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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.12.1918
- Strukturtyp
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- 1918-12-19
- Erscheinungsdatum
- 19.12.1918
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- Deutsch
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X° 293, 19, Dezember 1918, Redaktioneller Teil, fremde — Bedürfnis ist also stets die Voraussetzung für das Entstehen eines Bedarfs. Bedarf kann daher weder an etwas bestehen, das nicht käuflich ist, noch an Dingen, die einzig in ihrer Art sind. Das Bedürfnis nach Freiheit kann bestehen, ein Bedarf an Freiheit nicht. Ein Kunsthändler könnte unter Umständen Wohl bon einem Bedarf an Böcklinschcn Gemälden sprechen, aber nicht von Bedarf an der Toteninsel im Original, Durch den »Gebrauch« wird nicht notwendigerweise Be darf erzeugt. Wir gebrauchen oder benutzen täglich eine Menge von Dingen, z, B, Werkzeuge, Wohnungen usw,, ohne daß da durch allein ein Bedarf erwächst. Dieser tritt erst auf, wenn zugleich ein »Verbrauch« (oder eine Abnutzung) erfolgt. Je geringer die »Vcrschleißung«, um so später tritt erst ein Bedarf ein. Bei einem Juwelenschmuck, der höchstens aus der Mode kommen kann, erzeugt das Tragen keinen Bedarf, oder erst nach Generationen, Dasselbe gilt von Liliencrons »hirsch lederner Reithof'«, die so dauerhaft ist, daß nur die »beinernen Knöpf« von jeder dritten Generation ihrer Träger etwa einmal erneuert werden müssen. Am andern Ende der Reihe steht etwa das Streichholz, das durch den jedesmaligen Gebrauch auch verbraucht wird. Man könnte also sämtliche Gebrauchs- gegenstände nach der Schnelligkeit ihrer Abnutzung durch den Gebrauch in eine Reihe ordnen, in deren Nullpunkt die durch den Gebrauch unberührt bleibenden Gegenstände Platz fänden; in deren Schmelzpunkt diejenigen, bei denen jeder Gebrauch zugleich Verbrauch ist. Je höher ein Gegenstand in dieser Skala steht, um so sicherer wird durch häufigen Gebrauch auch häufiger Bedarf erzeugt; umgekehrt aber wird bet den in der Skala tief unten stehenden selbst bei täglichem Gebrauch nicht von einem häufigen, geschweige denn »täglichen« Bedarf die Rede sein. Der schlichte goldene Reif, den ich ein Leben lang tagein tagaus am Finger trage, wird sicher täglich gebraucht. Deshalb wird doch niemand auf die Idee kommen, zu sagen, daß ich »täglichen Bedarf« an goldenen Trauringen habe. Durch die vorstehende Erörterung haben wir zunächst so viel fcstgestellt, daß die .Häufigkeit des Gebrauchs allein durchaus kein Maßstab ist für die Häufigkeit des Bedarfs, sondern daß diese durch die Stärke des Verbrauchs oder der Abnutzung ent scheidend beeinflußt wird. Um sicher vorwärts zu gehen, muß man sich vor allem hüten, die Frage des Bedarfs durch die der Eindeckung zu verwirren. Für die Häufigkeit der elfteren ist die etwaige Seltenheit der letzteren vollkommen belanglos, Wenn ich zum Kochen, oder im Winter zum Heizen täglich Kohlen verbrauche, so habe ich an ihnen »täglichen Bedarf«, gleichgültig, ob ich mir den nötigen Vorrat täglich vom Händler oder aus meinem Keller hole, der für «in halbes Jahr Vorrat enthält. Auch sei gleich hier eingeschaltet, daß man bei der Aus legung selbstverständlich alle Wortklauberei zu vermeiden hat. »Täglich« heißt nicht »an 365 Tagen im Jahr«, Täglichen Bedarf an Kohlen hat also auch, wer im Sommer nur auf Gas kocht; an Fleisch auch, wer zahlreiche Fasttage innehält. Die bisherige Untersuchung zeigt also, daß alle drei Unter begriffe völlig verschwommen sind. So wenig, wie aus der Häufung von Schatten Licht werden kann, so wenig vermag die Verknüpfung von drei Unklarheiten eine logische Klarheit zu erzeugen. Aber damit noch nicht genug! Der Begriff weist auch in sich eine klaffende Lücke auf, über das Wichtigste, das Subjekt dieses »täglichen Bedarfs« schweigt sich des Sängers Höflich keit vollständig aus. Wer hat denn eigentlich diesen täglichen Bedarf? Zunächst sollte man Wohl denken: jedermann, Mer jedermann hat einen täglichen Bedarf nur an ganz wenigen Gegenständen; abgesehen von Lust, Wasser und Licht, die ja vorläufig noch abgabenfrei sind, gehört dahin streng genommen nur Brot, Milch, Fette und allenfalls noch Kartoffeln, (An Kohlen z, B, besteht überall da kein täglicher, u. U, überhaupt kein Bedarf, wo man noch mit Holz zu Heizen gewöhnt ist.) Das