Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.08.1879
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- 1879-08-25
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- 25.08.1879
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ISS, 25, August, Nichtamtlicher Theil. 3383 nuel Geibel für seine lyrischen Gedichte geerntet hat; ich zweifle indeß fast, daß sie ausgereicht haben würden, ihm eine Existenz zu gründen. In Frankreich würde ein Dichter wie Geibel sein eigenes Hotel in der Rue d'Amsterdam und eine Villa in Meudon besitzen, Equipagen und Lakaien halten und sich mit der Zeit eine hübsche Gemäldegallerie anlegen. Man frage Herrn Victor Hugo, wie viel Hunderttausende er seiner Lyrik verdankt, von den Romanen und Dramen ganz zu geschweigen. Ich weiß aus des Dichters eigenem Munde, daß er für die kurze Einleitung, die er zu dem Pariser Fremdenführer (pnris-xaiclo) schrieb, 10,000 Francs erhielt. Solche Honorare sind in Frankreich möglich, denn der Autor von Ruf er freut sich hier einer geschlossenen Riesencolonne von Lesern, In Deutschland schrumpfen die Verhältnisse liliputanisch zusammen, denn der Deutsche möchte wohl.,, aber — er hat keine Zeit, Merk würdig bleibt nur bei diesem constanten Zeitmangel, daß der Fran zose — statistischen Nachweisen zufolge — in der Regel mehr er wirbt als der deutsche Nichtsleser, Die Kleinen Rentiers, die von der Pike auf gedient und sich im Schweiß ihres Angesichts ihr Ver mögen erworben haben, sind in Frankreich weit zahlreicher als bei uns, und die großen Rentiers, die gleichfalls mit Nichts begonnen haben, erst recht. Und doch hatten diese Leute während ihrer an gestrengten Thätigkeit Zeit, die Nisörables und die 6i svo äe-, torxo- rons zu lesen! Ich weiß, daß ich dem Gefühl des dcutschgesinnten Lesers durch diese kleinen Enthüllungen tiefe Wunden schlage, aber ich kann ihm nicht Helsen, Der Wahlspruch des hellenischen Weisen: „Erkenne dich selbst!" enthält eine zu wichtige Lebensregel, und wie man ein Kind durch übertriebene Affenliebe moralisch zu Grunde richtet, so verdirbt man auch die Völker, wenn man sie unablässig beweih räuchert. Betrachten wir die literarischen Zustände in Frankreich und Deutschland noch von einem andern Gesichtspunkte, Schon Arthur Schopenhauer beklagt sich über die seltsame Methode seiner Landsleute, die sich zwar mit Geschichte der Phi losophie abgeben, die Werke der Philosophen jedoch als überflüssig bei Seite lassen. Was von dieser Branche gilt, das paßt in weit höheren: Grade auf die eigentliche Nationalliteratur, Der Deutsche rechnet es zwar zu den Erfordernissen einer Salonbildung, gewisse biographische Data und ein möglichst vollständiges Verzeichniß dessen, was unsere hervorragenden Dichter und Denker versaßt haben, im Kopse zu tragen; aber die Werke, mit deren Nomenklatur er sich so herumschleppt, auch nur zum zehnten Theil verständnißvoll zu genießen, das ist ein Luxus, den er sich nicht zu gönnen braucht. So mancher Deutsche gleicht in dieser Beziehung, wie Oscar Blumen thal einmal sehr richtig bemerkt, dem curiosen Gesellen, der seinen Hunger durch das Lesen der Speisekarte zu stillen sucht, Schopen hauer warnt die strebsamen Geister, die sich seinen Werken zuwenden wollen, wiederholt vor dieser hirnverbrannten Verrücktheit, Ihr lernt mehr wahre Philosophie, wenn ihr einen einzigen Philosophen gründlich durchgearbeitet habt, als wenn ihr euch eine sogenannte philosophische Bildung aneignet, indem ihr aus jedem System ein paar halbverstandene Phrasen ausgabelt und sie zu einem mosaik artigen Ganzen zusammensetzt. Ebenso erobert sich Derjenige, der ein halbes Dutzend poetischer Werke mit Verständniß gelesen und in Fleisch und Blut verwandelt hat, offenbar mehr von dem Geiste unseres nationalen Schriftthums, als der wohlbeschlagene „Kenner", der seine Weisheit aus zweiter und dritter Hand schöpft. Es sind mir in dieser Beziehung gar wundersame Fälle be gegnet, In einem Wiener Salon brillirte ein junger Mann, der mit virtuosenhaster Zuverlässigkeit von jedem Uhland'schen Gedicht das Jahr des Erscheinens