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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.09.1908
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 02.09.1908
- Sprache
- Deutsch
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9256 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 204, 2. September 1908. Überproduktion in das Gebiet des Buchhandels, während die internen Reformen in einem Blatte Sache des Redakteurs bleiben müssen. An dieser Stelle ist ja die Überproduktion öfters — erst kürzlich wieder von Prager-Berlin — erörtert worden. Theoretisch mag ja die Sache feststehen, praktisch wird man immer zu berücksichtigen haben, daß jedes Buch und jede Zeitschrift eine Individualität ist (oder sein sollte) und daß jede Novität Bedürfnisse, die sie erst schafft, zu befriedigen in der Lage sein kann. * « »Die Überproduktion auf diesem Gebiete wirkt direkt unheimlich« — diese Worte, am Eingang eines Feuilletons der Frankfurter Zeitung stehend, beziehen sich nicht auf die medizinische, sondern auf die belletristische Literatur. Der Referent, Herr Kurt Aram, erschrickt vor dem Berge von Romanen, Erzählungen und Novellen, der sich vor ihm auf- türmt. Jeder, der gewohnt ist, täglich das Verzeichnis der Neuigkeiten im Börsenblatt durchzusehen, wird ihm dies nachfühlen können und den gewissenhaften Rezensenten, der so ungeheure Massen von Lesestoff zu bewältigen hat, eher bedauern als beneiden. Wodurch wird diese Kalamität herbeigeführt? »Durch die sogenannte Bildung, das Lesen- und Schreibenkönnen.« Aber gegen wen richtet sich haupt sächlich die Anklage des Herrn Aram? Gegen die Verleger. »Was lesen und schreiben kann läßt es sich einige hundert Mark kosten und druckt sich. Wir haben jetzt glücklich in Deutschland schon eine ganze Reihe von Verlegern, die fast ausschließlich von diesen Schreibereien leben und gut leben, denn die Autoren müssen die Druckkosten tragen, und diese Kosten werden nicht zu niedrig berechnet.« — Die Verleger, auf die Herr Aram hier anspielt, sind bekannt, jeder Lehrling wäre wohl in der Lage, einige zu nennen. Auch daß sich die Schriftsteller, wenn sie nach Jahr und Tag die oft begehrte Abrechnung erhalten, über das ungünstige Resultat und die angebliche Verkürzung ihrer Ansprüche beschweren, ist nicht neu, muß aber nicht in allen Fällen zu Ungunsten des Verlegers gedeutet werden. — Es entsteht nun die Frage, ob der Kommissionsverlag, selbst verständlich der reell betriebene, ganz zu umgehen ist. In den Verlagskontorcn spielt sich folgende Szene immer wieder ab: Der Verleger findet, daß der vorgelegte Roman, die Novelle oder dergleichen dem Inhalte nach uninteressant, der Form nach unkünstlerisch sei. Er will also sein Geld für eine, wie er meint, aussichtslose Sache nicht riskieren und lehnt den Verlag für eigene Rechnung ab. Wenn er dazu bemerkt, daß er auch nicht geneigt sei, das Werk in Kom missionsverlag zu nehmen, so meint der Autor: Sie halten einen Erfolg für unwahrscheinlich; Ihr Urteil in allen Ehren, aber ich bin der entgegengesetzten Meinung. Ich will das Buch auf meine Kosten drucken lassen. Ich appelliere gegen Ihr Urteil an das Publikum; dieses wird die Vorzüge meiner Erzählungskunst nicht unbeachtet lassen. Sie werden es mir nicht unmöglich machen wollen, berühmt zu werden. Goethe hat seinen Götz auch auf eigene Kosten drucken lassen. Andere gönnen sich den Luxus eines Reitpferdes oder eines Automobils; mein Luxus hat doch ein ideales Ziel. Es kann für Sie als Geschäftsmann nur verlockend sein, ein Geschäft ohne Risiko zu machen; Sie können dabei nur gewinnen. — Den großen Aufwand für Bekanntmachung, Versendung, Verbuchung, Verpackung der Novität schlägt der Autor nicht an und ist von vornherein überzeugt, daß nur Engherzig keit und Kleinlichkeit einen andern Standpunkt einnehmen. Ein Jahr später, und in den weitaus meisten