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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.09.1908
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 04.09.1908
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- Deutsch
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9338 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 206, 4. September 1908. Deutsche Kunsterziehung. Im Aufträge des deutschen Landcsausschusses für den dritten Internationalen Kongreß zur Förderung des Zeichen- und Kunst unterrichts (London 1808) wurde soeben eine Schrift unter obigem Titel im Verlage von B. G. Teubner in Leipzig veröffentlicht, die einen Merkstetn bildet für die viel erörterte Frage der Jugend erziehung zur Kunst. Sie umfaßt die folgenden Beiträge einer Reihe von Männern, die wohl berufen sind, die richtigen Wege auf diesem Gebiete zu suchen und zu finden: Zeichenunterricht, von Geheimen Regierungsrat vr. Ludwig Pallat (Berlin), — Die Ent wicklung der zeichnerischen Begabung, von Studienrat vr. G. Kerschensteiner (München), — Handarbeit und Kunst, von vr. Peter Jessen, Direktor am Kgl. Kunstgewerbe-Museum (Berlin), — Das deutsche Bilderbuch, von vr. G. Pauli, Direktor der Kunsthalle (Bremen), — Das Wandbild in der Schule, von Maler P. Hermann (Dresden), — Junge Kräfte, von Lehrer Carl Götze (Hamburg), — Die Entwickelung der deutschen Kunstmuseen, von Professor vr. Lichtwark, Direktor der Kunsthalle (Hamburg). Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts wollte es scheinen, als habe man ganz plötzlich in den Kindern bis herab zu den ersten schulpflichtigen Jahrgängen eitel künstlerische Talente ent deckt. Man stellte Zeichnungen von Kindern aus, die von diesen frei nach dem Gedächtnis oder nach der Natur ausgeführt waren oder dafür gehalten wurden. Der Unbefangene konnte glauben, das seien Durchschnittsleistungen, während es sorgsam in langer Zeit ausgeführte Arbeiten ausnahmsweise begabter Kinder waren. Sie wurden so laut gepriesen, daß es schien, die Kinder kämen allesamt als Künstler zur Welt und seien bisher durch unklugen Zeichenunterricht nur gehemmt und irregeführt worden. Fast er weckte es den Eindruck, die Rollen seien vertauscht, und die Er wachsenen müßten nun emsig bei den Kindern in die Zeichenschule gehen, um ebenso tüchtige Künstler zu werden. Viele Eltern, die in ihrer Jugend über das Stricheziehen und Vorlagenkopieren nicht hinausgekommen waren, gaben sich dem Entzücken hin über die vermeintlichen Talente ihrer Kinder; aber auch mancher Kunst schriftsteller konnte sich kaum genug tun im Lobe der künstlerischen Anlagen, die in vielen Kindern schlummern sollten. In den zehn bis fünfzehn Jahren, die inzwischen ins Land gegangen sind, hätten aus den damals 6-—14jährigen Kindern eigentlich ungezählte Scharen von Künstlern und Künstlerinnen sich entwickeln müssen — das ist nicht geschehen. Die Zeichen lehrer haben das am besten und frühesten gespürt; die jüngeren, die bereits auf Grund der nach und nach eingesührten rationelleren Lehrpläne des Zeichenunterrichts ausgebildet sind, und auch die meisten älteren haben Erkenntnis und Hochachtung genug der wahren Kunst gegenüber, als daß sie ihre Zöglinge in Über schätzung ihrer Leistungen bestärken könnten. Mit Freude ist eS zu begrüßen, daß seit dem Jahre 1900 das Zeichnen nach der Natur und aus dem Gedächtnis den wesent lichen Inhalt der meisten in Deutschland zur Einführung ge langten Lehrpläne für das Freihandzeichnen bildet. Hamburg gebührt die Ehre, dazu die erste Anregung gegeben zu haben, und vtelenorts ist jetzt nur noch der Mangel an entsprechend aus gebildeten Lehrkräften das Hindernis, das der Einführung in allen Volks- und Mittelschulen im Wege steht. Im dreizehnten Jahre beginnt das Arbeiten mit der Farbe, das Malen. In Preußen sängt in den Volksschulen der Zeichenunterricht im zweiten Schuljahre an. In Verbindung mit dem Anschauungs- unterricht wird u. a. in Sachsen schon in den unteren Klassen das sogenannte malende Zeichnen getrieben. Die mannigfachen Vorschläge für die Reform des Zeichen unterrichts im Laufe der letzten zehn Jahre haben vr. Kerschen steiner veranlaßt, innerhalb seines Berufskreises Versuche anzu stellen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie weit diese Vorschläge berechtigt waren. Seine Stellung ermöglichte es ihm, mit dem großen Material von nicht weniger als 58000 Schul kindern des 6. bis 14. Lebensjahres zu arbeiten und so nach dem Gesetz der großen Zahlen einwandfreie Ergebnisse herbei zuführen. Diese riesige Arbeit hat vr. Kerschensteiner durch- gesührt und sich dadurch ein großes Verdienst erworben. Sieben Jahre waren erforderlich. 