß zeitweise Schokolade nicht mehr zu bekommen war, daß die schlechtesten Sorten von Zigarren spielend leicht, gefärbte Zuckerwasser so lange als Liköre verkauft wurden (Pfeffer in euer» Schlund! und meine Faust!), bis sie von Amts wegen verboten wurden. Allmählich besann sich der Buchhändler darauf, daß das Publikum ja eigentlich auch Bücher als Liebesgaben ins Feld schicken könnte. Würde dies geschehen, so könnte auch der Buch händler die schwere Zeit der allgemeinen Teuerung etwas besser durchhalten, und schließlich schasst ein gutes Buch doch überall ebensoviel Zerstreuung, Unterhaltung, Vergnügen wie eine schlechte, mittlere oder sogar gute Zigarre. Dieser gegenüber hat das Buch sogar noch den Vorteil, daß cs beim »Konsum« nicht in Rauch und Asche aufgeht, sondern »voll und ganz« bestehen bleibt und so dem Kameraden an der Seite oder jenem, der ihn ablöst, einen noch maligen Genuß bietet. Ein Weihnachtsurlauber 1915 hat mir erzählt, daß jeder österreichische Soldat an der Front vom Regi ment aus täglich fünfzehn Zigaretten erhält. Nimmt man den Preis derwohlfeilsten österreichischenZigarette, der »Memphis«, an, die 5 Heller kostet, so verpasst der einzelne Mann täglich 75 Heller. Freunde der Rechenkunst mögen sich ausrechnen, wieviel Geld somit durch ein Regiment täglich, monatlich und jährlich ver qualmt wird, wieviel von allen im Felde stehenden österreichisch- ungarischen Regimentern und wieviel während des bisherigen Weltkrieges. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß in der! Monarchie die Tabakverarbeitung Monopol des Staates ist und dieser den Regimentern eine Preisermäßigung eingeräumt haben mag, so wird man doch zu beachtenswerten Summen gelangen, die durch den Tabakverbrauch in die Luft gehen. Nun gut, der ^ Soldat im Felde soll sein« gewohnte oder meinetwegen seine unentbehrliche Zigarette nicht missen (obgleich mir enragierte Zigarettenraucher des Zivilstandes gesagt haben, daß sie bei dem jetzt herrschenden nahezu vollkommenen Mangel an Zigaretten in Österreich schließlich auch ohne ihre gewohnten täglichen zwan zig, dreißig Zigaretten leben, normal leben können). Aber der Soldat würde seine Zigarette vielleicht gar nicht entbehren, wenn er ein interessantes Buch lesen könnte. Mein Gott, fortwährend in seiner freien Zeit sich unterhalten, frozzeln oder Witzchen reißen kann man doch auch nicht, wenn man wochenlang im Un terstand liegt und wochenlang Kampfpause ist. Marschiert wird jetzt selten, es ist fast überall Stellungskampf. Hell ists schon am frühen Morgen, jetzt noch eine Stund« früher als vor kurzem, Schnee gibts gar nicht mehr, Regen kommt selten, im Gegen teil, die warme Frühlingrsonne lacht den ganzen Tag vom Him mel herunter, man kann also in seiner freien Zeit, wann immer sie während des lieben langen Tages auch fallen mag, sich irgend wo ein stilles Plätzchen suchen und sein unmittelbar oder auf Um wegen erhaltenes oder entliehenes oder Vorgefundenes Buch mit Vergnügen und Genuß lesen. Und mit Nutzen dazu. So eine Zigarette, was stiftet denn die für einen Nutzen? Freilich, sie vertreibt die Zeit, eine sehr kurze Spanne Zeit allerdings, sie regt die Unterhaltung etwas an, aber lange nicht in dem Maße wie «in gutes Buch. Aber sie schädigt auch! Gerade das Zigarettenrauchen schädigt auf die Dauer das Denkvermögen, insbesondere die Konzentrationsfähigkeit, die Willenskraft und die Gedächtnisstärke. All' diese Funktionen des Gehirns werden augenblicklich in günstigem Sinne beeinflußt, aber nur in eben derselben Art, wie der Alkohol die Leistungsfähigkeit der Muskeln für kurze Zeit steigert, um bald darauf eine umso größere Er schlaffung herbeizuführen. Das wissen alle Bergsteiger, die daher den Alkohol beim Anstieg aufs strengste verurteilen. Von der gleichen Erwägungen hinsichtlich der Gehirntätigkeit geleitet, haben mehrere Staaten der nordamerikanischen Union Gesetze erlassen, die den Verkauf von Zigaretten an Jugendliche (meist bis zu 18 Jahren) unter schwerer Strafe verbieten, und kürzlich habe ich gelesen, daß auch eine Gemeinde Sachsens ein gleiches Verbot für ihren Bezirk erlassen hat. Soviel über die Schäd lichkeit des Zigarettenrauchens. Demgegenüber den Nutzen geeigneter Bücher für Soldaten an der Front oder in der Garnison, für Besatzungstruppen, Ver wundete oder Rekonvaleszenten hervorzuheben, erübrigt sich Wohl. Die Tabakpfeife auf dem Marsche, die Zigarre oder Zigarette bei der Rast werden auch für den Krieger ihren Wert behalten. Aber als Mittel zur Vertreibung der Langeweile, des Grübeln? oder der Kopfhängerei im Stellungskrieg, den wir jetzt haben, in Lazaretten, wo immer eine gute Luft sein soll, ist das Buch bei weitem vorzuziehen. Wenn annähernd soviel Geld für Bücher ausgegeben würde wie für Zigaretten, Zigarren oder Tabak, so würde mit einer Verteilung gewisser, sorgsam ausgewählter Bücher von den Kommandostellen aus sogar eine bestimmende Beeinflussung ganzer Armeen erzielt werden können. Der Wert des Lesens guter Bücher ist im allgemeinen schon so oft geschil dert, ja besungen worden, daß ich mir hier eine Wiederholung er sparen kann. Durch die oben gegebene Unterscheidung verschie dener Soldatengruppen kann gleichzeitig eine Gruppierung der Bücher nach ihrem zweckdienlichen Inhalt gegeben werden. Bei Empfehlung oder Auswahl wird man deshalb an sich oder an andere zuerst die Frage richten müssen, ob gewisse Bücher an Soldaten der Front oder an Lazarette oder dgl. weilergegeben werden können. Die Frage wird auch für jene Stellen in Be tracht kommen, die die Bücherspenden zu verteilen haben. Die Leiter solcher Stellen werden allerdings mit dem Gebotenen bzw. mit den ihnen zugegangenen Büchern vorlieb nehmen müssen, es fei denn, daß irgend «in Gönner, statt an eine Gruppe von Lazaretten 5000 Zigaretten und 2000 Zigarren, zur Abwechslung einmal die ganze Auflage eines berühmten Buches stiften würde. In solchem (Wohl kaum denkbaren!) Falle würden z. B. Lilien-
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