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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.09.1915
- Strukturtyp
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- 1915-09-17
- Erscheinungsdatum
- 17.09.1915
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- Deutsch
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wesen waren, wo sie, maßlos aufgchetzt von ihren Offizieren, wie Wilde gehaust haben. Die bei ihnen noch Vorgefundenen Gegen stände: Damenwäsche, seidene Frauenstrümpfe, bunte Schals, wol- lene Joppen, gestickte Großpapamützen, feine Taschentücher, alles ganz ungebraucht und teilweise noch mit Preiszetteln versehen, bewiesen deutlich genug ihre Plünderungswut. Die Tausende wurden in Kompanien, Züge und Korporal- schaften eingcteilt, in den großen, jedes mehrere Hundert fassenden Zeltbarackcn untergebracht, die ausgebildeten Sanitätsunteroffi- ziere den Ärzten in der Lazarettabteilung zugewiesen und die Teutschsprechenden zu Dolmetschern bestimmt. Das sind nicht so wenige, wie man geneigt sein könnte anzunchmen. In erster Linie die Balten aus den Ostseeprovinzen und Abkömmlinge deut scher, auch österreichischer Familien, die vor hundert oder mehr Jahren nach Rußland ausgewandert sind und sich, meist als Bauern, in Kurland oder Livland, an der Wolga, in Beßarabien oder am Schwarzen Meer angesiedelt haben, wo es jetzt mitten zwischen russischer Bevölkerung noch ganz rcindeutsche Kolonic- dörfer gibt. Sie haben ihre deutsche Art, Gesinnung und Sprache behalten, wenngleich sie politisch einen andern Gesichtskreis als wir haben mögen und die russische Sprache vollkommen, in Einzelsällen besser als die deutsche, beherrschen. Aber das Be wußtsein, einer kulturell höher stehenden Rasse anzugehören, ist lebendig in ihnen und scheint von den Vätern wie etwas Pflicht gemäßes in der Familie wachgehalten zu werden. Ein Beweis dafür ist mir, daß unsere gefangenen Deutschrussen ganz genau wissen, wann ihre Familie ausgewandert ist und in welchem deutschen Ort der ausgewandertc Ahne gelebt hat. Es sind darunter aus Schlesien, Sachsen, Rheinland, Nieder-Osterreich Stammende, Protestanten und Katholiken. Ihre Volkseigenart können sie aus dem Grunde leichter wahren, weil sie sich nicht mit orthodoxen Russen durch Heirat zu mischen Pflegen, sondem un tereinander oder mit Letten heiraten, die germanischen Ursprungs und in der Regel Lutheraner sind. Unsere Deutschrussen machen durchweg einen ausgezeichneten Eindruck. Aufrichtig, zuverlässig, geschickt, fleißig, intelligent, liefern diese an sich einfachen Men schen, die Bauern, Handwerker, Techniker, Fabrikarbeiter sind, den schlagenden Beweis, daß ihre Art das kulturfördernde Ele ment in der ungeheuren, intellektuell bedeutungslosen russischen Volksmasse ist. Eine andere Klasse Deutschsprechender sind die Juden. Ein bewegliches, lebhaftes, diensteifriges, aufdringliches Völkchen. Deutsch schreiben können sie selten, aber sprechen und mauscheln tun sie, so gut sie es zu radebrechen vermögen und nehmen Hände und Füße zu Hilfe, bis man sie versteht. Sie drängen sich zu Dolmetscherdiensten, um dadurch allerlei kleiner Vorteile teil haftig zu werden, und vermitteln, was sie nun einmal nicht lassen können, unter den Mitgefangenen kleine Geschäftchen mit Klei dungsstücken, Tabak, Essen und ähnlichem. Bei ihren echt ortho doxen Kameraden, die überhaupt auf alles nicht »Rechtgläubige« ungemein verächtlich herabsehen, sind sie nicht beliebt, einmal aus Rassegrllnden, dann aber weil man ihnen mißtraut und glaubt, als Dolmetscher würden die Juden, die sie zu ihrem Ärger als Vorgesetzte anerkennen müssen, nicht immer wortgetreu wie dergeben, was sie zu vermitteln haben, sondern auch dabei auf ihren Vorteil bedacht sein. Deshalb ist ihnen schon öfter prophe zeit worden, man würde sie nach ihrer Rückkehr nach Rußland samt und sonders totschlagen. Die Juden sind genau so schmutzig wie ihre echt russischen Kameraden, die an Unsauberkeit geradezu Ungewöhnliches lei sten. Die ganze Gesellschaft war bei ihrer Ankunft so mit Unge ziefer behaftet, wie man es kaum für möglich gehalten hatte. In den sonnenwarmen Tagen nach ihrer Ankunft war es ein Bild von höchster Eigenart, sie reihenweise in der Sonne neben den Zelten hocken zu sehen und sich selbst oder andern die Läuse aus den Haaren, Pelzmützen und -jacken, Strümpfen, ja aus den in timsten Kleidungsstücken mit drehenden und wendenden Fingern suchen zu sehen. Als nach einigen Vorbereitungen die Bade- und Entlausungsanstalt im Gange war, begann die allgemeine Reinigung. Da gab es große Augen. Daß man sich vollständig nackt