15 000 von den 58 000 Stadtkindern wurden ohne Rücksicht auf ihre Begabung, wie sie sich in den Schulen beisammen fanden, herausgegriffen und vom Rest die etwa 2300 begabtesten Zeichner systematisch herangezogen. Außer dem wurden die Untersuchungen auch noch auf fünf Dörfer Ober bayerns mit etwa 500 Kindern ausgedehnt. Von den rund 500 000 Zeichnungen hat vr. Kerschensteiner 300 000 für die Unter suchung selbst bearbeitet. Das Ergebnis lohnte die große Mühe: nicht nur die aufgestellten Fragen fanden ihre Lösung, sondern es stellten sich auch ganz unerwartete Ergebnisse ein. vr. Kerschen steiner hat darüber in einem Buche: »Die Entwicklung der zeich nerischen Begabung- (München, Verlag von Carl Gerber) aus führlich berichtet und gegen 1000 Abbildungen als Belege beigefügt. Folgende Fragen kamen zur Erledigung: 1. Wann und wie entwickelt sich im unbeeinflußten Kinde die Fähigkeit und das Bedürfnis, das räumlich Erfaßte im zwei dimensionalen Bilde wiederzugeben? 2. Fällt es den Kindern leichter, nach der Natur oder aus der Vorstellung heraus zu zeichnen? 3. Ist beim Schulkinde Sinn für dekorative Behandlung von Flächen vorhanden, und wie und wann entwickelt er sich? 4. Wie geht die Entwicklung hervorragend zeichnerisch be gabter Kinder vor sich? Hierzu wurden 14 verschiedene Aufgaben für Zeichnen aus dem Gedächtnis, nach der Natur und zum Verzieren von Flächen gestellt. Zur sorgfältigen Durchführung der Aufgaben durch die Kinder wurden die Lehrer eingehend instruiert. Einzelne von den Ergebnissen stehen so sicher fest, daß sie heute schon beim weiteren Ausbau der Lehrpläne als Grundlage benutzt werden können. Insbesondere will man heute durch sie folgendes wissen: 1. Knaben und Mädchen brauchen einen verschiedenen Lehr plan für das Zeichnen, wenigstens an den Volksschulen. 2. Das dekorative Zeichnen ist aus dem Lehrplan der Volks schule nur dann auszuschließen, wenn die Lehrkraft keinen künstlerischen Geschmack hat; die Kinder sind unbedingt reif für diese Aufgabe. 3. Beim dekorativen Zeichnen ist der Pinseltechnik der Vorzug vor jeder anderen Technik zu geben. 4. Der Unterricht im dekorativen Zeichnen führt bei Kindern zu besseren Resultaten, wenn er nicht regelmäßig vom Stili sieren der Naturstudien ausgeht, sondern von den einfachen Elementen der Pinseltechnik. 5. Das Zeichnen nach der Natur kann im allgemeinen nicht vor dem Beginn des zehnten Lebensjahres mit Erfolg als Klassenarbeit eingeführt werden. 6. Wo mit dem systematischen Zeichnen im Klassen - Unterricht früher begonnen wird, da wird es zweckmäßig zunächst aus schließlich als Gedächtniszeichnen mit zwischenliegenden Be sprechungen organisiert. 7. Das Nachahmen von guten graphischen Darstellungen ist wohl vom Klassenunterricht auszuschließen, kann aber un bedingt für häusliche Arbeit empfohlen werden. Im allgemeinen zeichnet das Kind bis zum siebenten Lebens jahre nicht was es sieht, sondern was es vom Gegenstände weiß, ohne Rücksicht aus Formenzusammenhänge und Größenverhältnisse, vr. Kerschensteiner nennt dies die Stufe des Schemas, und zu dieser zählen 98 Prozent aller Knaben und Mädchen jenes Alters. Darauf folgt die Stufe des beginnenden Linien- und Formgefühls, und zwar infolge von Beobachtung und von Nachahmung Vor gefundener Muster. Später verschwindet bei einer Anzahl von Kindern alles Schematische aus der Kinderzeichnung. Die Dar stellung gibt eine mögliche Erscheinungsform des Gegenstandes. Auf der vierten Stufe erst zeigt sich bet Ausschluß alles Schematischen der bewußte Gebrauch von räumlichen Aus drucksmitteln, wie Licht- und Schattenverteilung, Flächen- und Ltnienverkürzung, Überschneidungen usw., um das Räumliche des dargestellten Gegenstandes zum Ausdruck zu bringen. Auf diese Stufe gelangen jedoch nur ganz wenige Kinder aus eigener Kraft; vor dem zehnten Lebensjahre bilden sie eine sehr seltene Ausnahme. Das bewußte perspektivische Darstellen beginnt bei den Knaben vereinzelt etwa mit dem siebenten, bei den Mädchen mit dem neunten Lebensjahre. Erst im zehnten Lebensjahre hat sich bei noch nicht ganz 50 Prozent aller Knaben ein deutliches Gefühl für den perspektivischen
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