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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.11.1914
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1914-11-21
- Erscheinungsdatum
- 21.11.1914
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 270, 21. November 1914. pflegung, ungestörte Stunden, die mit Zeitunglesen ausgefüllt wurden und gute Gelegenheit boten, einen Brief nach der Heimat zu senden. Und wie ich so eines Tages schrieb, wurde angepocht, und der Bursche meines Leutnants trat herein, klappte gewaltig mit den Hacken und sprach: »Herr Leutnant bittet um Herrn Unteroffiziers Lilien«. »Um was? Ach so«, lachte ich und gab ihm meinen Liliencron hin. mit dem der keineswegs lilienweiße Knabe abtrottete. Mein Leutnant war sehr musikalisch und zeigte mir. als ich ihn nach mittags aussuchte, eine Komposition des feinen, kleinen Liedes Tiefe Sehnsucht. Maienkätzchcn, erster Gruß, Ich breche dich und stecke dich An meinen alte» Hut. Maicnkätzchen, erster Gruß, Einst brach ich dich und steckte dich Der Liebsten an den Hut. auf die Noten weisend, meinte er lächelnd: »So ganz ist es mir nicht gelungen, wir haben eben zuviel erlebt und durch gemacht, das merkt man auch hieraus«. Mir aber ward sonderbar zu Mute, mitten im Kriege solch eine zarte Kompo sition und — so was nannten unsere Feinde Barbaren. Mittlerweile war unsere Stube zu einer kleinen Be rühmtheit geworden, abends erhielten wir des öfteren Besuch von ein paar Kameraden, und dann rückten wir an den Kamin heran, die Füße dicht am Feuer, über dem ein Kessel voll heißen Wassers hing: da rauchten wir uns eins, erzählten, schimpften auf die Engländer, womit Johanna sehr ein verstanden zu sein schien, denn mir war's, als ob sie sich bei einem kräftigen Soldatenflnch gegen das Krämervolk ein wenig reckte, vielleicht war's auch nur ein Widerschein des Feuers. Unser Freund aber, der »Kiepenkerl., war recht zusammen geschrumpft, das war ja auch kein Wunder, denn bei einem solchen »Gegenüber« mußte mau klein werden, so klein. Der Reservespieß jedoch meinte: »der Kiepenkerl schmeckt ausge zeichnet«, und übrigens »Ihr Brüder alle seid willkumm Und jetzt Euch um den Tisch herum Bei einer Psts Tobak bat bak. Bei einer Psts Tobak«. So summten und brummten wir mit: indessen war Kaffee ge kocht, und eine Zeitlang pusteten wir über die siedend heiße braune Kaffeeflut und verbrannten uns an den Tassen die Finger. Wir stellten sie daher wieder auf den Tisch, der be deutend wackelte, und um diesem übelstand abzuhelsen, zog einer einen Pappdeckel unter dem Kllchenschrank hervor und wollte ihn zusammenfalten. Doch da riß ich ihm den Karton aus den Händen, denn das war ein Kalender, und inmitten der Monate war ein Bild aufgeklebt, und zwar ein ganz be rühmtes Bild. »Renoirs klavierspielende Mädchen«, erläuterte ich begeistert, »ich kann Euch sagen, dies Blond der Haare auf dem Original, das duftige Rosa der Kleider, der halb zum Singen geöffnete Mund des einen Mädchens — ein wür diger Schmuck für unfern Kaminsims«. Und schon wichen Jo hanna und der Kiepenkerl nach rechts und links auseinander, um den beiden kleinen musikalischen Mädchen Platz zu machen. »Mir zu süßlich«, sagte kopfschüttelnd der Spieß mit den schneidigen Schmissen. »Das denkt man nur anfangs«, ent gegnet« ich, »hättest mal in diesem Jahre das Original in Dresden sehen müssen, 70000 Mark sollte es kosten! Mensch, da staunst du! Von Renoir, dem Altmeister der Impressionisten, mutz ich hier eine Abbildung seiner Werkeunter demKüchenschrank finden, wie mag die sich hierher verirrt haben?