1S6, 24. August 1S08. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 8947 Verlag von Egon Fleischet «8c Co., Berlin >V. 9. (A Wir versandten folgendes Rundschreiben: Am 1. Oktober erscheint: Das Kreuz im Venn : Roman von : C. Viebig Mil Buchschmuck und Amschlagzeichnung von Fritz von Wille (Düsseldorf) Geheftet M. 6.— ; gebunden M. 7.50 Prachtexemplar auf Bütten in Leder (numeriert !—50 und von der Verfasserin gezeichnet) M. l5. n ihrem neuen Roman entrollt die Dichterin vor dem Leser ein Koloffalgemälde aus dem Westen, vielleicht bewußt ein Gegenstück zu ihrem erfolgreichen östlichen Kulturroman „Das schlafende Leer". Aber nicht Nationalitäten- gegensätze sind es hier, die aufeinanderstoßen, sondern Weltanschauungen. Die glaubeilsstarke Bevölkerung des einsamen Venndorfs, die erzogen und gewöhnt ist, den Schwerpunkt des Lebens ins Jenseits zu verlegen, steht in scharfem Gegenspiel zu den tatkräftigen Männern einer modernen, aktions- lustigen Zeit, die die Segnungen der Kultur einer zielbewußten Diesseits- Arbeit abzuringen streben. Zwischen beiden bewegt sich die Lauptfigur des gestaltenreichen Romans, Bürgermeister Leykuhlen, dessen Vernunft sich nicht gegen die Stimmen und und Gründe der Neuerer verschließt, dessen Lerz aber von alten Überlieferungen gefesselt, dem Ver stände nicht die Oberherrschaft zu lassen vermag. So wird er, unfrei in sich, nicht zum Retter dieses Landes aus dumpfer, jahrhundertealter Gebundenheit. Llnd was ihn scheitern läßt, macht auch denen den Sieg streitig, die, zwar frei von religiösen und traditionellen Vorurteilen, aber sittlich, politisch und sozial unfrei ihren Weg suchen. Man könnte den Grundgedanken des wundervollen Buches in die kurze Formel fassen: Nur die Arbeit der wahr haft Freien bringt für die Menschheit die goldene Ernte der Wahrheit und Freiheit. So hat sich denn auch die „Gartenlaube" mit der Veröffentlichung dieses Romans, der weit ab vom Genre des Familienblatts liegt, wieder auf die Bahnen begeben, auf denen sie einst „als ein Lort des deutschen Liberalismus galt und von allen reaktionären Elementen gefürchtet und befeindet" wurde. — Der Roman führt neben der großen Zahl meisterlich gezeichneter bäuerlicher Gestalten in ihren täglichen Sorgen und Mühen, in ihrer Tätigkeit als Gemeindevertreter und ihren religiösen Ver richtungen — als geradezu klassisch ist hier die Epi sode der Echternacher Springprozession besonders hervorzuheben — in anschaulichsten Bildern die ganze Umwelt vor: das Kreisstädtchen mit allen Lonoratioren vom Landrat abwärts bis zu der feschen Wirtin des vielbesuchten Gasthofs, den Truppenübungsplatz mit den verschiedensten Offiziers typen, Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen, und das Venn mit der Strafkolonie, die unter ihrem Auf seher die erste Kultivierung der Ödländereien in Angriff nimmt. Es ist bewundernswert, wie der Dichterin Kraft, an der Größe des Stoffs wachsend, in der Vielheit des Geschehens, in der Mannig faltigkeit der Charaktere, in dem innerlichen Reich tum der Landschaftsbilder immer siegreich bleibt. Noch niemals hat sie, deren großes Talent schon sprödeste Stoffe gemeistert hat, mit so souveräner Beherrschung der Technik einem gewaltigen Stoff edlereForm und blühendere Farbe gegeben. Die Ausstattung ist eine sehr sorgfältige und geschmackvolle. Das originelle Titelblatt, das als Rahmen eine der berühmten Lecken, wie sie nur in den Venndörfern Vorkommen, zeigt, ferner das vielfarbige Umschlag- und Einbandbild, eine stim mungsvolle Vennlandschaft darstellend, hat der be deutendste Eifelmaler unserer Zeit, der Düsseldorfer- Fritz von Wille, kongenial der Dichterin, ge- schaffen.