ausziehen kann, daß es Brausen gibt, 3S in einem Raum, aus denen sauberes heißes Wasser strömt, das man sich über 1274 seinen ganzen Adam laufen läßt, dazu sich auch mit Seife ab reibt; daß es gar große Kessel gibt, in die man Kleiderbündel steckt, die man nach zwei Stunden herausnimmt, um alle Kleiderläuse und Flöhe darin tot zu finden, so etwas hatte ein Russenauge noch niemals gesehen, das konnte ein Russenverstand nur langsam begreifen. Aber auch wir hatten Veranlassung ge nug, die Augen aufzusperren. Hagere, unterernährte Menschen körper, unendlich viel Hautausschläge, die von Krätze und Unge zieferbissen herrührten, Furunkeln an allen Körperteilen, die durch fortwährendes Kratzen mit unsauberen Händen entstanden waren. Und Schmutz, angesichts dessen der Stabsarzt Befehl gab, mindestens 15 Minuten unter den Brausen zu bleiben. Bei manchen genügte auch das nicht, sodatz die diensthabenden Unter- offiziere-das wirksamste Mittel anwendeten: einen Besen zu neh men und Schmutzkruste und Läuse kurzerhand vom Rücken her unterzufegen. Ein echt russisches Kulturbild. Es ist nur zu be fürchten, daß unsere Russen, die jetzt so viel Gelegenheit haben, sich an deutsche Reinlichkeit zu gewöhnen, wenn sie einst nach Hause kommen, sich vor ihren eigenen Frauen und Kindern ekeln werden. Mag cs sein. Für den Frieden ihrer Ehen sind wir schließlich nicht verantwortlich. Den gleichen Eindruck vom Tiefstand ihrer Kultur erhält man, wenn man sie beim Essen beobachtet. Die Magenfrage beherrscht sie ganz, und zwar nur in bezug auf die Menge. Wiederholte Fragen, ob sie Wünsche zu äußern haben, werden immer — darüber wundert man sich garnicht mehr — mit Bitten beant wortet, die auf größere Mengen Essen Hinzielen. Z. B. Milch und Zucker zum schwarzen Frühkafsee, mehr Brot (sie erhalten täglich nicht weniger als gegenwärtig jeder Deutsche), noch eine Schüssel »Sup« mehr. Solche Wünsche können natür lich nicht erfüllt werden, da sie mittags und abends sehr reich lich volle Schüsseln eines ihnen wohlschmeckenden, breiartig zu- bereitcten Gemenges von Fleisch oder Fisch, Kartoffeln, Gemüse oder Hülsenfrüchten erhalten. Die Schmackhaftigkeit der Speisen loben sie mit strahlenden Augen. Sind sie mittags oder abends in schier endlos langer Reihe an den riesigen dampfenden Kübeln vorbeidefiliert und haben ihr reichliches Mahl verzehrt, so sind sie noch lange nicht satt. Zu Dutzenden schleichen sie, den Etz- napf unter dem Arm oder an die Hosenschnalle befestigt, von der Russen- zur Landsturm- und von dieser zur Unteroffizier-Küche, ob nicht irgendwo noch ein Rest zu erbetteln ist. Ein rascher Griff in ein Faß mit Abfällen, und affenartig schnell verschwinden sie mit einer Handvoll Fleisch- oder Gemüseabfällen, ohne daß sie eine Empfindung dafür haben, wie abstoßend solche tierische Gier wirkt. Werden sie koinpanieweise mit Arbeiten beschäftigt, so lassen sie sich gern in Bequemlichkeit gehen. Dagegen loben die Arbeit geber auf dem Lande und in Fabriken sie als willig und brauch bar. Der einzelne Arbeiter, Schuhmacher, Schneider, Schreiner, ist bei der Arbeit für die Kompanie fleißig und geschickt. Die Russen sind auffallend musikalisch. Wenn auch ihre Ge sänge eine uns Deutschen fremdartig anmutende Melodie haben, so kann man sie doch nicht unschön oder gar unmelodiös nennen. ES sind eintönige, sich in Weichen Moll-Akkorden oftmals wieder holende oder ähnelnde Weisen, die sie fast immer mehrstimmig und merkwürdig rein singen, wobei gern eine gewisse Zartheit mit Leidenschaftlichkeit wechselt. Manche Lieder bestehen aus Strophen, die ein Vorsänger allein singt, worauf der Chor mit dem Kehrreim einfällt. Auf dem Marsche zur und von der Ar beitsstätte lassen sie russische Marsch- und Soldatenlieder er klingen, die von weitem sich wie eine Art Geheul anhören und nicht nur in der Melodie, sondern auch in ihrem oft recht zwei deutigen Inhalt nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit den ge mütstiefen, volkstümlichen und ansprechenden Liedern unserer deutschen Soldaten haben. Gegen Abend, wenn die Dunkel heit sich auf das Lager senkt, ertönen aus den Zelten Abcnd- choräle, einförmige, nicht unschön klingende, litaneiartig sich wie derholende Sätze, die sie stehend singen unter oftmaligem Ver neigen und vielfachem Bekreuzigen. Sitzen sie dann noch, bis der Zapfenstreich geblasen wird, rauchend und schwatzend vor den Zelten, so lassen sie sich gern auffordern, heimatliche Lieder zum besten zu geben. Es sind Volks- und Liebeslieder in getragenen Redaktioneller Teil. 216, 17. September 1615.
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