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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.09.1919
- Strukturtyp
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- 1919-09-17
- Erscheinungsdatum
- 17.09.1919
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- Deutsch
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vvrsendlatt f. d' Ltschn. vuchhandr. Redaktioneller Teil. ^ 202, 17. September 1919. Wir wollen nicht verkennen, daß der Sozialisierungsprozetz I nicht mehr aufzuhalten ist und im Interesse des Menschhcils- forischritts auch nicht mehr aufgehaiten werden darf. Ob er ^ aber innerhalb eines Menschenalters schon gänzlich durchge führt werden kann, das steht mehr als in Zweifel. Die So«! zialisterung ist keine Episode, sondern eine Epoche. Die Sozialisierung ist, das darf nie unterschätzt wer den, eine Aufgabe voll größter Schwierigkeiten, vielleicht so gar die schwierigste Aufgabe, die uns Menschen je aufgegeben wurde. Eine solche Organisaiionsarbeit zu überstürzen, hieße vor der Verantwortung unserer Nachkommen ein Würfelspiel mit falschen Würfeln wagen. »Mil falschen Würfeln« deshalb, weil vielleicht für eine Zeitspanne alles gut geht, dann aber ein jämmerlicher Zusammenbruch folgen muß, gegen den die Welt kriegskatastrophe mit allen ihren Nölen unbedeutend erscheinen würde. Denn das komplizierte Räderwerk einer Volks- und Weltwirtschaft ist durch jahrtausendlange Beobachtung so genau präzisiert, daß ein Zahnausbruch, den man nicht mit allen seinen Folgen genau übersehen hat, genügt, die ganze Maschine durcheinander zu bringen und die Kontraste bittersten Elends und grenzenlosen Eigennutzes erst recht zu schaffen. Der Vorsitzende des Direktoriums der AEG., Geh. Kom merzienrat Felix Deutsch, schließt seine Abhandlung über das Thema »Was haben die Angestellten von der Sozialisierung zu erwarten« (Carl Heymanns Verlag, Berlin 1919) mit den Worten: »Dem Strom der Zeit, der auf soziale Reformen drängt und sie durchsetzen wird, können und wollen wir uns nicht entgegenstellen. Aber .... solche Reformen sind nurmöglich aus Grund gesunder und geordneter wirt schaftlicher Verhältnisse; sie führen zum Ruin des einzelnen und der Gesamtheit, wenn sie auf-schwankender Grund lage in unüberlegter, überstürzter und dilettantischer Weis« in Angriff genommen werden«. Ja, gesunde und geordnete Verhältnisse haben wir heute nicht. Wir leben in einer phantastischen Welt. Dinge, die wir früher nicht für möglich gehalten hätten, tragen sich in Alltäglichkeit zu und fördern das Schlagwort vom immer weiter Erreichbaren unter politisch dumpfen Massen. Nieistin der Welt mehr gewollt worden, nie ist aber auch alles auf so unsicherer Grundlage gewagt worden als jetzt. Man hat den Sozialismus in die Stränge der Parteibestrebungen gespannt, der Sozialismus, der doch gerade den Klassenkampf aufheben und der Wohlfahrt aller dienen soll, dient — wenigstens der großen Masse — nur als Mittel der Parteidiktaiur. Der Klassenkamps hat mit dem unglückseligen Kriegsende, das er verschuldet hat, mit einer so rücksichtslosen Schärfe und Erbitterung eingesetzt, daß er, statt aufzubauen, bisher nur weiter abgebaut und die Ver wirrung in unserem Volke (man möchte sagen:) bis zum Fieber wahn aufgepeitsch! hat. Ein ungemein tiefer sittlicher Nieder gang, Zerrüttung, Bankrott, Hunger und Arbeitslosigkeit sind seine unmittelbaren Folgen. Ich glaube, wenn einmal die Zeit gekommen ist, da man von der hohen Warte der Geschichte auf diese Gegenwart zurllckschaut, dann wird man sie als nichts anderes darstellen können, denn als Erkrankungsprozetz in der Auswirkung der ungeheuren Kriegsnot. Wir sind im Grunde genommen von einer Sozialisierung selten so wett entfernt ge wesen wie gerade heute, wo jedes dritte Schlagwort »Sozialisierung« ist! Denn Wesen, Charakter und Wert der Vergesellschaftung hängen von der Gesinnung ihrer Gesellschafter, d. h. ihrer Träger, ab. Die Gesinnung eines großen Teils dieser Gesell- schafter richtet sich aber heute nach Raub, Gewalttat und Ver brechen jeder Art. Solange diese an der Tagesordnung sind und die Spalten unserer Zeitungen das Spiegelbild einer so abgrundtiefen Entsittlichung sind, so lange ist für einen wahren Sozialismus kein Platz. ft>4 Sozialismus will die große Verherrli chung der Arbeit bedeuten. Bebel wünschte, daß ; der Sozialismus die Menschen reicher mache, indem der Sozia lismus die Leistungsfähigkeit der Arbeit erhöht. Kautskh ! forderte, daß der sozialistische Arbeiter nicht um des Lohnes willen arbeite, sondern auch harte und schmutzige Arbeiten aus Freude am Dienste der Allgemeinheit verrichte. Aber heute? Kattwinkel sagt in seinem Buche »Das Ende des Privateigentums?