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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.07.1918
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1918-07-29
- Erscheinungsdatum
- 29.07.1918
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- Deutsch
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Rr. 174 (R. 85). Leipzig, Montag den 29. Juli 1918. 85. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Lehr- und Wanderjahre. Jugenderiimerungen eines alte» Buchhändlers. Leipzig 1856-60. Wenn ich darangehe, nach berühmten Mustern Jugenderin nerungen eines alten Buchhändlers niederzuschreiben, so treibt mich in erster Linie hierzu das eigene Bedürfnis. Es ist ja eine von den meisten Alten empfundene Tatsache, daß im hohen Alter die Erinnerungen der Kindheit und der Jugend sich auffallend gellend machen. Aus den Stahlkammern des Gehirns, wo sie lange ungestört ruhten, treten sie eindringlich und frisch hervor, als lägen sie so viele Jahre zurück, als sie Jahrzehnte zurück- reichen. Die Erinnerungen mittlerer und späterer Lebensjahre dagegen verschwimmen und können schwer zum Leben gebracht werden. So werden diese Klänge aus der Zeit der Kindheit und früher Jugend lebendig und beschäftigen den Geist vielleicht mehr, als gut ist. Das Niederschreiben soll sie bannen und zur Ruhe dringen. Wenn ich sie nun nicht für mich allein behalte, sondern sie sogar in diesem unserm Berussblatte zum Druck gebe, so kann dies nur seine Rechtfertigung in dem Umstande finden, daß sie Bilder und Persönlichkeiten unseres Berufs vorführeu, Zeugen einer für immer verschwundenen Welt und liebe, bedeutende Menschen, die Wohl verdienen, daß ihr Gedächtnis bei denen forilebt, die überhaupt für die Geschichte ihres Standes Inter esse haben. Endlich denke ich an die Jugend unseres Berufes. Es ist ihr vielleicht nicht unnützlich, zu sehen, wie wir Alten arbeiten und das Leben hinnehmen und nutzen mutzten, wie viel einfacher und schmuckloser wir daran waren, wie wir vieles, was heute ein jeder als selbstverständlich htnnimmt, entbehren mußten. Eitelkeit ist gewiß nicht dabet im Spiele. Ach, sie vergeht bei denen, die sich bereiten, ihr Lcbensbuch abzuschließen, ganz von selbst. Es kommt dazu, datz jeder, der Selbstbekenntnisse seines Lebens niederschreibt, gar viel Demütigender über sich selbst bekennen muß. Auch ich muß ein solches demütigendes, schmerzliches Ein geständnis an den Anfang meiner Erinnerungen stellen. Ich mutz in meiner Jugend nach allem, was ich weiß und was ich über mich erfahren habe, ein bitterböser Bube gewesen sein. Wenigstens in der Schule waren meine Erfahrungen und die anderer mit mir die denkbar ungünstigsten. Ich wüßte kaum eine gute Erinnerung meines Schullebens anzusühren, heitere genug, die aber mit dem Zwecke der Schule in krassem Widerspruch standen. Vielleicht kann mich der Umstand etwas entlasten, daß die Schule, die ich durch meinen Besuch erfreute, wirklich, auch nach den Erfahrungen anderer, in einem trostlosen, heutzutage ganz unmöglichen Zustand war. Einige Erinnerungen mögen das beweisen. Die Lehrer waren mit wenigen Ausnahmen alte im Schulstaubc verknöcherte Herren. Sie leierten jahraus, jahr ein ihr Pensum ab, zufrieden, wenn sie immer wiederholte trockene Regeln in die Gehirne ihrer Schüler einhämmcrn konn ten. Das gelang ihnen. Datz die Wörter auf is, panis, eriais, piseis, Lnis masaulliu goneris sind, datz die unglücklichen Verba auf (griechisch) aro, iro, aiuo, io», eo, ao, oo und euo keinen aoristus sacunckus haben, ist mir heute noch bewußt, aber irgend etwas über die Schriftsteller, die wir lasen, von Geschichte, Geographie, Naturwissenschast erfuhren wir nichts. Seiner der Herren gab sich die geringste Mühe, die Persönlichkeit und das seelische Leben seiner Schüler zu verstehen und zupslegen. Und welche Wohltat wäre dies doch einem armen Jungen gegenüber gewesen, der das größte Unglück, das einem Knaben widerfah ren kann, den geliebten Vater mit sechs Jahren zu verlieren, zu erleiden gehabt hatte! Schulanekdoten sind eine sonderbare Sache. Die ergän zende Dichtung macht sich oft zum Schaden der Wahrheit gel tend. Ich könnte ihrer viele erzählen. Einige, die wirklich wahr sind, will ich doch zur Beurteilung meiner Schule anfllh- ren. Meine früheste Erinnerung der Sexta ist, daß der Klassen lehrer und einzige Neuphilologe der Schule, meine Beine, mit denen ich, allen Mahnungen zum Trotze, fortwährend baumelte, mit Taschentüchern zweifelhafter Reinlichkeit an die Tischbeine band. Er mochte sich bald nicht minder langweilen als seine Schüler, denn er fing an, die Räderchen seiner Uhr auseinander zunehmen, sie zu putzen und vor sich hinzulegen. Das ging schnell genug, aber sie nun wieder einzusetzen, gelang ihm nicht, und zu unserm heulenden Triumph mußte er die unglückliche Uhr, in Papier gewickelt, davontragcn. Aber was ist diesem Herrn gegenüber die Gestalt des ehrwürdigen ewigen Quartus, der bei Lehrern und Schüler» den Spitznamen Staps führte I Wohl an zwanzig Jahre blieb er immer Quartus, während jüngere Kollegen zum TertiuS und Sckundus aufrückten. O Staps, wie vielen Spaß hast du Generationen von Schülern bereitet, denen du in langer Zeit die oben genannten Regeln wie Grund pfeiler alles Wissens einbläutest I Wie genau kanntest du deinen Spitznamen, was dich nicht verhinderte, wenn nach der Zwi schenstunde die ausgestellte Wache in die Quarta stürmte: »Staps kommt« rufend, in die Worte auszubrechen: »Ich habe es wohl gehört, wie ihr gerufen habt: der Herr Lehrer kommt! Habt euch wohl wieder gekeilt?« Staps war ein wohlhabender Mann und dabei Vater einer bildschönen Tochter: »Mei Minett- chen«. Minettchen heiratete den Besitzer einer noch heute glän zenden großen Druckerei und Verlagshandlung. Staps hatte wohl einen Teil seines Vermögens in dem Geschäft stehen und natürlich großes Interesse an seinem Gedeihen. Brach nun ein mal Feuer aus, so war es seine stete Angst, es könne im Eta blissement brennen. Ein Feuer im lieben alten Leipzig war damals ein anderes Ding als heute, wo kein Mensch er merkt. Damals war jeder Brand eine Art Volksfest. Er wurde wacker mit den Glocken gestürmt, Fahnen von den Kirchtürmen auSge- hängt, um die Richtung der Feuerstelle zu bezeichnen. »Se stürmen, Herr Doktor!« ertönten Stimmen. Staps stutzt. »Guck cmal zum Fenster »aus, wo de Fahne hinhängt«, sagte er zum Primus. Die Fahne mochte hinhängen, wohin sie wollte, die Antwort war gewiß: »Nu, so nach der Johannirkärche hin«. 4S7
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