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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 28.07.1914
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1914-07-28
- Erscheinungsdatum
- 28.07.1914
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. ^ 172. 28. Juli 1914. und heute bietet sich wiederum Gelegenheit, über eine interessante Äußerung der Schuljugend zu berichten, die mit einem Bühnen erfolge des letzten Halbjahrs zusammenhängt. In der abgelaufe nen Theaterfaison brachte es nämlich das Stück des französischen Dramatikers Brieux »Die Schiffbrüchigen« — eigentlich eine klinische Vorlesung in mehreren Akten über das Thema: Die Geschlechtskrankheiten und die Notwendigkeit ihrer öffentlichen Besprechung —, an einer Wiener Bühne zu der immerhin selte nen Zahl von mehreren Hundert Aufführungen, ja es wurden sogar Darstellungen im Volksbildungsverein und Sonderausfüh rungen für die Mannschaften der Armee veranstaltet. Ein solcher Erfolg mußte selbstverständlich das Publikum und somit auch die Schuljugend, die ja in der Großstadt zu den regelmäßigen Lesern der Tageszeitungen gehört, für den Gegenstand inter essieren. Wie sehr dies der Fall war, ist aus einer Eingabe zu ersehen, die von der Mehrzahl der Schüler der beiden höchsten Klassen eines hiesigen Realgymnasiums an die Direktion gerichtet wurde, und in der unter Beziehung auf die Statistiken der Gesellschaft für Sexualhygiene das Ersuchen um Veranstaltung eines Vor trages des Schularztes vor dem gesamten Obergymnasium über die Gefahren und Symptome der Geschlechtskrankheiten, deren Vermeidung und Heilung, gestellt wurde. Man denke sich nun die Verlesung dieser Eingabe in einer Konferenz von Schulmän nern, wie sie Frank Wedekind in seiner Kindertragödie »Früh lingserwachen« geschildert hat. Die Unterzeichner der Bittschrift hätten sich wohl auf die schärfsten Maßregelungen gefaßt machen müssen. Aber der in Rede stehende Lehrkörper umschließt einen Kreis von modern denkenden Pädagogen, die den Zeitströmungen nicht teilnahmslos gegenllberstehen, und so wurde beschlossen, die Eingabe sachlich zu erledigen, die Beantwortung jedoch nicht den Schülern, sondern den Eltern zuzusenden. In dieser sehr maß voll gehaltenen Epistel erklärt der Lehrkörper nach einigen Erwä gungen und Vorbehalten, daß er bereit sei, den Schularzt zu einem Vortrage über diese Frage anzuregen, wenn die Eltern dem Arzte bedingungslos das Vertrauen schenkten, daß er die passende Form finden werde usw. Im Nachtrage zu diesem Schreiben wird — und dies ist Wohl für den Buchhandel von besonderem Interesse — bei den Elter» die Frage angeregt, ob sie nicht der Ansicht seien, daß sich der ge wünschte Zweck der Belehrung besser durcheinBuch erreichen lasse, und der Lehrkörper schlägt hierbei das nach seiner Meinung bereits bewährte Merkchen des Stadtschularztes vr. Paull in Karlsruhe: »Halte deine Jugend rein« (Stuttgart 1914) vor. Wenn er dabei dieses Aufklärungsbuch eine Schrift »voll Schrecken und Zuspruch« nennt, so wird man diese Charakteristik etwas eigentümlich finden können. Jedenfalls aber bietet sich wieder ein neues Feld der Tätigkeit für den Verlags- und Sortimentsbuch handel, zumal, wie ich erfahre, an anderen Gymnasien Vorträge des Schularztes über das interessante Thema bereits kürzlich abgehal ten wurden. (Es sei mir gestattet, hier einen irgendwo gedruck ten Scherz zu wiederholen: In dem Wunsche, Aufklärung zu er teilen, sucht der Vater stotternd und verlegen eine Passende Ein leitung: aber der moderne Sohn unterbricht ihn mit der Frage: Papa, was willst du eigentlich wissen?) Die kürzlich verstorbene und vielbetrauerie Berta Freifrau von Suttner — in manchen Zeitungen in geringschätziger Weise »Friedcnsberta« genannt, was sie übrigens wahrscheinlich gar nicht ungern hörte — wußte ein Lied zu singen von den Schwie rigkeiten, mit denen neue Gedanken zu kämpfen haben. Als bereits anerkannte Schriftstellerin, um deren Mitarbeiterschaft sich mehrere Blätter bewarben, sandte sie seinerzeit das druckfertige Manuskript des Romans: »Die Waffen nieder« einer Zeitung ein, die bereits frühere Arbeiten von ihr gebracht und ihr noch niemals etwas zurückgewiescn hatte. Wer beschreibt ihr Erstau nen, als sie diesmal das Manuskript zwar mit schmeichelhaften