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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.10.1918
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1918-10-04
- Erscheinungsdatum
- 04.10.1918
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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Börs-E-Il s. d. Dtlch!,. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 232, 4. Oktober 1918. Das Buch als Siegesfaktor.*) Von Friedrich Wagner. Wenn einmal die Friedensglocken läuten und der Sieg in diesem ungeheuren Ringen an unseren Fahnen hängt, so werden im Rausch des Jubels oder auch im Jubel des Siegesrausches Stimmen aus vielen Berussständen erschallen, die für sich An teile am Siege beanspruchen. Da wird zuerst die Landwirtschaft, die so gnt zu jammern, aber auch sich zu rühren versieht, mit Stolz ausruscn, daß sic es war, die unser Volk nach der Absper rung von aller Einfuhr, entgegen allen Anzweiflungen, aus reichend ernährte, um durchhalten zu können. Da wird die Industrie austauchen und auch von sich behaupten, daß ihr der Hauptanteil am Siege zustehe. Die Arbeiterschaft wird auf ihre Wucht als Masse Hinweisen. Schule und Religion wer den auch nicht allzu bescheiden Zurückbleiben wollen. Während so in den ersten Friedensmonaten der allerdings unblutige Streit um die einzelnen Zweige der Friedcnspalme zwischen verschiedenen Parteien ausgesuchten wird, wird man die Produzenten der geistigen Literatur und ihren Impresario, das Buch, wie immer, vergessen. Produkte der Phantasie sind ja unfaßbare, unreale, schemenhafte Begriffe, wenn sie auch die Kunst des Druckers im Buche verewigt hat. Sie sind ja nur Wind, Nebel oder, wie jener Literaturberächter drastisch be hauptete, Winde, die an falscher Stelle ihrer irdischen Hülle entflohen. Und doch haben wir tausend Beweise, daß das Buch, natür lich nur als Vermittler, Flamme war zur todesmutigen Be geisterung, Trostspender, Grillcnvertreiber, Stärker für die Zag haften, Kraftquelle für die Verzweifelten. Wenn ein Kom- pagnieführer, der seinen Leuten mit Stellen aus Faust über die grausige Stunde des Trommelfeuers hinweghalf, und jener Bataillonskommandeur, im Zweifel über die Weisheit der menschlichen Ordnung, in noch verzweifelterer Stunde Cynismen aus Rabelais' Gargantua vorlas, um so seine Verachtung für alles, was Leben heißt, zu demonstrieren und im instinktiv rich tigen Glauben, damit der augenblicklichen Stimmung seiner im Kampf verhärteten Truppen am nächsten zu kommen, dürfen wir Bnchgcsellen nicht dann die folgende Heldentat dieser Truppe dem Buch zuschreibcn? Denn was wäre den heutigen Menschen Goethe und Rabelais, wenn nicht die Kunst des Buchdruckers wäre, die allein ihre Gedanken für Menschenzeiten festhalten kann, in Buchform gepreßt? Lacht nicht, Spötter! Und denkt daran, daß es heute, leider, noch Leute unter uns gibt, die von Goethe nicht mehr als den Namen kennen! Von Rabelais nicht mal diesen! Trotz des Buches! Und wenn es keine Bücher gäbe?! Was für eine wunderbare Wirkung des Buches bezeugt uns Max Barthel, der Arbcitcrdichter, mit seinem berühmt ge wordenen Gedicht »Goethe«! Es ist nur einer, der uns seine Gefühle, in grausiger Stunde den Hunger nach dem Buche, die über alles siegende Kraft des Buches zu schildern verstand. Aber wer möchte bestreiten, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß *> Der vorliegende Artikel, bestimmt, die Liebe und Wertschätzung, deren sich bnL Buch im Felde und daheim während des Krieges zu er freuen hat, in weitere Kreise zu tragen, ist von uns für die Pressc- korrcspondenz des Börsenvcrcins erworben worden und wird in der nächsten, Mitte Oktober erscheinenden Nummer abgedrnckt werden. Damit stellen wir den Artikel de» Herren Kollegen zum unentgelt lichen Nachdruck — mit ober ohne Quellenangabe — zur Verfügung, überzeugt, dast er besonders in de» Monaten vor dem Weihnachtsscste denen ein willkommenes, weil nicht aufdringliches Werbemittel sür das Buch sein wird, die der Meinung sind, daß man das Eisen schmie den müsse, solange es Heist ist. Gerade die gegenwärtige Zelt mit ihren sür seelische Werte empfänglicheren Sinnen sollte für die Aussaat benutzt werden, damit daS Buch nicht aus seiner bevorzugten Stellung verdrängt werde, wenn der Mangel an anderen Waren, sür die es heute vielsach als »Ersatz« dienen must, wieder behoben ist. Es wäre wahr scheinlich ein kaum wieder gnt zu machender Fehler, uns, weil