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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.05.1916
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- 1916-05-05
- Erscheinungsdatum
- 05.05.1916
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- Deutsch
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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 103. 5. Mai 1916. über ihren eigenen Daseins- und Entwicklungsgang anfing und ihn so immer mehr in das Gelingen seines Spaßes cinwiegte. Inzwischen war Manschen zum Buchhändler gegenüber ge sprungen und hatte ei» »karmesinrotes« Exemplar (denn s o sollte es sein) des »Faust« erstanden. Verschmitzt lächelnd brachte cs Franz, der Druckerlehrling, seinem Chef, flüsterte ihm die »Herstel lungskosten« von 5 ^ zu. worauf Herr Lupfke mit lauter, sicherer Stimme von der Gnäfrau die außerordentlich geringe Zahlung von 10 -/I erbat. Hocherfreut zahlte die Lcdcrhändlerssrau eu gras aus ihrem vollen Portemonnaie, verzichtete — nicht auf de» Rabatt, aber - ans das Entwickeln, nahm Licbesseric und Faust unter den Arm und rauschte von dannen. Währenddessen öffnete der Lederhändler eu Zros Heinrich Maesecke die eichene Korridortür seiner Bäletaschenwohnung höchstpersönlich zum zweiten Male. Denn schließlich ist es nicht möglich, mit den Möbeln gleich eine Dienerschaft einzustellcn. Dazu gehören Überlegung und Annoncen. Also begrüßte der Hausherr mit der devoten Verbeugung des Schnellbesohlanstalts- mäsecke den darob (ebenfalls zum zweiten Male) etwas verlege, nen Psadfinderjungen Bernhard, ehelichen Sohn des derzeitigen Stellvertretenden Brotkommissionsehrenvorsitzenden Baute. Herr Maesecke hielt es von vornherein gern mit allen Leuten, die irgendwelche Vorsitzende irgendeiner Kriegsbedarfsstellc waren. Dafür hatte er eine ausgezeichnete Spürnase. Bernhard Bauke hatte vor einer guten Stunde zum ersten Male den Klingelknops unter dem schwarz-weiß-rot umrahmten Emailleschitd »Christianus Heinrich Maesecke« gedrückt und war dabei mit dem pochenden Herzen eines Vierzehnjährigen auf das immerhin mögliche Erscheinen eines gleichaltrigen Wuschelköpf- chens gefaßt gewesen. In der dieser Jugend eigenen prächtigen Verwirrung hatte er dann aber die Verbeugungszeremonie des Herrn Maesecke entgegengenommen. bis es ihm gelungen war, den Augenblick, an dem sich die übliche aufrechte Menschengestalt vor ihm wiederhcrgestellt hatte, männlich zu packen und seinen vorzüglich auswendig gelernten Text wenigstens in den Druckstellen »Reichsbuch Woche Soldaten im Schützengraben GebenSieditte « Herrn Maesecke verständlich zu machen. Herrn Maesecke waren darob sofort die kühnsten Gedanken durch den Kopf gejagt; worauf er zusagte. Diese kühnsten Gedanken bestanden darin, daß einmal ja Friede kommen würde und die vielen Millionen Soldaten dann wieder Schuhzeug brauchten; item sei es gut. schon jetzt für sei» außergewöhnlich seines Kavalier-Leder Reklame zu machen. Verkappte Reklame, versteht sich; so: den entsprechenden Gummi stempel ganz zufällig in die Büchergabe drücken. Aber Bücher -! Heinrich Maesecke war lange ratlos vor seinem Bü cherschrank gestanden, den er. gleich vollgepfropft, aus dem Möbelkaushause bezogen hatte. Er hatte ihn noch niemals innen angesehen; nein, ganz gewiß nicht! er war eben kein Bücherwurm; er kannte keines der Bücher, deren jedes seine mit Buntpapier reizvoll überklebte Kartouattrappc neben sich stehen hatte. D a von durfte er also nichts für die Soldaten nehmen, wer konnte denn wissen, ob der Inhalt sein politisches, religiöses oder sonstwie immer hin doch mögliches Denken nicht bloßstellen würde? Nein, Unbe kanntes sortzugcben, dafür war Heinrich Maesecke, Lederhändler cm grvs, noch niemals gewesen. Sollte er Preislisten stiften, mit schönen bunten Bildern! Auch dagegen hatte sich sein feines Gefühl gesträubt. Plötzlich waren ihm seine Schulbücher in die Erinnerung gekommen. Ja. d i« kannte er, immer wieder hatte er sie manchmal in den Feierstunden seiner Besohlanstalt hervorge holt. die deutsche Rechtschreibung wiederholt und schöne Gedichte daraus gelesen. Er hatte diese Selbstunterrichtsmethode mit dem Kult eines Menschen betrieben, der etwas werden will. Nun war e r etwas geworden, also konnten es auch andere werden. Aus der hintersten Ecke des schnceweitzpolierten Küchenschrankes hatte er darauf die Bücher seiner Jugend hervorgcholt und alles, was er fand, vom Rechenbuch bis zur Rechtschreibung mit seinem Gummistempel versehen und sein säuberlich zusammengeschnürt. Dieses Päckchen gab Heinrich Maesecke jetzt dem Pfad- sindcrbuben Bernhard Bauke, der darob vergnügt treppab sprang. 