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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.12.1915
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- 1915-12-03
- Erscheinungsdatum
- 03.12.1915
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^ 281, 3. Dezember 1915. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dlschn. vuchbandel. zurückschrauben lasse, und daß jedes neue Geschlecht wieder neue und andere Ideale, wieder eine von allem Vorhergegangenen abweichende Gottesanschauung und Verehrung haben müsse. Die das richtig empfanden, mieden nun den Dom und such ten Andacht in der Natur. Die Zweifler meinten gar, die Zeit des Gotteshauses wäre aus immer dahin. Da nun doch einmal die Heiligkeit des Ortes zerstört, wäre es am besten, ihn geschäft lichen Zwecken zugänglich zu machen. Ihnen war jede persön liche oder landeseigentümliche Besonderheit überhaupt zuwider. Sie meinten, daß der Handel das verbindende Glied zwischen allen Völkern des Erdenrunds darstelle und daß im möglichst großen und möglichst leichten Gütererwerb die höchste Glück seligkeit der Menschheit läge. So sollte denn der Tempel zum Sinnbild dieser neuen Gottheit geweiht und zur Börse werden. Die Besten aber hofften aus eine Neugeburt des Glaubens und der Kunst und wollten mit gestaltender Hand in die Ode des verstandesmäßigen Flickwerks den Geist der jungen kommenden Zeit tragen. Doch wurden sie daran durch die immer noch mäch tigen Vertreter der gclchrsamen verknöcherten Weltanschauung verhindert. Mitten in den heftigen Streit der Meinungen wurde plötz lich die Brandfackel des Krieges geworfen. Da zeigte es sich allen, was zu verlieren war. Um das hehre Heiligtum scharten sich die gewappneten Bürger. Die Wut der Feinde bewies es am deutlichsten, daß es sich nicht um ein totes Bauwerk handle, sondern um den Geist, den sie darin vermuteten und den sie fürchteten. Die selbst zerstörerische Art, mit der sich dieser Geist jahrzehntelang selbst verneint, der Kleinmut, der sich der niedergehaltenen Jugend bemächtigt, die falsche Form, mit der die gelehrten Vertreter sich dem Allerweltsgefallen angeglichen hatten, all diese Erscheinungen hatte der Feind als Zeichen der Schwäche angesehen und hoffte nun im plötzlichen Ansturm das teils gefürchtete, teils verhaßte, aber auf jeden Fall unbequeme Volk zu vernichten. Da erhob der Geist seine Schwingen und fand wieder den Weg zu Gott. In dem fürchterlichen Ringen auf Leben und Tod schwuren die einen, nach glücklicher Heimkehr mit all ihren Kräften zum würdigen Schmuck des Gotteshauses beizutragen, die andern, sich nicht mehr dagegen zu stemmen, wenn der Geist der Zeit sich im Höchsten und Wahrsten Ausdruck suche, was die Menschheit bewegt — in der Kunst. Man gelobte sich zu, keine Parteien mehr zu kennen, und dem in Frömmigkeit geeinten Volk schenkte Gott den Sieg. Die Leidensgeschichte des unglücklichen Doms mag meinen geduldigen Lesern unendlich lang vorgekommon sein. Sie ist aber nur kurz, gemessen au dem mehr als tausendjährigen Bestand unserer alten Gotteshäuser, die wir in den wenigen Jahrzehnten unsers Erdenwallens mutwillig ihrer ehrwürdigen Schönheit be raubt sahen. Diese Erzählung soll auch nur ein Gleichnis darstellen: Ähn lich wie um den Gottesgedanken im Laufe der Jahrhunderte der Dom sich wölbte, so ist im gleichen Laus des Weltgeschehens als äußerliches Bild unserer Sprache die Schrift erwachsen. Aus fremder Welt uns überkommen, im Wechsel der Ge schicke immer wieder durch Fremdes beeinflußt, hat sie doch ihre eigene Form gesunden und bisher gegenüber allen Gleich machungsbestrebungen sieghaft behauptet. Zwar können wir auch bei ihr eine Plünderung, eine Ver kümmerung und Verarmung und — als drohendes Unheil — eine gänzliche Vernichtung des Formguts wahrnehmen. Auch hier der Streit zwischen sogenannt wissenschastlichen Vorurteilen für Antiqua einer-, Fraktur andrerseits, auch hier dieHintansetzung der Berufenen, derFormschasfenden, der Künstler, ein gewolltes oder ungewolltes Nichtversteheu der formalen Be dingungen. So verkennt selbst ein Verfechter der Antiquaschrist*) gänz lich dis ihr zugrundeliegende Gesetzmäßigkeit. Sie ist nicht, wie *i Friedrich Soennecken, Bonn, Kölnische