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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.06.1919
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1919-06-02
- Erscheinungsdatum
- 02.06.1919
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- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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Redaktioneller Teil. X UI, 2. Juni ISIS. schen stoßen, die daraus Taten machen, tritt diese sichtbare Ver änderung ein und kann dann mit einer merkwürdigen Raschheit, die nian wieder mit dem Ausschießen der Pilze aus ihren Wurzel geweben leidlich vergleichen kann, vor sich gehen. Die Stratzen- Drucksachen werden in dieser Kette von Ursachen und Wirkun gen regelmäßig unmittelbar vor der Massentat stehen. Ihre Auf gabe ist es, aus dem rollenden Stein die mächtig alles mit sich fortreißende Lawine zu machen. Macht man sich diese Auf gabe der Slratzen-Drucksachen klar, so steht man sofort vor kritischen Anforderungen schwerster Art. An sich sind die Blätter, die von irgendwo in die Büchereien, Archive und Museen wehen, wertlose Stücke Papier. Man weiß nicht einmal, ob sie tat sächlich verteilt worden sind, wann und wo das geschehen ist, in welcher Anzahl. Man weiß schließlich am allerwenigsten, wie sie im einzelnen gewirkt haben, und dennoch muß eine neu zeitliche Geschichtsschreibung, die an der geistigen Bewegung der Massen als solche nicht vorübergehen kann, diesen Fragen mit Ernst auf den Leib rücken. Es sind also zur rechten Wür digung ergänzende Ermittelungen notwendig. Die Feststellung von Ort und Zeit ist die erste Voraussetzung für ihre richtige Einschaltung in den Ursachenzusammenhang. Um sie wird sich schon der Bibliothekar nach Möglichkeit bemühen müssen. Ein weiteres ist die verteilte Anzahl sdie Streuzahl, wie der Werbe- anwalt Weidenmüller sagt). Man kann daraus gewisse, wenn auch bedingte Schlüsse auf ihre Wirkung ziehen. Immerhin, mündliche und schriftliche Zeugnisse über die Wirkung sind da neben unentbehrlich. Dazu können schriftliche Umfragen, münd liche Aufklärungen u. dgl. wirksam sein. Die ganze Arbeit ist so schwierig und so vielfach verzweigt, daß man sie zunächst nur für einzelne Orte und bestimmt begrenzte Vorgänge mit wissenschaft licher Genauigkeit erledigen kann. Sie haben aber keineswegs nur wissenschaftlichen Wert, sondern im hohen Grade auch poli tischen. Die zeitgemäßen Mittel der Politik sind — trotz des Weltkrieges und trotz der Riesenheere der Entente, auch trotz Spartakus - nicht mehr Kanonen und Maschinengewehre, son dern Reden, Bücher, Zeitschriften, Flugblätter. Die äußerliche Gewalt ist nur ein Weg der Not. Der Schrecken des Bolsche wismus, vor dem die ganze Erde zittert, besteht nicht in dem verhältnismäßig kümmerlichen Heer der neuen Russe», sondern in ihren Wühlreden und — -- ihren Drucksachen. Die Gesetze ihrer Wirksamkeit zu erforschen, ist daher von größter Bedeutung. Daß dabei der Hauptanteil der Werbekraft auf die für die Massen verlockenden Gedanken und nicht nur auf ihre Verteilungsform fällt, darf natürlich nicht übersehen werden. Der Politiker von heute mutz Wcrbcfachmanu größten Stiles sein. Die Ge schichtsschreibung aber muß auch hier wieder die Lehrerin der Politik werden. Gerade wir Deutschen haben noch viel zu lernen. Der verlorene Weltkrieg war für uns ja nicht zuletzt auch ein verlorener Werbefeldzug. Verloren, weil sowohl wer bekräftige Weltgedanken, als auch die rechten Verteilungsmittel fehlten. Eine weitere wissenschaftliche Frage, die sich aufdrängt, ist die Würdigung der S t r a ß c u - D r u ck s a ch e n nicht als Ur sachen der Massentat, sondern als Folgeerscheinung, als Merkmal derjenigen, die sie hervorgebracht haben. Diese Aufgabe ist wesentlich leichter und fast unmittelbar aus den Vorlagen selbst heraus zu lösen. Es ist z. B. nicht schwer, aus Form und Inhalt Schlüsse zu ziehen auf Wesen und Bil dung derjenigen, die unmittelbar für diese Drucksachen verant wortlich sind. Da merkt man bald: die Revolution ist von sehr verschiedenartigen Menschen gemacht worden. Alle möglichen Berufe und Schichten waren daran beteiligt, vom einfachen ungelernten Handarbeiter bis zum Geistesarbeiter, der die ganze deutsche Bildung seiner Zeit in sich ausgenommen hat. Nega tiv ist der eine Pol. Zahlreiche Arbeiter- und Soldatenräte haben, wie sich bei der Sammclarbcit gezeigt hat, überhaupt keine Drucksachen hcrausgebracht. Sie haben die ganzen schwie rigen Dinge in einfacher Form und mit schlichten Worten erledigt. Wer