14228 BSr,-nbi-tt,.d.Dt,chn.Buchh-ni>-!. Künftig erscheinende Bücher. ^ 283, 5. Dezember 1908. Gabriele Reuter: Das Tränenhaus (A Roman. Geh. M. 3.50, geb. M. 4.50 Soeben erscheint die fünfte Auflage Dieses Buch ist wieder einmal eine befreiende Tat. Es behandelt die außereheliche Mutterschaft. Während dies Thema sonst entweder mit moralischem Pathos oder (heutzutage) mit einem großen Aufwand an verstiegener Sentimentalität behandelt wird, finden wir hier schlichtes, teilnehmendes Verständnis, feinste Psychologie, einen unerwartet starken Einschlag von Lumor und vor allem erfrischend viel gesunden Menschenverstand . . . Was diesen Roman trotz des heiklen Themas zu einem — fast möchte man sagen erfreulichen — Kunstwerk macht, ist die Tatsache, daß ein Dichter, nicht der Moralist ihn geschrieben hat. (Die Lilfe) Das Tränenhaus, eine baufällige Lütte in einem abgelegenen Dörfchen, ist die „Pension" einer weisen Frau, in der verlassene und verratene Mädchen, fern von der Welt, ihre schwere Stunde erwarten dürfen. Für eine kurze Spanne Zeit teilen wir die Schicksale dieser Unglücklichen, die Leichtsinn und Allwissenheit, aber auch Verführung und Verbrechen aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen unter das gleiche Dach geführt hat. Es wird uns nicht viel erspart in diesem Buch. Alles aber ist gemildert durch die Überzeugung der Gestaltungskraft der Verfasserin, durch die Mäßigung, die sie bei aller Realistik der Schilderung sich auferlegt, und durch die Wucht und Schwere des Problems selbst, auf das sie mit eindringlichstem Ernst hinweift. Im Grunde ist dieser Roman ein j'accuse, ein Mahnwort an die glücklichen, wohlgehüteten Frauen, die »och so gern den ersten Stein werfen auf eine „gefallene" Schwester, die hier, auf ihrem eigensten Gebiet, Not verschärfen statt lindern und so Mitschuld tragen an manch einer gescheiterten Existenz, die wertvoll war trotz ihrer Anfähigkeit, die allein vorgeschriebene Straße zu wandeln. Aber drohend steht hier das ewig wache Gespenst der Gesellschastsmoral, lehrt die Frau verdammen und verstoßen, wo sie allein trösten, helfen und heilen könnte, durch die Macht ihres Verstehens, die dem Manne ja fehlen muß.