heute Bücher stark begehrt werden, in Sicherheit zu wiegen und anzunehmcn, dast dies auch ohne unser Zutun in alle Zukunft so bleiben müsse. Red. Tausende und Abertausende, gleich ihm, dieselbe Erbauung schöpfen aus irgendeinem Buche, nur daß sie, die Wortlosen, es nicht auszudrllcken vermögen? Ich denke ferner an einen Gruppenführer, von Beruf Lehrer, einen persönlich seelensguten Menschen und Kameraden, aber dem immerhin rohen Kriegshandwerk physisch nicht gewachsen. . Er lag mit seinen paar Leuten in einer vorgeschobenen Sappe. Ununterbrochen prasselten die unheimlich schnell ansausenden Gcwehrgranaten auf diese Stellung nieder. Ihr Platzen schwirrte wie das wütende Gekläff zorniger Hunde umher. Und es will nicht enden. Da schleicht der arme Lehrer im vollstän digen Versagen der Nerven zum Führer der Nachbargruppe. »Kamerad, ich halt's nicht mehr aus! Die hören ja nimmer auf!« Ein gutes Wort von diesem beruhigt ihn einigermaßen. Aber der im Grabe» geduckt daherkommende Leutnant hat die ersten Worte gehört. Einen Augenblick starrt er auf den Unglück lichen, dessen Augen in krankhafter Erregung unruhig herum flackern. Aber auch er hatte den sonst guten Menschen liebge- wonnen. Mit einem Ruck greift der Offizier in die Tasche und zieht ein Buch hervor. »Gehen Sie zurück zu Ihren Leuten, Unteroffizier! Zwingen Sie Ihre Gedanken in das Buch! Bei der dritten Seite haben Sie gewonnen!« Ich will den Titel des Buches nicht verraten, um jeglichen Verdacht einer Reklame zu vermeiden. Bedrückt, schweigsam machte der Mann kehrt — und als die Ablösung kam, war er erstaunt, daß seine Zeit schon um war! Trotz andauerndem Prasseln der feindlichen Gewehr- granaten auf die Stellung! Wer war hier Sieger über zwei menschliche Schwächen, Krieg und Angst? Das Buch! In diesem Kriege wird sehr viel gelesen. Mehr als im gleichen Zeitraum des Friedens gelesen worden wäre. Und das ist eine gute Seite des Weltkrieges, worüber auch wir Buch händler uns freuen. Nicht,Mva aus egoistischen Gründen, son dern weil uns dadurch unsere Mission als Kulturvcrmittler er leichtert wird, auch für spätere Zeiten. Viele neue Freunde hat sich das Buch erworben. Aber doch nur durch die Langeweile des Stellungskrieges, werden Pessimisten antworten. Und wenn schon? Was ist Langeweile? Ist sie nicht wenn auch nur vor übergehendes Erschöpftscin oder gar Übersättigung aller üblichen begehrenswerten Dinge um uns und in uns? Ein augenblick liches Versagen unseres eigenen Jchs, seiner inneren Produktiv kraft? Ein toter Punkt in unserem inneren Dasein? In diesem Gefühl der Leere griffen die Menschen nach einem Buch, das sie sonst vielleicht nur gering geschätzt haben. Ist dies nicht das beste Zeugnis für das Buch? Wenn alles versagt — dann fin den die Menschen den Weg zum Buch! Dann ist das Buch dev Gedankenbringcr, und wo vorher geistige Ode war, schillern nun farbige Bilder, pulsiert in warmen Schwingungen wieder neuer Lebenssaft durch die Adern! Wenn doch diese Wertschätzung des Buches immer bleiben würde! Wenn doch auch die Menschen in ihren glücklichen Stun den sich des Buches erinnerten! Nicht erst dann, wenn die Last dunkler Gemütswolken oder das Unglück einer ganzen Genera tion auf ihnen lastet! Aber weil von Kriegern so viel nach dem Buche gegriffen wurde, meinetwegen auch nur aus Langeweile, deswegen hat auch das Buch seinen Anteil am Siege. Ich denke dabei gar nicht an jene Tendenzschriften zur Aufstachelung kriegerischer Leidenschaften, die in der Mehrzahl doch ihren Zweck verfehlen. Ich denke gar nicht an Kriegs- und Haßgesänge, da ihrer ein Volk in der Verteidigung überhaupt nicht bedarf. Gerade weil unsere besten Bücher, unsere Klassiker, tendenzlos und mit Aus nahme der der Befreiungskriege <Körner) sogar antikriegerisch wirken, weil sie objektiv allen Menschlichkeiten gegenüber den lesenden Kriegern nicht den unwahren Glauben bcibringen wol len, der Krieg sei das höchste Glück der Menschenkinder, weil sie seine im Grauen des Krieges erworbene gegenteilige Anschauung nicht störten, sondern vielfach ihr sogar entgegenkamen, haben sie ihn zum schönsten Vorsatz entflammt: im Kriege durch den Krieg den Krieg zu besiegen! Wenn es sein kann für immer! Wie Worte, in den Wald gesprochen, ein Echo Wecken, so soll ein gutes Buch, sollen die Worte, die aus ihm sprechen, in den Gefühlen des Lesers ein Echo finden. Und das wird immer dort L98
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