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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.01.1916
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- 1916-01-10
- Erscheinungsdatum
- 10.01.1916
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Redaktioneller Teil. ^ 6, 1». Januar 1918. wir .Holz haben, so geht Fritze los, und todsicher bringt er etwas mit. Neulich kam er mit einem großen Balken an, den er selbst kaum tragen konnte. Wo er ihn aufgegabelt hatte, wollte er nicht bcrraten, er erzählte nur, daß er ihn über eine Hecke hätte balan cieren müssen, und daß er dabei auf der andern Seite der Hecke in einen Misthaufen gefallen sei. Er sah auch ganz danach aus. Einen Kochherd hat er uns auch besorgt. Abends sitzen wir um den Herd und erzählen von der Heimat, von Reisen und Aben teuern, träumen von den Lieben zuhause und machen große Zu- kunftsplänc. Die Kerzen brennen und hüllen den Raum in Halb dunkel, einer erzählt gerade von Kämpfen und Schlachten, die er mitgemacht hat. Alles lauscht in atemloser Spannung, das Feuer knistert leise, und uns ist, als ob die toten Kameraden aus dem Dunkel herausträten und sich in unserer Mitte niederlieben. Draußen hören wir Tritte. Wir öffnen die Tür und spähen in die Nacht hinaus: Kameraden marschieren vorbei nach vorne in die Schützengräben, singend ziehen sie dem Tode entgegen, ckn. Erinnerungen und Erlebnisse eines Nigaschen Buchhändlers. Von Georg Jonck. (Fortsetzung zu Nr. 3—5.) Die erste Nacht verging leidlich, und wenn wir allein ge blieben wären, so hätten wir uns auch alle verhältnismäßig Wohl gefühlt. Leider erfuhren wir gleich am nächsten Morgen eine unliebsame Überraschung — unsere Kammer wurde mit wei teren acht Mann belegt. Was waren da aber für Kerle darunter! Zuerst drei Strolche, wie sie ein Bewohner Deutschlands sich gar nicht vorstellen kann. Der eine von ihnen sah aus wie ein Gorilla. Unter der stark zurückliegenden Stirn schmale, grau gelbe, tückische Augen, mit denen er niemanden ansah, überhän gende Helle Branen, übermäßig entwickelte Kinnbacken, lange Arme, die in keinem Verhältnis zu seiner Körpergröße standen, in Lumpen gekleidet, so war er der geborene Verbrecher. Die Gefangenen sind meist sehr offenherzig unter ihresgleichen, und so erzählte auch er allerlei von seinen Heldentaten, die zu seinem großen Leidwesen bisher nur aus raffiniert durchgeführten Dieb stählen bestanden hatten. Sein Ideal waren die Kettengefan- genen. Wenn er jetzt freikäme, prahlte er, würde es seine erste Sorge sein, irgendwie ein paar Menschen totzuschiagen, damit er auch zu dieser Elitcgesellschaft käme, die für ihn eben aus »Helden- bestand. Und mit solch einem Kerl sollten wir aus einer Schüssel essen. Seine beiden Genossen waren schweig samer, aber seiner würdig. Dann waren da noch zwei Juden aus dem Kiewschen Gouvernement, die wohl das Abstoßendste darstellien, was selbst ein Bewohner der westlichen Provinzen Rußlands, der doch an allerlei Juden-Phhsiognomien gewöhnt ist, sich kaum ausmalen kann. So etwas von Roheit im Ausdruck findet man bei den Juden selten. Mit besonderem Haß verfolgten sie ihren Volksgenossen, unfern alten Juden aus Krettingen; obgleich dieser auch sehr zungenfertig war, konnte er sich mit ihnen im Worikampf nicht messen. Alle Juden Rußlands sprechen mit Vorliebe deutsch, eigentlich das sogenannte »Jiddisch«. Es ist das ein Mischmasch von schlechtem Deutsch, mit hebräischen, russischen und polnischen Wörtern, aber doch einigermaßen verständlich, wenn man sich an die östliche Aussprache gewöhnt hat. Unser alter Krettinger durch lebte schwere Stunden; wenn er sich gar nicht mehr zu helfen wußte, stellte er sich in eine Ecke, nahm seinen Gebetriemen vor, und dann kümmerte er sich nicht mehr um seine Umgebung. Wie oft habe ich ihm gesagt, er möge sich doch gar nicht um die schlechten Kerle kümmern und sich gleich bei Beginn der Quäle reien in seine Ecke stellen; dazu konnte er sich aber nicht ent schließen. Als die Geschichte gar zu arg wurde und Tätlich keiten drohten, als man anfing, ihn und seine Lagerstätte mit Wasser zu begießen, da nahm sich der Oberlehrer die Leute vor und erklärte ihnen, wenn sie jetzt nicht aufhörtcn, würde er sie bei der Gefängnisverwaliung anzeigen und dafür Sorge tragen, daß man sic in den Karzer stecke. Nun trat leidliche Ruhe ein. Ferner war noch ein Kleinrusse zu