Zeitung Nr. 1110 vom 31. Oktober ISIS. er meint, mechanisch und mosaikartig aus vier verschieden großen geraden Linien und ein^m Viertelkreis zusammengesetzt, wie beim kindlichen Spiel, sondern besteht — wenigstens in ihren Großbuchstaben — aus entschieden Richtung gebenden Elementen, der Senkrechten, Wagercchten, Schrägen, sowie der kreisförmigen Bogenlinie und deren Segmenten. Es spiegeln sich in ihr genau die Elemente Wider, die zur Zeit ihrer höchsten Ausbildung, näm lich der römischen Blütezeit, auch die Architektur kannte, der sie als tragende, gelagerte, stützende und wölbende Bauteile dienten. So ist die Antiqua in der Tat eine ausgesprochene Stein schrift, was ja auch ihre Kennzeichnung als »lapidar-deutlich besagt. Wie widersinnig erscheint dem gegenüber wieder das Ver langen der Frakturfreunde, die Inschrift am Giebelfeld des Reichstagsgebäudes in »gotischer« Schrift einzumeißeln. Wendet man doch auch in übertriebener Deutschtümelei die Fraktur auf der Schreibmaschine an, deren sperriger Satz den ihr eigentümlichen Reiz, den geschlossenen Umriß des Wortbildes zerstört und die Schrift geradezu karikiert. Ihre Gegner wiederum, die Antiquafreunde, sprechen von der Fraktur als vom »welschen Plunder«, der »von französischen Mönchen geschaffenen Schrift«.*) Run stellt diese Schrift, die vielleicht insolge politischer Um stände in Nordfrankreich ihre Hochblüte sand, als eine Begleit erscheinung des gotischen Stils fraglos den germanischen Gegen pol gegen die Formenwelt der Antike dar. Sie war übrigens in der ganzen damals bekannten Welt ver breitet, entgegen den Angaben Soenneckens auch in Italien und Spanien. Des weiteren auf die Geschichte der Schrift eiuzugehen ist hier nicht der Platz. Man müßte sie denn, mit Karl dem Großen beginnend, der Reihe nach abhaspeln, was noch weit langatmiger und abstrakter werden dürste als das Märchen vom Dom. So will ich mich nur darauf beschränken, die viel angefeindete Fraktur in Schutz zu nehmen. Sie soll, »system- und regellos zusammengesetzt«, eine »verunstaltete Form der gotischen Schreib schrift« sein**). In Wahrheit hat das, was wir heute so nennen, also der Typ unserer gebräuchlichsten Schwabacher- und Fraktur- schriften, seine vollkommenste Ausbildung in der Blütezeit des Buchdrucks erhalten und ist mit der eigentümlichen Rechtschreibung der deutschen Sprache aufs innigste verwachsen. Ist es denn wirklich ein Fehler, wenn eine Druckschrift aus der Schreibschrift entstanden ist? Solange wir noch schreiben, werden wir rein psychologisch beim Lesen die Zeilen entlang gleitend, unbewußt den Vorgang des Schreibens wiederholen. Sagt der Name es doch schon, daß Schrift von Schreiben kommt. Viel eher könnte man gegen die Antiqua einwenden, daß sie zu einem Teil aus Steinschrift (Majuskeln), zum andern aus Schreibschrift (Minuskeln) zusammengesetzt ist, und daß sich das Widerspruchsvolle dieser beiden Entstehungsarten viel mehr im Deutschen mit seinen großgeschriebenen Hauptwörtern ausprägt als in sämtlichen andern europäischen Sprachen. So ist die noch in Holland für die Volksbibeln gebräuchliche gotische Schrift um Jahrhunderte hinter unserer Fraktur zurück, lange nicht so ausgebildet als diese, braucht es auch gar nicht zu sein, ebenso wie die skandinavischen Sprachen zum Teil sich eher ohne Fraktur behelfen könnten als wir, wenn wir nicht unsere eigentümliche Rechtschreibung mit an den Nagel hängen wollen. In der Verschmelzung ihrer Groß- und Kleinbuchstaben zum Gesamtwortbild ist die Fraktur eben eine höchst einheitliche Leistung. Einheitlicher als die Antiqua, einheitlicher auch als etwa die russische Schrift. Sie ist diesen gegenüber etwas Or ganisches, und das macht wohl ihre Stärke aus und ist die Ur sache, daß sie sich allen Angriffen zum Trotz bisher standhaft be hauptet hat. Das rein gefühlsmäßige Interesse hätte gegenüber schwerwiegenden Nützlichkeitsgründen selbst für unser Volk nicht ausgereicht, so zäh an ihr festzuhalten. Käme es darum nicht einer Verarmung gleich, wenn diese Schrift unterginge? Wie etwa auch das Weltbild verarmte, wenn *> Siegfried Hirth, Münchener Neueste Nachrichten Nr. 2VI vom 21. ^lpril ISIS. 1587
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