Maschinengewehre und Handgranaten zur Ver fügung hat, braucht ja auch nicht viel zn schreiben und zu drucken, um zu überreden. Positiv ist der andere Pol. Wir haben Druck sachen, die nur der gesteigerte Kulturmensch herborbringen kann. Ich erinnere nur an die immerhin nicht ganz vereinzelten künst lerischen Plakate, an Maueranschläge in glänzender Sprache. Was aufsällt, ist der Zug zu Ordnung und Neuregelung, der durch alle Unordnung und Willkür der Umwälzung sich hin- durchzieht. In zwei Schränken und Kästen hat die Ausstel lung das zur Anschauung gebracht, was man die Bürokratie der Revolution nennen möchte. Da fallen zunächst die Amtsblätter der Arbeiter- und Soldaten-Räte auf. (Breslau, Hannover, Halle, Leipzig.) Aber auch Dienstanweisungen, Vertragsvor drucke, Ausweise, gedruckte Anweisungen zur Einrichtung von Arbeiter- und Soldaten-Räten und Bürgerräten. Ein alter Verwaltungsbeamter wie ich wittert hier förmlich Heimatluft. War nicht die Mahnung zu Ordnung und Manneszucht etwas, was einem zu Anfang auf Schritt und Tritt in Plakaten und Handzetteln entgegengerusen wurde? Hierin tritt der gewaltige Unterschied der bisherigen deutschen von der russischen Revo lution sinnfällig zutage. Gleich sind gewisse allgemeine Ziele und Schlagworle, grundverschieden aber ist der Geist der Aus führung. Dort völlige Zerstörung der alten, bei völliger Un- sähigkeit zur neuen Ordnung, hier Schonung der lebenswichtigen Organe des Staatskörpers (der Behörden), die nur mit neuen Nerven durchzogen und so anders gelenkt werden, ein Streben zur baldigen Ordnung auch in den Notkörperschaften. Hierin scheint mir der Hoffnungsschimmer der Zukunft zu liegen. Frei lich einer Zukunft, die erst hinter der großen Wirtschafts-, Ma gen- und Rervenkrifls der Gegenwart liegt. Ein Drittes, was dieStraßen-Drucksachen dem Ge schichtsforscher bieten können, istschließlich die B e u r k u n d u n g gewisser tatsächlicher Vorgänge. Tie Ausstellung hat an einer Wand eine Reihe solcher Einzelurkunden zur Zeitge schichte zusammengestellt. Ich erwähne die Sonderausgaben der Zeitungen über die Abdankung des Kaisers, die Ermordung Eisners, über den Ausbruch der Revolution, die Berliner Spar takus-Aufstände im Januar und März 1919, den Leipziger Gene ralstreik vom Februar—März 1919 usw. Kürzlich sind hinzuge- treten der Ausruf und die Stimmzettel für die erste deutsche Volksabstimmung, die am 13. April d. I. die Entscheidung über die badische Verfassung und das Fortbestehen der badischen Nationalversammlung als Landtag herbeifllhrte. Auch die Drucksachen als Zeugnisse über tatsächliche Vorgänge sind na türlich mit der größten Vorsicht zu benutzen. Die Zeitungen sind ja nicht nur Geschichts-, sondern auch Geschichtenerzähler. Aber auch die sachlich falschen Nachrichten sind geschichtlich nicht wertlos. Viel folgenschwerer als das, was wahr ist, ist für die Tat und damit den Geschichtsborgang das, was geglaubt wird. Diese bittere Wahrheit haben wir ja Wohl alle im Weltkriege von Lord Northcliffe gelernt. Daß auch Zoologie und Vorgeschichte Beziehun gen zur deutschen Revolution haben könnten, hätte ich nicht für möglich gehalten, aber das mächtige und grausige Plakativen dem Gorillamenschen mit Messer und Bombe, das uns zeigen will, wohin uns die Anarchie zurückwerfen kann, ist ein über zeugender Beweis dafür, wie seit Klaalschs Entdeckung des Gorilla-Menschen und Hausers Buch vom Menschen vor huudein- tausend Jahren auch so entlegene Dinge volkstümlich gewor den sind. Wie sicht der K u n st f r e u n d die Neugestaltung? Die un mittelbaren Wirkungen der Revolution auf die bildende Kunst sind sicher heute noch gar nicht eingetreten und gar nicht zu übersehen. Aber damit ist nicht gesagt, daß nicht zwischen bei den Lebcnscrscheinungcn innere Zusammenhänge bestehen. Die Künstler stehen dem Wcltgcist näher als die Wirklichkeitsmcn- schen. Sie ahnen oft genug die Dinge voraus. Früher als auf politischem Gebiet hat sich auf künstlerischem die Spannung entladen, in der sich die Seelen Europas schon vor Krieg und- Revolution befanden. Mir erscheinen die Zusammenhänge so: Ewig ist der Kampf zwischen Geist Und Stoff, zwischen Seele und Leib. Mögen die Einheits-Gläubigen diesen Gegensatz auch leugnen. Die Wirklichkcitskuust war ein Sieg des Stoffes über den Geist. Die Eindruckskunst war die erste Auflehnung da gegen. Nicht mehr die Wirklichkeit war Gegenstand der Dar stellung, sondern das persönliche Augenerlebnis. Auf dem wei
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