uns gekommen, ein hüb scher Mann mit dunklen Locken und wallendem Bart, ein Po- 22 Mischer, der schon zum zweiten Male den Weg nach Sibirien machte. Das erstemal war er im Jahre 1995 während der großen russischen Revolution verschickt worden, jetzt nach Ausbruch des Krieges wurde er vorsichtshalber mit Tausenden seiner Gesin nungsgenossen wieder festgenommen und nach Sibirien auf den Weg gebracht. Später kam ich noch mit einer großen Anzahl dieser Leute zusammen. Ein junges reichsdeutsches Bürschchen aus Riga, kaum 18 Jahre alt, dessen Vater russischer Untertan ge worden war, vervollständigte die interessante Sammlung von Schicksalsgenossen. Unsere Haupisorge war jetzt: Würden wir noch vor Schluß der Schiffahrt auf dem Tobol in Tjumen ankommen? Wir waren noch sehr naiv, glaubten wir doch, daß man uns in Toboisk mit großer Sehnsucht erwarte. Es vergingen einige Tage, die wir in diesem überfüllten Raume zubringen mußten; wir beschwerten uns bei der Inspek tion, es hieß aber, eine Änderung sei nicht möglich, das Gefängnis sei für höchstens 590 Häftlinge eingerichtet und cs feien gegen wärtig schon mehr als 909 darin. Herr v. S. gab aber keine Ruhe, er erbat eine Unterredung mit dem Direktor, die ihm auch gewährt wurde. Ganz glücklich kam er zurück, der Herr habe ihn sehr nett behandelt, sich sehr genau nach den Verhältnissen in den Ostsecprovinzen erkundigt, woraus hervorzugehen scheine, daß er entweder daher stamme, oder wenigstens dort gelebt habe. Er hätte versprochen, ihn und mich mit dem nächsten Transport nach Jekaterinburg zu schicken, und bedauert, daß er nicht mehr für uns tun könne. Es fehle namentlich an Konvoi-Soldaten, weil zu viele und zu große Transporte unterwegs seien. Richtig, am nächsten Tage schon, gleich nach 12 Uhr mittags, wurden wir beide mit unserem Gepäck herausbefohlen, die Reise sollte weiiergehen. Im Untersuchungsraume wurden uns sogar Stühle angeboten, unsere Sachen und wir selbst wurden gar nicht untersucht, und als es zum Abmarsch ging, sahen wir zu unserer freudigen Überraschung, daß ein sauberer Taranias für uns bereit stand. So angenehm waren wir noch aus keinem Gefängnis ent lassen worden. Die Soldaten schienen ebenfalls instruiert zu sein; der Gefangenen-Waggon stand fast einen Kilometer weit vom Bahnhof entfernt, aber die zwei Soldaten, die mich dorthin füh - ren mußten, gestatteten nicht nur, daß mich Herr v. S. unterstützte, sondern ermahnten mich wiederholt, ich möge mir Zeit lassen, denn wir hätten gar keine Eile. Das war freilich richtig, denn vor 6 Uhr waren wir auf dem Bahnhof, aber erst nach 10 Uhr ging unser Zug ab. Der Waggon, der uns aufnahm, war ein ganz altes, klapp riges Ding mit ganz kurzen Bänken. Da alles sehr eng war, — wir mußten immer zu zweien auf einer Bank sitzen —, so war an Schlaf nicht zu denken, und als wir in Jekaterinburg ankamen, etwa am nächsten Mittag, waren wir wie erlöst. Der Weg zum Gefängnis war schrecklich weit und holprig, die Fahrt dahin für mich demnach eine gelinde Tortur, aber Herr v. S., der sich schon in Tula die Erlaubnis erwirkt hatte, jede Fahrgelegenheit be nutzen zu dürfen, hatte sich mittlerweile eine anerkennenswerte Geschicklichkeit erworben für mich einen leidlich bequemen Sitz hcrzurichien, auch verstand er es, mich mit großer Vir tuosität auf den Wagen zu schwenken, so daß ich nur wenig Schmerz dabei empfand. Das Gefängnis in Jekaterinburg ist ein uralter Bau, unsäg lich schmutzig in den inneren Räumen und macht einen geradezu ekelhaften Eindruck. Herr v. S. verstand es aber doch wieder, eine leidlich saubere Stube für uns zu erlangen. Der Raum war groß und beherbergte schon acht Gefangene. Sieben davon waren »Politische« aus Petersburg, die an der sozialistischen Presse tätig gewesen waren. Darunter befand sich ein Este, aus Reval ge bürtig, der auf Lebenszeit ins Jrkutsksche Gouvernement ver bannt war. Dieser mußte Gefängniskleider tragen. Die übrigen, aus 2—4 Jahre nach demselben Gouvernement verurteilt, waren in ihrer bürgerlichen Kleidung. Ein ganz junges Siudentchen, noch in seiner Studenten-Uniform, tat mir besonders leid, er schien aus guter Familie zu sein und war jetzt, nach menschlichem Ermessen für immer, aus seiner Bahn geworfen und einem dun keln Schicksal verfallen. Diese sieben führten gemeinsame Wirtschaft und rühmten sich,
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