angab und genau unterrichtet war, nach welchen Quellen Shakespeare seine Dramen verfaßte. Gelesen aber hatte er weder die Lyrik des Schwaben, noch die Dramen des Bri ten: das besorgten an seiner Stelle die Kritiker, deren gelehrte Glossen ihm wichtiger waren, als die Originalwerke! In dem viel verschrienen Frankreich habe ich niemals dergleichen erlebt; wie auch der französische Büchermarkt an „leichtsaßlichen Handbüchern der Literaturgeschichte" ungleich ärmer ist, als der deutsche. Wenn wir unsere Parallele aus die Presse ausdehnen, so läßt sich nicht leugnen, daß wir auch hier in manchem Punkte zurück stehen, Seit dem Jahre 1870 hahen wir uns gewöhnt, mit dem Begriff der Pariser Presse die Vorstellung jener heillosen Verlogen heit und Brutalität zu verknüpfen, die den elenden Boulevard blättern zweiten und dritten Rangs eigen war. Es ist jedoch offen bar widersinnig, ein Blatt von der Stellung des „Temps" oder des „Journal des Döbats" mit diesem literarischen Gesindel in einen Topf zu werfen; und die Zeit einer allgemeinen Überreiztheit, in der selbst die Besonnensten ihre Haltung verlieren, eignet sich am wenigsten zur Basis eines endgültigen Urtheils, Wenn sich selbst der „Temps" und das „Journal des Döbats" Perfidien gegen Deutschland erlaubt haben, die vom Standpunkt der reinen Huma nität unwürdig erscheinen, so ist nicht zu vergessen, daß der Codex der internationalen Pflichten überhaupt noch sehr im Argen liegt und jedenfalls höchst vage Bestimmungen enthält. Man erwäge ferner, daß die Situation Frankreichs nach den gewaltigen Nieder lagen in Lothringen eine nahezu verzweifelte war, ein Factum, das durch die von allen Nichtsranzosen anerkannte Thatsächlichkeit der Selbstverschuldung in seinen moralischen Wirkungen durchaus nicht abgeschwächt, sondern eher gesteigert wird; man ziehe die krankhaft potenzirte Ruhmsucht in Betracht, die nach erfolgter Enttäuschung einen Gemüthszustand herbeiführen mußte, wie er dem ruhigeren Naturell des Deutschen kaum verständlich erscheint; man bedenke endlich, daß der Romane überhaupt zu outriren liebt: und die mil dere Beurtheilung wird sich von selbst geben. Nur zu leicht nennt man das, was man beim eigenen Volk Patriotismus tauft, auf der gegnerischen Seite Rohheit und Miß achtung des Völkerrechts, Der alte Arndt hat dem Erbfeind gegen über eine Sprache geführt, die an Kraft und Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, und auf die Gebote der philosophischen Un parteilichkeit sehr wenig Rücksicht nahm. Wenn die Bürger eines französischen Städtchens beim Herannahen deutscher Heeresabthei lungen zu den Waffen greifen und mit Todesverachtung aus die Barrikaden eilen, so erklären wir das für eine Verletzung des Völkerrechtes; aber Hand aufs Herz! — wie würden wir es ge nannt haben, wenn eine deutsche Stadt aus diese Weise den franzö sischen Jnvasionstruppen entgegcngetreten wäre? Während eines Kriegs mag es schwer halte», diese Sachlage einzugestehen; aber nachdem sich die Geister beruhigt haben, verlangt meines Erachtens die Logik eine Genugthuung, Indessen — selbst wenn wir die moralische Seite unerörtert lassen — eine Thatsache ist gewiß nicht zu bestreiten, — daß nämlich die französische Presse an literarischer Bedeutung der unseren weit überlegen ist. Wir könnten von den Schriftstellern des „Journal des Dsbats" lernen, wie man eine politische Frage gründlich und geistvoll ventilirt, ohne dabei i» den langweiligen Ton des Doctrinarismus zu verfallen. Wir könnten uns an dieser Sorgfalt und Gewissenhastigkeit, die selbst ephemere Leistungen in Kunstwerke zu verwandeln strebt, ein Muster nehmen. Der franzö sische Autor verschmäht auch dann nicht die Feile, wenn er weiß, daß er sich hinter dem faltenreichen Collectivmantel der Redaction bergen kann. Viele unserer „ernsten", d, h, oft langweiligen Schriftsteller finden diese Anmuth, diese graziöse Leichtigkeit „oberflächlich", denn der echte deutsche Philister schätzt nur dann eine Arbeit, wenn der Schweiß daran klebt. Von der franzö- 453*
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