« Unser Zimmer war nun fast ein Museum geworden, und uns beiden stieg der Stolz zu Kopfe: jeder Kamerad mußte sich unsere Schätze ansehen und den superlativen Erklärungen des Führers zu- hören. »Johanna von Orleans, äußerst tüchtige Dame, die die Engländer schon richtig erkannt hat: Kiepenkerl, das beste und herrlichste Kraut Europas, und als Drittes der Edelstein des Museums, Renoirs klavierspielende Mädchen, ein klassisches Gemälde des französischen Impressionismus im 19. Jahr hundert!» Mancher von den Kameraden ging zwar still- 1878 schweigend von dannen und tippte sich vor die Stirne, wäh rend sein rechter Daumen rückwärts auf uns wies. Die meisten aber lachten mit uns über diesen »epochalen« Ulk. Im allgemeinen träumt ein Krieger nicht, aber diesmal wurde eins Ausnahme gemacht, und einmal sogar erlitt ich ein bedenkliches Alpdrücken. Sachte war ich cingeschlummcrt aus meiner Matratze, da sah ich auf der Landstraße unseren Freund vom süßduftenden Tabak fröhlich fürbaß schreiten, weidlich dampfte seine Tonpfeife und rüstig griff der Siebzig jährige aus. Plötzlich aber wurde sein Gang schneller, er lies, er raste, soviel ihn nur die Beine tragen konnten. Dann aber knickte er zusammen, grimmig verzerrten sich seine Züge, und hinter seinem Haupte lugte frisch-fröhlich die streitbare Johanna hervor, die es sich in der geräumigen Kiepe des Alten bequem gemacht harte. Und nun saßen auch plötzlich die klavierspiclenden Mädchen vor uns und sangen: »Musketier sein lust'ge Brüder«. Mir schwirrten die Sinne durcheinander, der Kiepenkerl stieß die Türe auf, Johanna stieß sich am Türbalken den Kopf entzwei, ihre Sturm haube rollte zur Erde, und ich ergriff sie und schleuderte sie in den Spuk hinein. »Danke«, grollte mein Schlasgenosse, »wenn ich erst Holzbeine habe, kannst du soviel Helme wie möglich draufwerfen, vorher aber bitte nicht allzuviel, denn die wollen noch manche Strecke marschieren». Da er munterte ich mich vollends, es war Heller Morgen, und von draußen klang es kräftig herein: »Sind den Mädeln gu hu hu Hut Singen lauter lust'ge Lieder Sind den Mädeln gut!« »Und scheint die Sonne noch so schön, sie mutz doch ein mal untergehn«, so erging's auch uns. Der letzte Abend in dem fröhlichen Quartier nahte heran, noch einmal saßen wir um den wärmenden Kamin; ein jeder schwieg in sich hinein. Was würden die nächsten Tage bringen? Es war gut, daß wir es nicht vorher wußten. Trotz allem kam ein Gespräch in Gang, Schnurren wurden erzählt, und noch einmal stellte sich eine recht behagliche Stimmung ein. Der Rest des »Kiepen kerls« verschwand in einer Pseise, ein anderer nahm die bunte Hülle und blies sie auf. Da lächelte der Kiepenkerl so recht herzhaft, und sein Blick traf die kleine Johanne scharf und vernichtend. Dann aber kam die Katastrophe, schallend schlug eine Hand auf die rundliche Tüte, und die Fetzen des »Kiepen kerls« flackerten im Feuer auf. Nun hätten wir ja die Jung frau von Orleans als Andenken mitnehmen können; aber nein, wir taten's nicht, die hatte genug Schlachtenlärm erlebt. Ich stellte sie daher wieder in den Küchenschrank unter das schützende Dunkel einer umgestlllpten Tasse. Die Klavierspielerinnen aber ließen wir auf dem Kaminsimse stehen, und so sah das Zimmer freundlicher aus, als wir es vorgefunden hatten. »Ruhig einmal!«, rief einer, und wir machten die Türe auf und lauschten andächtig dem mehrstimmigen Gesänge einiger Leute der Regimentskapelle, die dem Major ein Ständchen brachten. Wehmütig schwollen die Töne in die Nacht hinaus, und zum bestirnten Himmel klang's feierlich empor: »Sei ge grüßt in weiter Ferne, teure Heimat, sei gegrüßt!« Neu-Ruppin, Lazarett Apollosaal, den 14, November 1914. Karl Storch, Unterosf. d Res. Von den Grenzen des Reichs. vm. sVII siehe Nr. 2W.j Swinemünde. Der Beginn des Krieges hat sich bei uns sehr fühlbar ge macht. Sahen wir doch einer glänzenden Badesaison entgegen. Vom August, der immer der ausschlaggebende Monat ist, konnte man also viel erwarten. Aber schon Ende Juli, als die politischen Wolken sich immer mehr verdichteten, nahm die Zahl der Kurgäste bedenklich ab, um bei Kriegsausbruch fluchtartig zu verschwinden. Die Geschäfte am Strande waren denn auch Anfang August fast sämtlich geschlossen. Unser Kurhaus wurde mit Kriegsfrei willigen belegt, und da, wo sonst frohe Menschen saßen und die
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