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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.07.1915
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- 1915-07-17
- Erscheinungsdatum
- 17.07.1915
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Redaktioneller Teil. „i? 163, 17. Juli 1915. und nun in trotziger Behaglichkeit die Schwengelnase in die Luft streckt. Zudem liegt er wirklich märkisch-idyllisch in einem Waldtal. Ach ja, unsere Wassernot ist groß, wir find auf das beschränkt, was uns die Küche in abgekochtem Zustande liefert. Zwar gibt es noch Teiche im Walde, aber das Wasser ist durch Tieraas und Unrat so seuchengefährlich, daß wir es vorziehen, uns nicht einmal darin zu waschen. Auch blieb uns schließlich gar keine Zeit zu diesem Komfort. Nur ganz vorn an der Front gibt's klares Trinkwasser. Da steht ein deutscher Brunnen — neben einer Unterstandsküche, die, durch Speckseiten und Fleischborrat erläutert, den treffenden Namen »Villa Sorgensrei« trägt — und erzählt: Den Durst gestillt drei Monat' lang von Schnee und aus den Sümpfen, derweil in diesem unerschlossnen Land keine Pumpe ist zu finden. Nun hat nach langem Suchen und Raten in jetziger neuer Verteidigungslage Unteroffizier Winter diese Quelle entdeckt, deren Wasser — vorzüglich schmeckt. Heil diesem Unteroffizier Winterl Wie oft kamen wir zwischen der Arbeit lechzend zu feiner Pumpe und schlürften das schönste Getränk auf Gottes weitem Russenboden: kristall klares Wasser! Im Walde haben wir einen Kuckuck und ein Käuzchen. Ob es immer dieselben Exemplare sind, können wir natürlich nicht wissen. Aber wir sagen doch: »unser« Kuckuck und »unser« Käuzchen. Wenn wir ausmarschieren, neckt der Kuckuck, und wenn wir zurückkommen, neckt er auch. Und manchmal ruft er uns auch ganz vorn an der Front; dann ist es vielleicht doch so, daß er irgendwem Mitteilen will, wie lange er noch zu leben hat. Aber es weiß nur niemand von uns, wen er meint. Das Käuzchen kann nur lachen, aber so furchtbar lachen, daß es eigentlich mehr Weinen ist. Die russischen Bauern sagen: Der Waldgeist weint über Väterchen; wir sagen: er lacht über die Fehlgranaten. Beides kann wahr sein. Am liebsten haben wir aber den Wald, weil er manchmal so still sein kann, wie wenn Friede wäre Kulturiana. Mit elf Kameraden war ich in der »guten Stube» eines Bauern einquartiert, der irgendwo gegen uns im Felde stehen soll. Lange vor Kriegsausbruch war er zum »Manöver« ein gezogen worden, erzählte mir seine Frau, eine gebürtige Ost preußin, seitdem hatte sie nichts von ihm gehört, er konnte ja nicht einmal schreiben! Die «gute« Stube unterschied sich von einem deutschen Dorfpferdestall nur dadurch, daß sie als einziges Mobiliar eine Reihe von grellbunten Marienbildern auswies, die dicht nebeneinander unter der Decke auf gehängt waren. Sie steckten alle — o Kulturwunder dieses russischen Drecknestes! — fein unter Glas in schwarz poliertem Rahmen. Freilich schien den Russen diese schwarze Politur Wohl doch unheimlich vorgekommen zu sein, denn sie war mit schmutzigen Tapetenstreifen geflissentlich überklebt worden. Da machte ich auch einen kleinen, beinahe buchhänd lerischen Fund. Aus der Ritze eines Deckenbalkens, in der — so ganz nebenbei gesagt — gewaltige Schwaben ihr un gestörtes Quartier hatten, zog ich ein zusammengeknlllltes Papier, das sich beim Entfalten als ein russischer Krtegs- btlderbogen entpuppte. Hui! wie heldhaft ritt die russische Schwadron da in die Bombenklexe, und wie sie auskniffen, diese fast zwerghaften Feldgrauen! da hals's auch nichts, daß die deutschen Offiziere immer feste in die eigenen Truppen hineinknallten, sich selbst entleibten oder in die Knie sanken, gegen zarische Truppen gibt's keinen Widerstand; und der alte Herr da vorne, gewiß der deutsche Oberst, bekam tat sächlich von hinten die Reitgerte des Kosakenhauptmanns zu suhlen, obwohl er schon hündisch dalag und ihm eine Blase mit der Inschrift »Panje, Panje« aus dem Mund quoll. Leider ist mir dieser Ruppiner Bilderbogen ox contrario, erdacht und gedruckt in Moskau, mit verbrannt. Das be dauerte ich, wie nur ein Kunstfreund seinen besten Schatz 1022 bedauern könnte. Ach ja, dieser