Worten, jedoch mit der Motivierung zurllckerhiclt, daß »große Kreise der Leser sich durch den Inhalt verletzt fühlen würden«. Diese Ablehnung blieb nicht vereinzelt: auch einige andere Re- >190 daktionen, an die sich Baronin Suttner wandte, wollten »Die Waffen nieder« ihren Lesem nicht zumuten. So entschloß sie sich denn, auf Zeitungsabdruck zu verzichten und sandte das vielge reiste Paket ihrem Verleger Pierson. Dieser würde, so meinte sie, gewiß mit beiden Händen zugreifen. Aber auch Pierson hatte gewichtige Bedenken, befürchtete, die Staatsbehörde werde das Buch beschlagnahmen, verbieten. Die Autorin möge daher, so schrieb er ihr, das Manuskript einem erfahrenen Staatsmanne geben zur Durchsicht und zur Ausmerzung alles dessen, was Anstoß erregen könne. Mit aller Entschiedenheit erklärte Baronin Suttner, auf solches Paktieren nicht cingehen zu können, und auch als Pier son den Wunsch aussprach, sie möge den so kategorisch klingenden Titel abändern, war sie nicht zu bewegen, dem geliebten Kinde einen anderen Namen zu geben. So gab denn der Verleger nach und entschloß sich zum unveränderten Abdruck. Er hat es nicht zu be reuen gehabt. Der Buchhandel weiß, daß es ein sensationeller Erfolg wurde. »Die Waffen nieder« ist als Buch des Kanrpfes gegen den Krieg in Hunderttausenden von Exemplaren verkauft und in viele Sprachen übersetzt worden. Durch das Reichsbolksschulgesetz vom Jahre 1889 wurde die allgemeine Schulpflicht, die mit dem vollendeten 6. Lebensjahr be ginnt und mit dem vollendeten 14.abschlietzt,sestgestellt; auch wurde vorgeschrieben, daß der Austritt aus der Schule nur erfolgen dürfe, wenn der Schüler die für die Volksschule vorgeschriebenen Kenntnisse im Lesen, Schreiben usw. besitzt; die Ellern oder deren Stellvertreter werden für den Schulbesuch der Kinder verantwort lich gemacht. Diese allgemeinen Grundsätze müssen, wenn sie ausnahmslos durchgeführt werden, ein bestimmtes Mindestmaß der Volksbil dung zur Folge haben und es jedenfalls verhüten, daß irgendein (vollsinniger) Staatsbürger ohne Kenntnis des Lesens und Schreibens aufwächst. Theoretisch genommen, dürfte es also gar keine erwachsenen Analphabeten geben. In Wirklichkeit aber ist ihre Zahl in Österreich, wie eine kürzlich durch die Zeitungen ge gangene Notiz beweist, nicht gering. Am besten sind noch die Zu stände in Böhmen und in Ober- und Niedcröslerreich. Hier kom men auf 1000 Einwohner 59 bis 80 Analphabeten. In Tirol, Vorarlberg und Mähren kommen 71 bis 78 Analphabeten und in Salzburg 87 solcher Leute auf 1000 Einwohner. In Schlesien zählt man 111 Analphabeten auf 1000 Einwohner. Nun aber macht die Zahl ganz kolossale Sprünge. In Steiermark beträgt sic 180, in Kärnten 240 von 1000. Hier verfügt also fast ein Viertel der Bevölkerung nicht über die Elcmentarkcnntnisse. Auf Kärnten folgt Krain mit 314, dann das Küstenland mit 482 Analphabeten auf 1000 Einwohner. Noch schlimmer steht cs in Galizien mit 639 und in der Bukowina mit 652 Analphabeten. Den Rekord unter allen Ländern aber hält Dalmatien mit 736 Analphabeten unter 1000 den Kinderjahren entwachsenen Leuten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß noch immer sehr viele Leute leben, die im Jahre 1869, als das Reichsvolksschul gesetz erlassen wurde, bereits erwachsen waren, daß man also von diesen die Kenntnis des Lesens und Schreibens gesetzlich nicht verlangen kann. Vom Standpunkt des österreichischen Buchhandels werden Wohl viele diese Ziffern mit Bedauern betrachten: es läßt sich je doch andrerseits darauf die angenehme Hoffnung bauen, daß man in vielen Teilen der Monarchie mit Sicherheit auf einen Auf schwung rechnen darf, denn zweifellos befindet sich die Zahl der Analphabeten in fortwährendem Sinken, so daß demgemäß die Zahl der Bücherinteressenten steigen mutz. Vor dem Grazer Bezirksgericht in Strafsachen wurde kürzlich eine Verhandlung durchgeführt, die durch den Gegenstand der An klage auch buchhändlerisches Interesse erregen kann. Als An geklagter erschien der Landtags- und Reichsratsabgeordncte Herr W., der auch die Würde eines Bürgermeisterstellvertreters einer Stadt in Slldsteiermark bekleidet; es handelte sich also um eine in gesellschaftlicher und politischer Beziehung hochstehende
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