Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 31.01.1876
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 31.01.1876
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18760131
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-187601315
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18760131
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1876
- Monat1876-01
- Tag1876-01-31
- Monat1876-01
- Jahr1876
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
^ 24, 31. Januar. Amtlicher Theil. 351 Neuerungen zu prüfen hätte nach ihrer Durchführbarkeit. Diese seine Mittelstellung erschwert ihm unvermeidlich ein unabhängiges, energisches Urtheil nach beiden auf ihn einwirkenden Seiten, die an sich ja in ihrer Forderung und Empfänglichkeit wieder sich ver schiedentlich abstufen. Die wissenschaftliche Littcratur spricht zu einem vorbereiteten, auch sür ungewöhnliche äußere Form einsichtigen Publicum. Die Schullitteratur folgt den vom Staate gutgehcißenen Regeln. Es handelt sich, um ein durchschnittliches Urtheil zn gewinnen, zumeist um die Schriftgewöhnung, in welcher der dem ganzen Volke gewidmete Schriftsteller seine Gedanken dargcstcllt sehen, das Volk sie empfangen will. Und hier, scheint mir, übt der Schriftsteller gern, selbst bei abweichender persönlicher Ueberzeugung, Rück sicht auf die bestehenden, verständlichsten Formen, und die äußere Gestalt, in welcher wir die Meisterwerke unserer Litteratur besitzen, bil det in gegenseitigem Einverständniß die Norm für die echt populäre Litteratur auch der Gegenwart. Rede ich so einem schonenden, allmählichen Uebergange in neue orthographische Vorschriften das Wort, und glaube dies im Interesse des Buchhandels gelegen, so sind um so mehr die sürs Gegcntheil sprechenden Gründe zu prüfen. Wenn einmal geändert werden muß, ist eine völlige Abänderung des Regelwidrigen einer halben und zögernden Reform vorzuziehen. Der Nachtheil, plötzlich ungewohnten Wortbildern zu begegnen, beispielsweise das hals Dehnungszeichen in den betonten Silben mit langem aou nicht mehr zn finden, ist gering gegen den Vortheil, dann zu festen Regeln, zu bleibenden Verhältnissen gelangt zu sein. Wir haben unsere Schullitteratur dann einmal völlig und die Volkslitteratur nach deren Vorgang, in neuen Formen zu drucken, dann aber geordnete Zustände. Es fragt sich, was grö ßere geschäftliche Opfer und größere Ueberwindung seitens des Publicums fordert, und ob leichter diejenigen Werke nebeneinander in Ge brauch zu halten sind, die im ei nicht mehr eh unterscheiden (sein sür saus und ssss setzen — eine Vereinfachung, die sich seit Goethe's Zeit vollzogen), die nunmehr das h im th in deutschen Wörtern tilgen — eine Reform, die sich vielfach im Volke bereits vorbereitet und zum Verständniß gebracht hat, wenn man also die im Volke vorbereiteten Reformen schrittweise legalisirt, darüber hinaus jedoch den wei teren Weg rationeller Entwicklung nur kennzeichnet und empfiehlt, oder wenn man, dem Volksbewußtsein voran, plötzlich one statt ohne, Ban statt Bahn, Lon statt Lohn, selbst unter Anerkennung theoretischer Richtigkeit solcher Neuerung seitens der Gebildete», allgemein zu schreiben beschließt. Einen solchen Bruch mit Bestehendem, welches eines der nächsten, vertrautesten Besitzthümcr des Volkes bildet, haben wir in unserer Geschichte schwerlich schon vollzogen; es bezeichnet vielmehr unser» Charakter, namentlich in so eigenthünilichstcm Cultur- elcment, wie die Sprache und ihre Schreibung, zu erhalten und dennoch aus dem Volksleben heraus stetig sortzubildcn. Sollte mit einer Neugestaltung der Orthographie, einer solchen, die in die bisherige Gewöhnung prinzipiell einschneidet, diese Weiterbildung in der That abgeschnitten sein, nicht dennoch Verschiedenheiten in aller Zukunst von neuem sich bilden, die zu ihrer Zeit wiederum Anerkennung und Aufnahme in den Schristgebrauch verlangen? Je schneller man Reformen einführt, für welche ein volles Verständniß im Volke noch nicht vorhanden ist, desto mehr toird man der Neigung, das Verlorene in anderer Weise zu bewahren, die Gewöhnung sortzusetzcn, Vorschub leisten. Mag die Regel auch lehren, daß Ban lang zu sprechen ist, weil das nnicht gedoppelt steht, daß also gebaut (—geebnet)zu sprechen ist und nicht gebaut (—verurtheilt): das Volk, aus solche Vereinfachung der Schreibweise und Verkürzung der