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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.01.1916
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1916-01-10
- Erscheinungsdatum
- 10.01.1916
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- Deutsch
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6, 10. Januar 1910. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. untereinander ein ideal kommunistisches Leben zu führen. Einer von ihnen verteilte den Zucker zum Tee und etwaiges Zubrot mit peinlichster Gewissenhaftigkeit. Sie hatten keinen geschnittenen Würfelzucker, sondern mit dem Hammer zerschlagene Stücke, und es war lustig anzusehen, wie der Wirtschafter bei dem einen Häuf chen ein Stückchen abbiß, um es einem anderen anzugliedern, da mit ja keiner bevorzugt würde. Auf meine Frage, ob denn die sozialistische Weltordnung eine so ängstliche Genauigkeit verlange, hieß es, man müsse sehr vorsichtig sein, damit sich niemand benach teiligt fühle. Mein Kopsschütleln wurde für Bewunderung ge halten. Hier bemerkte ich zum ersten Male, wie sehr die »Poli tischen« zusammenhalten. Das Gefängnis war mit ihnen über füllt, aber sie blieben auch in den getrennten Zellen miteinander in Verbindung. Das niedere Gefängnispersonal besorgte Briefe — bisweilen in Brot eingeschlossen — und Lebensmittel aus einer Zelle in die andere. Mir schien, als ob man es mit dieser fest zusammenhängenden Masse nicht verderben wolle und ihr deshalb ein besonderes Entgegenkommen beweise. Sogar die russischen Extra-Telegramme vom Kriegsschauplatz wurden in unsere Zelle gebracht und von einem der Petersburger vorgelesen. Es war da mals gerade zur Zeit, als die Deutschen zum ersten Male vor Warschau waren, und ich glaubte, es würde sich auch unter diesen Ausgestoßenen eine patriotische Bewegung geltend machen. Das war aber nicht der Fall; der Krieg als solcher war ihnen ziemlich gleichgültig, für sie war die große Frage, was würde nach dem Kriege in Rußland Vorgehen, und unter diesem Gesichtspunkte wäre ihnen ein Sieg der russischen Waffen gar nicht erwünscht ge wesen. Trotzdem war aber doch ein gewisser Deutschenhaß vorhan den, und er richtete sich merkwürdigerweise hauptsächlich gegen unseren Kaiser, den man als eigentlichen Urheber des Krieges be trachtete. Er sollte in einer Ansprache an das Volk in Berlin ge sagt haben: »Unser alter Gott lebt noch, er wird uns nicht verlassen«, das erregte Spott und Gelächter, Kaiser Wilhelm be anspruche für sich einen eigenen Gott. Ich erklärte ihnen, daß dieses Wort in Deutschland viel angewandt werde, dem deutschen Empfinden entspreche und durchaus keine Überhebung bedeute. Im allgemeinen vertrugen wir uns recht gut, nur Herr v. S. hatte lange Disputationen mit dem Esten über die baltischen Agrarverhältnisse. Dieser Este offenbarte einen fanatischen Haß gegen die baltischen Barone, denen er sogar seine Verurteilung zuschrieb, obgleich gerade ihm, als einzigem von uns, sein aller dings schweres Urteil in einem ordentlichen Verfahren vor einem Militärgericht in Petersburg gesprochen worden war. Was für ein Verbrechen ihn eigentlich auf die Anklagebank geführt hatte, verriet er nicht. Hier fand auch einmal eine Revision durch den Gouverne- mcnts-Gefängnis-Jnspektor aus Perm statt, die aber für uns von keiner Bedeutung war. Von Interesse war uns nur eine Be- merkung dieses Herrn zu dem Chef unseres Gefängnisses, daß überall und in allen Gefängnissen eine unerhörte llberfüllung herrsche, die eine leidliche Unterbringung der Gefangenen kaum möglich mache. An diesem Tage erhielten wir aber eine kräftige Suppe, in der reichlich Stücke von Lunge, Leber und sonstigen minderwertigen Teilen des Rindes vorhanden waren. Am Sonnabend, den 17. Oktober sollten wir alle weiterbe, fördert werden, es stellte sich aber heraus, daß nur ein Gefangenen- Waggon zur Verfügung stand, deshalb mußten unsere »Poli tischen«, die schon ihre Sachen gepackt hatten, Zurückbleiben, ob gleich sie dringend um Weiterbeförderung baten. Der Chef wäre sie wohl auch gern losgeworden, denn er machte sogar dem Unter offizier des Konvois den Vorschlag, einen gewöhnlichen Waggon dritter Klasse zu Hilfe zu nehmen. Der lehnte es aber ab mit dem Hinweise auf die geringe Zahl seiner Soldaten, die nicht aus reichten, um eine genügende Bewachung des Transports zu »er- bürgen. An das fortwährende Durchsuchen unseres Gepäcks und un serer Personen waren wir jetzt schon gewöhnt, und das Ent würdigende dieser Behandlung fühlten wir kaum noch. In Tjumen