534 Eine Butterkarte bei sich zu haben ist etwas Verführerisches. Also konnte Frau Mathilde Maesecke aus dem Wege von der Pa pierhandlung zur Bäletasche am Kurfürstendamm dem Triebe nicht widerstehen, als hundcrlundfttnszigstes Beharrungsmitglied vor dein Buttergeschäft Johannes Mostrich Aufstellung zu nehmen. Außerdem war es interessant, denn man hörte was aus der Ge gend. Tilde Maesecke bewahrte zwar die Würde ihrer gesell schaftlichen Stellung, sie unterhielt sich aber trotzdem so vortreff lich mit der überaus reizenden Portiersfrau Auguste Klemke (der sie nach der ersten halben Stunde ihre büttene, mit der fünfzacki gen Bürgcrkrone versehene Visitenkarte überreicht hatte), daß sie nach drei weiteren Stunden mit einem Handdruck die Kürze dieser ihr vergönnt gewesenen Zeit aufrichtig bedauerte; worauf Frau Klemke sie für den nächsten Familienkaffee freundlichst einlud. Es war von den beiden Frauen nunmehr erst bemerkt worden, daß der Himmel seine Gießkanne ausschüttctc. Frau Maesecke spürte, wie sich die Haut näßte. Aus der Enge des Gedränges heraus erkundigte sie sich bei dem Schutzmann, ob es regne. Der bestätigte das mit derselben Freundlichkeit, mit der er bisher dem Gespräche der beiden zugehört hatte, worauf Frau Maesecke ihr Viertel Butler umklammerte und den Rückstoß gegen die Nach- drängcnden mit hindenburgscher Energie ausführte. Dabei fiel sowohl der »karmesinrote« Faust wie auch die bromsilberne Liebesserie in Naturfarben unter die Füße des mauerfest stehen den Volkes. An beides dachte Frau Tilde jetzt nicht mehr; ihre Gedanken teilten sich in Regen und Butler. Mathilde Maeseckcn nun noch weiter nachzublicken, wäre aufdringlich, denn sie raffte ihr Kleid mit recht geringer Eleganz und legte sich bald darauf mit einem undelikaten Schnupfen ins Bett. Die Butter war ausberkauft, der »karmesinrote« Faust lag einsam in der Slratzenrinne. Bei jedem Windstoß klappte er auf und wieder zu. Es war, als atme er durch die Blattkiemen die reine Regenluft. Die Bromstlberkarten tanzten noch ein paar mal erregt um ihn herum, dann streckten sie sich aufgeweicht auf den schwimmenden Asphalt; die süßlichen Mädchcnköpfe quollen zur Häßlichkeit. Faust begann zu bluten; die »karmesinrote« Farbe trieb die Gosse entlang; ein Bierwagen quetschte gelblichen Pferdedung über ihn. Es regnete lange. Und immer noch, als der Musketier Kurt Johburg durch diese Straße zum Bahnhof ging. Er war feld marschmäßig und fuhr wieder zur Front. Der Abschied zu Haus war bitter gewesen. Es war anders, als in den Tagen der Mo- bilmachung. an denen die Begeisterung emporloderte. Das fühlte Curt Johburg in seinem einfachen Arbeiterkopfe. Es war schwer, aber es mutz fein. Und damit pfiff er. sich selbst unbe merkt. schon wieder ein soldatisches Marschlied. Die Straße war leer, nur der Regen lief über sie. Das Buch der Mathilde Maesecke rührte sich nicht mehr. Kurt Johburg fand es, wischte es ab und steckte es zu sich; der Regen hatte es grau gewaschen. Im Wilnaer Zug lärmten die Soldaten. Es gab viel zu er zählen von zuhause. Kurt Johburg plauderte immer wieder von seinen drei Buben und dem Mädel in den Windeln. So ging die Zeit um. Der graue Faust wandelte im Schützengraben von Hand zu Hand. Einmal legte er noch ein rotes Kleid an. Da lag er wie eine leuchtende Koralle im Spitztrichter der feindlichen Spren gung. über die Frau Maesecke zwischen der zweiten und dritten Bulterbemme beim Frühkaffee nächsten Tages gelangweilt h!n- wcglas. Der Pfadfindersoldat Bernhard Bauke brachte dem Leder händler <>n gras Heinrich Maesecke ungefähr zur gleichen Zeit die »freundlichst gespendeten« Schulbücher als »leider nicht geeignet« zurück. Er war froh, als diesmal Herr Maesecke nicht persön lich durch den Tllrspalt guckte. Inzwischen war nämlich das Dienstpersonal »ankaschiert« worden; auf welchen Ausdruck Herr Maeseke besonderen Wert legte.
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