« (Kyffhäuser-Verlag, Berlin W. öl)>: »Wir sehen, wie gerade das große Ideal des Sozialismus, die Verherrlichung der Arbeit, von der Masse aufgefaßt wird. Mit der Abschaffung der Akkordarbeit ist — weil sie den strebsamen und fleißigen Arbeiter vor dem faulen vorwärtsbrachte — ange- sangen worden.") Dann wurde der 8stündige Arbeitstag ver kündet, der den radikalen Sozialisten auch schon bald zu lang war, und während auf der einen Seile sich die arbeitslosen Mas sen mit dem Schlachtruf vom »Recht auf Arbeit« gegenseitig be geistern, suchen sie auf der anderen Seite den bestmöglichen Weg zum »Recht aus Richtarbetl« zu ergründen. Wie solche Tatsachen, die selbst der sozialistischen Regierung die Erwägung eines allgemeinen Arbeits z w a n g s nahelegen müssen, sich mit der Annahme vereinbaren lassen, daß im sozialistischen Staate jeder aus Passion, aus Leidenschaft für die Arbeit selbst ar beiten und aus Solidarttätsgefühl für die Allgemeinheit seine ganzen Kräfte und all seine Begabung uneigennützig zur Ver fügung stellen würde, ist wirklich nicht einzusehen ,Wec die Arbeit kennt und sich nicht drückt', ist das Motto, wie es der Volksmund jenen sozialistischen Arbeitsenthusiasten gegen über geprägt hat, und das ein praktisches sozialistisches Pro gramm ebensosehr berücksichtigen müßte wie jenes theoretische Gothaer Programm den Satz: ,Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur «. Ja, die Menschenliebe, die dem Allgemein interesse voranzugehen hätte, auf die sich der Sozialismus allein nur gründen und auf bauen kann, ist heute durch brutal st e Selb st sucht ersetzt. Die Maschinengewehre in der Gewalt der »wahren Sozialisten« zwingen Bergarbeiter zum Streik, damit Frauen und Kinder, die »Kameraden Arbeiter« selbst frieren und hun gern. Andere zerreißen den Nerv der Wirtschaft, den Eisen bahnverkehr, um in erpresserischem Egoismus Lohnforderungen durchzudrücken. Von diesen »wahren Vollendern des Sozia, lismus« sagt der Arbeitersekretär Erkelenz im sechsten Heft des »Wegweiser für das Werktätige Volk« (Reichsverlag, Ber lin-Zehlendorf) : »Und diese Menschen wollen uns den Sozia- lismus bringen, wollen uns ein System bringen, das das höchste Matz an Selbstverleugnung, Arbeitsfreude, Menschenliebe ver langt? Wer heute mit Handgranaten wirft, soll morgen ein Engel sein? Nein, ehe die Sozialisierung im Gesamten lösbar ist, muß «in anderes, ein besseres Menschengeschlecht her anwachsen. Erst gilt es, den Sozialismus der Gesin nung zu schaffen und damit schrittweise den Sozialismus der Produktion zu ermöglichen. Täuschen wir uns nicht selbst I Reißen wir aus unseren Köpfen die Nägel heraus, mit denen man uns Jahrzehnte lang die Köpfe vernagelt! Wir kämpfen für eine neue Zeit, für einen Sozialismus der Gesinnung und der Tat. Aber wir müssen ihn Stein um Stein erbauen, müssen an uns ebenso bessern wie an den gesellschaftlichen Einrich tungen. Die Welt ist nicht in vierundzwanzig Stunden er schaffen, sondern sie ist in Jahrhunderttausenden gewor den. Nur unreife Kinder können den Tag der Erfüllung nicht abwarten. Männer, Frauen mit gesundem Sinn sind glücklich, wenn sie an einem so großen Werke ihr Leben lang Mitarbeiten können, und werden nicht unwirsch, wenn nicht in ein paar Monden alles schon erfüllt ist«. "> Auch in Rußland Ivar die Mschasfung der Akkordarbeit eine der ersten Taten der Revolution. Nach mehrfachen Berichten ist man aber dort bereits wieder zur Akkordarbeit zurtickgekehrt, well man in ihr das letzte Hilfsmittel zur Errettung von der zunehmenden Arbeits unlust erblickt.
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