Fällen hat der Verleger recht behalten. — Er hat ja nichts für mein Buch getan, sagt der Autor zu seinen Freunden. — * * * »Da die Gegenwart eine Zeit literarischer Überproduk tion ist « Du mußt es dreimal sagen. Die Worte entnahm ich einem Heftchen, welches das Referat widergibt, das der verdienstliche Sekretär des Wiener Volksbildungs vereins, Herr Wilhelm Börner, am 7. Delegiertenrag des Zentralverbandes der deutsch-österreichischen Volksbildungs vereine am 28. März 1908 über das Thema »Die Schund literatur und ihre Bekämpfung« erstattete. Der Autor fühlt die Verpflichtung, vorerst die Frage: Was ist Schundliteratur? zu beantworten: »Jene Literatur, die in besonders hohem, merklichem Grade die Tendenz in sich birgt, die Menschen psychisch zu schädigen«. Diese Erklärung könnte manche Einwendungen Hervorrufen und zu manchen Debatten Anlaß - geben. »Die pornographische Literatur«, fährt Börner fort, »ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Schundliteratur, nämlich jener Teil, der speziell die vit» 8sxukttis — im weitesten, also im psychischen und ethischen Sinne — zu schädigen geeignet ist«. Der Referent begreift also unter Schund literatur: sensationslüsterne Romane und Reisebeschreibungen, nervenaufpeitschende und von wilder Phantastik strotzende Schauer-, Detektiv- und Kriminalromane, laszive, Per versitäten schildernde Machwerke, frivole Dramatik und der Cochonnerie dienende Witzblätter. Gesteht der Autor wohl zu, daß der Kolportagehandel — an geblich 43 000 Kolporteure, denen 20 Millionen Käufer entsprechen — auch sehr gute, sogar ausgezeichnete Literatur verbreitet, so macht er diesen Vertrieb doch in erster Linie verantwortlich für den Absatz von Schundliteratur. Die Auflage solcher Romane betrage 10 000, oft 100 600 und nicht selten sogar 250 000 Exemplare. »Der Scharfrichter von Berlin« soll einen Umsatz von drei Millionen Mark erzielt haben. Höchst bedenklich sei der Absatz der frivolen Bücher bei der Jugend. Berliner Buchhändler sollen auf eine Umfrage geantwortet haben, daß die eifrigsten Käufer speziell der lasziven Schundliteratur Mädchen zwischen zwölf und siebzehn Jahren seien. Bei einer Reihe von Gerichtsfällen soll der erwiesene Einfluß der Schund literatur auf den jugendlichen Verbrecher von den Richtern ausdrücklich als Milderungsgrund geltend ge macht worden sein. Wohl zu bemerken sei auch der nationalökonomische Schaden, da die meisten Kolportage romane aus 100—300 Heften bestehen, von denen eins jedoch durchschnittlich 10 Pfennig kostet, somit der Roman auf 10—30 Mark zu stehen kommt. Der Referent wirft nun die Frage auf: Wie bekämpft man die Schundliteratur? Durch Polizei, Gericht oder durch eine eigene Zensurbehörde? Die Mißgriffe der Polizei sind bekannt; sie sieht mitunter bei flagranten Verletzungen der Sittlichkeit durch die Finger, wenn wirtschaftliche Interessen, ergiebige Steuerquellen in Betracht kommen, und verfolgt andererseits Kunstwerke, die sie irrtümlich als obszön ansieht. Also vielleicht Volksgerichtshöfe oder Sachverständigengerichte, wobei man in der Auswahl der Sachverständigen möglichst weit gehen sollte. Im Verlaufe seiner Auseinandersetzungen regt der Berichterstatter die Schaffung von Buchhändlerkammern an — ähnlich wie die Arzte- und Advokatenkammern —, die das Verlegen und Vertreiben von Schundliteratur als unhonorig erklären sollten. Ob dies nicht ein Schlag ins Wasser wäre? Würden die so Gemaßregelten, wenn mit dem Urteil keine materiellen Nachteile verbunden wären, nicht ähnlich wie die gescholtenen Rekruten eines Wiener Regiments sagen: Schimpfen tut nicht weh, und von Grobheiten kriegt man keine blauen Flecke. Die wirksamste Hilfe — damit schließt der Bericht — liegt doch nur in der Massenverbreitung guter Literatur. Das wird wohl jedermann gern unterschreiben.
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