Lesehilfen nicht vorbe reitet, wird sich erinnern, daß man auch Hund sagt und nicht Hund, und ein kenntliches Zeichen, selbst wenn cs theoretisch unnöthig, falsch wäre, zu Gunsten des nächsten Zwecks, schneller Verdeutlichung der Gedanken, verlangen und, wenn es das h in Bahn nicht mehr setzen soll, das a durch Strich oder Circumflcx als lang bezeichnen. Es lagen der Commission bereits verschiedene Zuschriften vor, die der Einsührung von Längenbezeichnungcn in dieser Weise das Wort redeten, eine, die, in wohlbegründetem Bedenken, wie sich die Länge in unserer Schreibschrift, die schon zur Bezeichnung der Vokale an sich des Punktes oder Hakens über denselben mehrfach bedarf, ebenfalls über dem Vokal bezeichnen lassen solle, die Zufügung der Accentbezeichnung unter den Buchstaben empfahl. Gefahren vorauszusagen ist zwar eine wohlfeile Art der Begründung des Gegentheils. Hier aber ergeben sich Gründe dieser Art von selbst, wenn durch eine neue, unserm Volkssinn nicht geläufige Anordnung der dennoch nicht zu hemmenden oder abzuschließenden Fortentwicklung unserer Schreibung vorgegrisfen und aus theoretischer Consequenz eine praktisch mangelhafte, wenigstens im Volke noch nicht vorbereitete Neuschreibung festgesetzt würde. Die Durchführung dieses der Rechtschreibung zu Grunde liegenden phonetischen Prinzips, d. h. so zu schreiben, wie man spricht, führt ferner zur Aushebung der verschiedenen Schreibweise gleichlautender Wörter. Sohle und Soole werden freilich gleich gesprochen; Miene und Mine sind sogar ursprünglich das gleiche Wort. Ja, die meisten solcher, nur aus logischen Rücksichten in der Schreibung ver schiedenen Wörter mögen auch nur selten in einem Zusammenhänge erscheinen, in welchem man beide Bedeutungen verwechseln könnte; auch gibt cs ja viele begrifflich verschiedene Wörter, die jetzt schon eine dem Auge kenntliche Unterscheidung nicht haben. Aber im Interesse eines Prinzips, dessen ausnahmslose Durchführung dennoch nicht zu bewirken ist, Vorthcile sür schnelles, klares Ver ständniß ausgeben, Unterscheidungen verwischen, die durch bisher legale Mittel verschiedener Schreibung bezeichnet wurden, scheint mir ein größeres Uebel als ein nicht consequent durchgeführtes Prinzip. Auch hier scheint mir, daß das Bedürfniß einer Reforni, die im Volke bereiten Eingang finden soll, im Volke auch schon rege sein muß, daß also die Reform sich zu begrenzen hat auf Ausscheidung des bereits als veraltet und zwecklos Erkannten, auf Prüfung und Feststellung des Schwankenden, daß sic aber, namentlich in einem Volke so historischen Sinns wie das deutsche, nicht darüber hinaus Bestehendes ändern, abschaffen, Neues einsührcn soll — oder kann. Insbesondere in diesem eigensten Besitzthum des Volkes, Sprache und Schrift, scheint mir eine wohlthätige, weitgreifendc Ein wirkung der obwaltenden Behörde sür die Schule darin schon zu beruhen, daß der gegenwärtige im Volk vorhandene Befund der Schrei bung geprüft, gesichtet und das Bessere in demselben zur alleingültigen Regel erhoben wird. Nach Verlaus einiger Jahrzehendc würde unter allen Umständen, bei jedweden Beschlüssen, dennoch von neuem Veranlassung zu gleicher Prüfung und Feststellung sein, da Sprachweise wie Schreibart sich fortwährend abändernd weiterentwickeln. Der Schule stände es allerdings frei, eine von der gegenwärtigen Gewöhnung wesentlich abweichende Schreibweise einzu- sührcn. Aber selbst die theoretische Richtigkeit derselben würde es nicht sichern, daß das Volk derselben sich anschlösse. Theils würde selbst die solgerichtigste Entwicklung der Rechtschreibung auf Grund des phonetischen Prinzips, welches ja in der That das in unserer Schrift herrschende ist, dennoch aus bestehende Abweichungen davon Rücksicht nehmen, andere dasselbe begrenzende Einflüsse aner kennen, also neben weiterentwickelten Regeln dennoch neue Ausnahmen constatiren müssen, theils wäre der Weg, die Formen litterarischen Verkehrs von der Schule aus umzugestalten, ungewöhnlich und nicht ohne Bedenken. Die sortbildende Kraft in der Sprache äußert sich vielmehr zunächst in der gebildeten Litteratur, in der der selbftthätigen. geschulten Elasten der Gesellschaft. Die popu läre Litteratur, die Allgemeinverständlichcs bieten muß, nimmt allmählich die unter den Gebildeten durchgedrungcncn Formen aus. 48*
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder