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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.06.1915
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1915-06-26
- Erscheinungsdatum
- 26.06.1915
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- Deutsch
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, 2- 145, 26. Zum ISIS. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dlschn. Buchhandel. Assessoren, und als wir im Morgengrauen »ganz Vorn« ankamen, hatten wir unterwegs schon unfern Namen aufgegriffen: »Die Assessorenkompagnie«! In Wirklichkeit ist nur ein Dutzend Juristen unter uns, dafür können wir aber mit allen son stigen »höheren« Berufsklassen in schillernder Mannigfaltigkeit aufwarten; da gibt es Privatdozenten, Schriftsteller, Rechtsan wälte, Oberlehrer, Schauspieler, Opernsänger, Kapellmeister und Artisten unter der schlichten Joppe, die nicht selten schon ein Stück Welt auf sich gerichtet sahen. Worin unsere Arbeit besteht, ist Militärgeheimnis. Ich kann aber sagen, daß wir manchmal weit vor dem vordersten Schü tzengraben, in unmittelbarer Sehweite der russischen Infanterie unsere oft schwere Pflicht taten; schwer deshalb, weil wir waffen los sind und uns so der Rückhalt der Selbstverteidigung fehlt. Es ist ein höllisches Gefühl, so im Feuer zu stehen, wenn die Luft zu heulen beginnt und die Granaten rechts und links einschlagen — und man kann nicht einmal mit einem Gewehrschuß erwidern. Nur wenn es zu arg wurde und die Russen ihre Geschütze sichtlich auf uns richteten, konnten wir in den Unterständen Schutz suchen. Der Arbeitsplan läßt uns wenig Zeit zur Selbstbesinnung. Um 5 Uhr heißt es »aufgestanden«, dann gibtzs die Feldflasche voll Kaffee, jeder füllt sich seinen Brotbeutel auf, und um ^6 wird abmarschiert; erst kompagnieweise, dann in Trrchps von 10—20 Mann unter Pionieranführung, und schließlich geht es — um den Russen in der ihnen bekannten Gegend kein zu offensichtliches Ziel zu bieten — in langen Einzelabständen weiter vor. Auf den täglichen Morgengrutz aus russischem Geschützmund brauchen wir aber trotzdem nur selten zu verzichten; es ist vorgekommen, daß der einzelne Mann mit einer ganzen Salve begrüßt wurde, wenn er gar zu harmlos mit geschulterter Schippe über eine der zahl losen Bergkuppen anrückte. Die Russen beschießen jede wandelnde Silhouette, die sich vom Morgenhimmel abhebt. Wenn wir durch das feindliche Geschützseuer nicht auf zu weite Umwege ab gedrängt werden, treffen wir Pünktlich um 7 Uhr an den verschie denen Arbeitsstätten ein und beginnen unsere Tätigkeit, die mit einer halbstündigen Mittagspause bis in die sechste Abendstunde dauert. Gegen 7 Uhr füllen wir dann unsere hungrigen Magen mit warmem Essen, nehmen im Hochgefühl des Glücks die Post in Empfang und sind dann müde genug, den harten Lagerboden als dauniges Bett anzusehen. Einmal, um die Mittagszeit, ging unser halbes Dorf in Flam men auf. Wir sahen von der Front, wie sich gewaltige Rauch wolken über die Berge türmten. Solche Fanale waren uns zwar alltäglich, denn die Russen gingen systematisch daran, Dörfer und Gehöfte hinter unserer Front mit schwerer Artillerie zu belegen — diesmal aber konnte es in Richtung und Entfernung nur unser Quartier sein. Die Arbeit fiel uns da schwerer.... und als wir am Abend heimkamen, fand mancher von uns seine Bude (die er trotz alledem und Läusen liebgewonnen hatte) und, was noch schmerzlicher ist, seinen mit Ameiseneifer gesammelten Liebes gabenvorrat als Brandasche wieder. Da mutzten wir in unfern Quartieren noch näher zusammenrllcken. Seitdem hörten wir oft des Nachts die Granaten dicht an unser Dorf schlagen.... Es war ein Maimorgen. Die Lust lag diesig über den Höhen, und der russische Morgenwind fröstelte durch unsere dicken Joppen. In der Nacht hatten Scheinwerfer den Himmel hell gehalten, und beim ersten Tagesgrauen waren Flieger aufgeflogen. Auf lan gen Umwegen suchten wir in Taldeckung an die Front vorzu rücken. Eben hatten wir das Trümmerfeld des Dorfes Z .... pas siert, das als beliebtes Einschußziel der russischen Artillerie galt. Wir mußten von der russischen Front bequem sichtbar gewesen sein, aber nichts hatte sich gerührt. Eine unheimliche, erwar tungsvolle Stille lag über dem leeren Schlachtfelde. Langsam schoben wir uns weiter in die Deckung. Ein Heller Abschuß zer riß die Stille. Links über uns stand in seiner Unsichtbarkeit ein deutsches Feldgeschütz. Das wurde Signal. Von drüben brach die russische Artillerie los. Riesenfontänen schwarzer Erdmassen zeigten die Einschläge. Ein Höllenlärm lag in der Luft; alles 4vurde Vibration. Ganze Salven schlugen um uns. Ich riß mei nen Spaten vom Rücken und warf mich nieder; das Gesicht bohrte sich in den harten Boden, die Arme deckten meinen Kopf; Se kunden wurden zur Ewigkeit. Lin harter Stotz hob mich hoch und schleuderte mich fort. Ein rasendes Geprassel von Erbmassen fiel auf mich; Steine und Metallftücke schlugen auf meinen Kör per. Minutenlang lag ich; vielleicht ohne Besinnung. Dairn sprang ich hoch. Kein Mensch um mich. Neben mir gähnte der tiefe Trichter der Granate, neue Erbmassen sprangen ringsherum gegen den Himmel. Ich lies aus dieser Hölle, lief und lief, die Augen nur vorwärts. Mein Spaten entfiel mir; die rechte Hand spreizte sich. Ich sehe sie voller Blut. Weiter, weiter! Ein Sumpf will mich aufhalten. Ich versinke bis zu den Knien und schlage hin. Die linke Hand stützt mich; ich krieche heraus. Die Nerven peitschen und übertragen keinen Schmerz. Es ist nur, daß ich die rechte Hand nicht brauchen kann. Jemand ruft. Ich sehe einen Unterstand und laufe auf ihn zu. Ein Sanitätsunteroffizier kommt mir entgegen, stützt mich und führt mich in Sicherheit. Draußen rast die Kanonade weiter, 2l om-Haubitzen ameri kanischen Ursprungs. Die Sehnen meiner Hand sind zerschla gen. Ein fester Verband unterbindet die Blutung .... So kam ich zum Lazarett. Nun wird es um mich lebendig. Die »Russki« kom men, Gefangene, die hier beschäftigt werden. Ihr Sam melquartier liegt vor der Stadt, und allabendlich losen sie untereinander aus, wer am nächsten Tage im Lazarett arbeiten soll. Denn hier lassen sie sich am liebsten beschäftigen, sie wissen, daß hier immer etwas Essen für sie abfällt. Wenn die Ver wundeten aus der Gulaschkanone gespeist sind, finden sie sich mit Panje-Panje-Rufen beim Koch ein und füllen sich ihre Kon servenbüchsen mit den Speiseresten. Wenn diese nach ihrem Ge schmack ausfallen und reichlich vorhanden sind, schütten sie sich die flüssige Speise in ihre Taschen, die die Zeit durch Schmutz und Fett fast wasserdicht gemacht hat. Mit solchen Schätzen hoch beladen ziehen sie dann abends wieder nach ihren Konzentrations lagern. Der alte Landstürmer versicherte mir, daß dort redlich mit den andern geteilt wird. Alle Russen find leidenschaftliche Zigarettenraucher — auch in der Gefangenschaft. Gedörrte Blätter geben den Tabak und alte Zeitungen das Zigarettenpapier. Ge füllte Flaschen haben auf sie magnetische Anziehungskraft, der Inhalt ist ihnen gleichgültig; sie trinken alles. Neulich starb einer an Lhsolvergistung; er hatte die Flasche irgendwo stehen sehen und kurzerhand ausgetrunken. Der Russe scheut sich nicht, selbst faulende Speckschwarten aus der Kloake zu holen und sie mit verdrehten Augen zu verzehren. Auch das Lazarett ist inzwischen erwacht. Eben naht sich »Papa«, ein 48jähriger Elsässer, der kein Wort Deutsch versteht. Er ist im August militärisch ausgebildet worden und kämpft nun, seit der masurischen Schlacht, mit gegen Rußland. Von Frau und Kind hat er noch nie eine Nachricht bekommen, er weiß aber, daß sie tief nach Frankreich hinein verschleppt worden sind. Man brachte ihn vor einigen Nächten ins Lazarett, durch einen Un glücksfall war ihm der Kiefer eingedrückt worden. Nun hüpft Papa zahnlos herum, nährt sich von Wassersuppe und Keks und ist trotz alledem noch beweglich wie ein Wiesel. Eben kommt ein Landsturmmann mit der »Täglichen Rund schau«. Das gibt Abwechslung in dieser kriegerischen Einöde. Die Zeitungsspedition liegt in den Händen des Generalkomman dos. Wir bekommen sie mit nur zweitägiger Verspätung zu Originalpreisen und erfahren so, was in der Welt vorgeht. . . Papa sagt mir eben, ich solle mit dem Lazarettzug nach Deutschland zurück. Ich will mal Nachfragen. Es ist so. In drei Stunden geht der Lazarettzug nach Deutschland. Ich muß also abbrechen. Bald mehr! Es gibt noch vieles von Suwalki selbst zu erzählen! Nur erst Ruhe haben, den Ort der Gedankenkonzentration; noch Wirbeln tausend unge ahnte Eindrücke durcheinander! Es geht zur Heimat. »Heimat«, das ist Alldeutschland. Deutschland! Dich wiederzusehen, ist ein Geschenk Gottes! Anfang Juni 1915. In einem Feldlazarett zu Suwalki. 923
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