hat der Gesetzgeber also sicher nicht gemeint. Aber was wohl sonst? Müssen wir wieder einmal den berühmten Normal menschen zu Hilfe rufen? Man vergegenwärtige sich nur ein mal die unendliche Mannigfaltigkeit des Bedarfs nach Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Beruf, Lebensgewohnheiten; nach Klima, Jahreszeit und nach manchem sonst, und man wird nicht im Zweifel sein, daß etwa von einem »normalen Bedarf des Durchschnittsmenschen« gar keine Rede sein kann. In ihrer Not greifen die Ausleger nach dem beliebten Kautschuk: »in weiten Kreisen«, »im allgemeinen«, »im großen Durchschnitt« oder »im großen Ganzen«, und was derartige schöne Ersatzstoffe, wenn Begriffe fehlen, mehr sind. Was können sie im vorliegenden Fall helfen? Sind Monatsbinden Gegenstände des täglichen Bedarfs? Man sollte es doch wohl meinen! Und doch hat zum mindesten die Hälfte der Menschheit niemals auch nur den geringsten Bedarf für sie. Sollte man nun aber darauf hinauswollen, einen Gegen stand dann als Gegenstand des täglichen Bedarfs anzusehen, wenn »große Gruppen« der Bevölkerung täglich Bedarf an ihm haben» so zeigt sich ein ganz kurioses Ergebnis; nämlich daß dann alles und jedes Gegenstand des täglichen Bedarfs ist. Und das hat der Gesetzgeber doch sicherlich auch wieder nicht gemeint! Es gibt keinen Gegenstand, der nicht von einem erheblichen Teil der Bevölkerung täglich gebraucht wird, der ihnen nicht völlig unentbehrlich ist. Denn jeder Gegenstand ist schließlich untrennbar eingefügt in das Wirtschaftsleben; Gegenstand von Handels- oder Gewerbebetrieb. Die Juweliere haben genau so gut täglichen Bedarf an Silber, Gold, Juwelen wie der Bäcker an Mehl, Milch, Butter, Und die Juweliere bilden so gut eine große wichtige Bcvölkerungsgruppe wie etwa die Sekt fabrikanten, Zuckerbäcker, Spitzenklöpplerinnen usw. Deshalb wird man ihre Erzeugnisse doch nicht zu den Gegenständen des täglichen Bedarfs rechnen wollen. Also auch dieser Ausweg findet sich versperrt. Nach allem ist es Wohl nicht zu viel gesagt, daß noch nie ein Begriff in die Sprache des Rechts eingesührt worden ist, der als Grundlage für eine einigermaßen sichere Rechtsprechung so vollkommen versagt, wie dieser Begriff der Gegenstände des täglichen Bedarfs! Wesentliches läßt er unbezeichnet; und was er bezeichnen will, vermag er nicht eindeutig zu umschreiben. Und diese Qualle von einem Begriff soll nun nach dem Willen des Reichsgericht auch noch möglichst »weit« ausgelegt werden. Das erinnert nun wirklich schon an das berühmte lange Loch, um das man nur Eisen zu gießen braucht, um eine Kanone zu erhalten. Wenn die Rechtsprechung, statt feste begriffliche Handhaben zu finden, in die leere Luft greift, wie hier, dann ist ihr damit nicht geholfen, daß ihr gestaltet wird, diese Luft zu komprimieren oder zu verdünnen. Diese Mängel sind natürlich durch ein noch so schönes Ver zeichnis der Gegenstände des täglichen Bedarfs nicht zu be seitigen, Es wäre veraltet, noch ehe es veröffentlicht ist, Strom des Lebens kann man nicht feste Grenzen sestlegen, in dem man mit den Schildbürger» Kerben in das Lebensschifflein haut. Es bleibt somit nur ein Wunsch und eine Forderung übrig: daß dieser völlig untaugliche Begriff mit größter Beschleunigung aus unserer Rechtssprache wieder entfernt werde. Er ist Logik- Kriegsersatz schlimmster Sorte! Es ist geradezu spaßig, zu sehen, was im Laufe der Zeit und im Drange der Geschäfte alles zum Gegenstand des täglichen Bedarfs abgestempelt wor den ist oder werden soll, und was nicht. Neben Büchern sind Dokumentenmappen, Spielwaren, Puppenwagen, Musikwerke Gegenstände des täglichen Bedarfs; Füllfederhalter — zahlen Luxussteuer! Wenn solcher Widersinn, um nicht zu sagen Un- sinn, zutage kommt, so ist darau nicht die Rechtsprechung schuld, sondern das Gesetz, Verliert der Richter den Boden unter den Füßen, wenn wie hier die vom Gesetz gebrauchten Begriffe leere Schemen sind, so muß er selbst dick Funktion des Gesetz gebers übernehmen — wenn auch vielleicht meistens unbewußt —, um überhaupt zu einer Entscheidung zu kommen. Dabei ist es dann nicht zu verwundern, wenn je nach Umständen und Per sönlichkeit die widerspruchsvollsten Urteile verkündet werden. Von Büchern können allenfalls die für große Teile der Bevölkerung ganz unentbehrlichen und täglich gebrauchten 75»
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