Brand, er war doch bitter. Er nahm uns ja alles, alles fort, was wir mit Sorgfalt gesammelt hatten. Und wie heimatlich hatte unsere Behausung gerade zu diesem Maientag ausgeschaut! Bilder aus dem »Wieland« und aus der »Jugend« schmückten unsere Wände, und Tannengrün hing von der Decke herab, und alles duftete so — na, eigentlich doch bloß nach Kommiß. Und dann war es wie Zunder ausgeflogen, die dicken Strohdächer und die dünnen Wände . . . und am Abend standen wir um die Brandstätte und fischten unsere stiellosen Reservespaten aus der Glut, das war alles. Gegen die Kälte sind die Russen eigentlich recht empfind lich. Anfang Mai noch liefen sie in ihren dicken Schafpelzen umher, und das Wunderlichste ist uns, daß sie die Fenster gleich beim Bau der Hütte fest mit Kalk verkitten und sie nicht einmal im Sommer öffnen. So sah ich es auch in Suwalki. Selbst in dem staatlichen Gebäude, in dem mein Feldlazarett lag, mutzten die Fenster erst aus dem Mauerwerk gestemmt werden, um sie öffnen zu können. Zwischen die Doppelfenster legen die Russen dann noch Watte, die zeit lebens liegen zu bleiben scheint und einen ausgesuchten Nist platz für das Ungeziefer bietet. Die öffentlichen Gebäude in Suwalki sind fast durchweg mit Blechplatten gedeckt, die oft nicht unschönen Privathäuser tragen dagegen nur Holzschindeln. Das zweifellos schönste Gebäude der Gouvernementshauptstadt ist die neue Garnisonkirche, die in blendender Weiße das ganze Stadtbild beherrscht und ihm durch die wunderbar vollendeten Zwiebeltürme eigentlich erst das charakteristische Bild einer russischen Stadt gibt. Deutsche Straßenschilder zeigen, daß die Hauptverkehrsader »Petersburger Straße« heißt. Durch sie schieben sich die Kolonnen unserer Truppen, in ihr liegen die hundert Lädchen der Einwohner, in denen man für teures Geld wenig kaufen kann. Als Hauptsache Tee, Tee und immer wieder Tee. Alle zehn Schritte fast kommt ein verhutzeltes Weib: »Trinken Sie Tet? Schönes Tei? Süßes Tei?, 10 Pf. kostet das Glas, wer ihn aber süß trinkt, mutz 10 weitere Pfennige zahlen. Dafür bekommt er dann eine Bonbonart, die das Getränk molkig durchsetzt. Der »Ausschank« erfolgt meist in den Privatgemächern, und man darf durchaus keinen appetitmindernden Anstoß an dem oft gar zu russischen Familienidyll nehmen, das sich mit Kind, Kegel und Zubehör in demselben Raume abspielt; wie man auch gut tut, das polnische Nationalgebäck, die Kartoffelplinse zu essen, ohne sich um Art und Wesen ihrer Zubereitung sonderlich zu kümmern. Die Preise für beides gehen noch an; man kann aber auch in die Lage kommen, ein einziges Schächtelchen Zündhölzer mit 25 Pfennigen zu bezahlen oder die billigsten deutschen Zigaretten mit vierfachem Preisaus schlag zu erstehen. »Rauchbares«, das ist überhaupt immer die Sorge des deutschen Soldaten im Felde, und es ist ein guter Trost für uns, daß die berüchtigten Freiluftzigarren des Siebziger Krieges mit der Kultur so weit fortgeschritten sind, daß man ihren Genuß im großen und ganzen folgenlos im Unterstände wagen kann. An der Front hört die hygienische Pflege des Mundes so gut wie ganz auf, da ist es vom aseptischen Standpunkte aus nicht unwesentlich, daß er hin und wieder wenigstens mit Tabaksqualm tüchtig durchräuchert wird; manche Krankheit mag vielleicht dadurch vermieden werden. In der Petersburger Straße liegt auch die militärische Kantine, die zu billigstem Preise alles führt, was das Soldatenherz erfreuen kann. Nur mutz man schnell hinterher sein und Geduld haben, denn schon frühmorgens stauen sich die »Einkäufer« der Schützengrabenkompagnien, und um die Mittagszeit ist oft schon ausverkauft. Dann kann es Vorkommen, daß der Laden einige Tage geschloffen bleibt, bis wieder neuer Vorrat herbei- geschafft werden konnte. Wie jede echt deutsche Stadt, so hat auch Suwalki schon eine Lichtbildbühne, »Kientopp« sagen wir. Der Soldat sucht gern in ihm ein bißchen Zerstreuung, und die burlesken Schwänke der heimatlichen Prunktheater werden auch über die russische Leinwand mit demselben herz erfreuenden Schwung gekurbelt — über den man sich in der Heimat vielleicht einmal arg ärgerte. Das Straßen-
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