kamen wir am Sonntag nachmittag an. Das Gefängnis liegt gar nicht weit vom Bahnhof, die Sonne schien trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit recht warm, und auch der Gefängnishof machte im Hellen Sonnenlichte einen ganz freund- lichen Eindruck. Als ich mich beim Namensaufruf meldete, rief mir der Gehilfe des Inspektors entgegen: Ihre Tochter war hier und hat einen Pelz und verschiedene Sachen für Sie abgegeben. Diese Worte wirkten ordentlich erlösend auf mich, waren sie doch wie ein erstes Aufleuchten in tiefdunkler Schicksalzzeit. Ich bat um nähere Mitteilungen, der Herr schien aber nichts weiter zu wissen. Die Untersuchung, welche unter freiem Himmel stattfand, wurde sehr energisch bewerkstelligt. Die Kcttengcfangenen wur den sogar ganz nackt ausgezogen, die meisten übrigen mußten sich bis aufs Hemd entblößen und auch ihre Stiefel ausziehen. Mich selbst behandelte man ziemlich glimpflich, nahm mir aber doch meine Medizin, die ich in Samara erhalten hatte, weg, und sogar mein Luftkissen, das ich meiner Jschiasschmerzen wegen sehr nötig brauchte, behielt man zurück. Sieben »Politische« aus Kiew, bis aus einen ehemaligen Offizier alles Studenten, und wir vier Deutschsprcchende bekamen in einem Seitenflügel des Ge fängnisses, einem uralten Holzbau, eine sehr geräumige, zu ebener Erde gelegene Zelle angewiesen. Es gab da sogar eine Art Vor flur, in dem die beiden Kübel tagsüber standen, nachts wurden sie freilich in unsere Zelle gebracht, denn die Tür zum Vorflur wurde dann abgeschlossen. Die Kammer hatte tatsächlich viele Vorzüge, sie war geräu- mig und bot durch zwei oben angebrachte Löcher in der Wand, sowie durch drei recht große Fenster ausreichende Lüftungsmög lichkeit, aber sie hatte auch einen recht unangenehmen übclstand. Am Abend kamen nämlich eine Menge großer Ratten auf Besuch zu uns und untersuchten unsere Brot- und sonstigen Speisevor räte. Wir waren schließlich gezwungen, alles Genießbare an schon vorhandenen Nägeln in den Deckenbalken aufzuhängen, denn die Pritschen, auf denen wir schliefen und die sehr hoch angebracht waren, boten ihrer turnerischen Gewandtheit kein Hindernis. Strohsäcke wurden nicht verabfolgt, auch meinen Pelz und die übrigen für mich abgegebenen Sachen erhielt ich nicht. Meine Bitten waren erfolglos, denn es hieß, meine Tochter habe eine Quittung über die Sachen verlangt, und man könne sie mir nicht eher herausgeben, bevor ich nicht die Quittung beigebracht, bzw. zurückgeliefert hätte. Was konnte ich nun hierbei tun? Ich wußte ja nicht einmal, wo meine Tochter sich aushielt. Da kam mir Hilfe von einer Seite, an die ich gar nicht hätte denken können. » Meine Frau und Tochter waren, nachdem sic meine Sachen im Tjumener Gefängnis abgegeben hatten, mit dem letzten Dampfer vor Schluß der Schisfahrt nach Tobolsk gefahren. Dort hatten sie zufällig bei ihren Besuchen in den Behörden die Be kanntschaft des deutschen Konsuls aus Omsk, des Herrn Oskar Nolte, gemacht, der ebenfalls mit seinen beiden Brüdern nach Tobolsk verbannt war. Dieser energische Herr nahm sich ihrer mit besonderer Tatkraft an. Wenige Tage nachher erhielt er den Be fehl, sich sofort nach Petersburg zu begeben, von dort aus würde er als Konsul nach Deutschland entlassen werden. In Tjumen machte er den Versuch, mich zu sprechen, leider war das nicht möglich, weil kein Besuchstag war, er erfuhr aber von dem Di rektor die Angelegenheit mit der Quittung. Sofort telegraphierte er an meine Frau, die Quittung wurde eingeschickt, und ich erhielt nach achttägigem Aufenthalt in Tjumen meine Sachen, darunter ein Paar hohe Filzstiefel für die Schlittenfahrt nach Tobolsk und bei dieser Gelegenheit von dem freundlichen Aufseher auch für mich und Herrn v. S. zwei saubere Strohsäcke. An demselben Abend wurde mir auch noch mein Luftkissen, das ich schmerzlich vermißt hatte, wiedergegeben. Am nächsten Tage, Sonntag mit tag erfuhr ich noch eine angenehme Überraschung: mir wurde nämlich ein großes Paket mit Lebensmitteln, Tee, Zucker, But ter, Keks usw., übergeben, das meine Tochter bei ihrer Anwesen heit für mich zurückgelassen hatte. Das war Hilfe in der Not, denn wir halten gar nichts mehr und waren ganz auf die ekelhafte Ge fängniskost angewiesen. Zu meiner Freude konnte ich auch an deren davon Mitteilen. Unsere Gesellschaft war inzwischen sehr groß geworden, un sere Letten waren eingetroffen, der Oberlehrer aus Kiew, Herr W. aus Uman, der Kleinrusse aus Bessarabien und eine ganze An- 23
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