Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.03.1878
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 04.03.1878
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-18780304
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-187803041
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-18780304
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1878
- Monat1878-03
- Tag1878-03-04
- Monat1878-03
- Jahr1878
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Nichtamtlicher Theil. 879 stimmt gefaßten Wunsch haben, und denen, die bescheidentlich um Rath und Hilfe bitten, liegen aber nun eine ganze Reihe von Spielarten in der Mitte, die zu den minder willkommenen gehören. Eine mehr komische als unangenehme Species bilden die, welche zwar genau so hilfsbedürftig sind, wie die oben geschilderten, aber sich etwas zu vergeben glauben würden, wenn sie diese Hilfsbedürftigkeit eingestehen sollten. In der Regel ver- rathen sie aber augenblicklich durch die Fassung ihres Wunsches das, was sie verbergen möchten. Diese Species findet sich z. B. häufig auf Uni versitäten unter Leutchen, die sich im ersten Stadium des Gelehrten dünkels befinden, kommt aber nicht selten mich noch in Höheren Stadien vor. Da kommt z. B. der jugendliche Geschichtsforscher, der Tags zuvor in das „Historische Seminar" eingetreten ist, und verlangt stolz: „Geben Sie mir den Bebel". Er glaubt dem Bibliothekar natürlich gewaltig im- ponirt zu haben, hat vielleicht gar den.kleinen, boshaften Hintergedanken, ob wohl der arme Bibliothekar außer dem Drechslermeister August Bebel auch noch den berühmten Humanisten des 16. Jahrhunderts Heinrich Bebel kennen werde, von dem ihm gestern der Herr Professor einiges er zählt hat. Aber das Blättchen wendet sich schrecklich. Dem stolzen För derer wird stillschweigend im alphabetische» Katalog der Name Bebelius vorgelegt, und nun sieht er zu seinem Schrecken, wie unsterblich er sich blamirt hat. Die Schriften Bebel's füllen im Kataloge eine Folioseite, und er hatte „den Bebel" verlangt, etwa so wieder Sextaner von seinem Mitschüler sich „den Ellendt" ausbittet! Es ist gewiß recht überflüssig, seine Anfängerschaft in dieser Weise verhüllen zu wollen, denn lernen müssen wir ja alle, und dazu gehört, daß man den Muth hat, sich zu blamiren. Es ist aber auch unklug, denn in den meisten Fällen merkt man Absicht und ist zwar nicht verstimmt — im Gegentheil oft im Stillen erheitert —, aber auch nicht sonderlich aufgelegt, dem kleinen Wichtigthuer zu dienen. Eine harmlose Classe und mit der eben genannten verwandt bilden auch noch die Schüler höherer Lehranstalten, die dann und wann sich ein Herz fassen, auf die öffentliche Bibliothek zu gehen, um sich die deutsche Uebersehung des eben in der Schule tractirten griechischen oder lateinischen Autors, irgend ein Buch, aus dem sie ein Stückchen des aufgegebenen deutschen Aufsatzes abschreiben möchten, und andere erlaubte oder uner laubte Hilfsmittelchen auszubitten. Der erstcren suchen sie in der Regel auf diese Weise habhaft zu werden, daß sie zunächst zwei, drei Ausgaben des betreffenden Autors verlangen, „womöglich mit lateinischen An merkungen," dann erst mit der Miene der reinsten Unschuld, als ob es ihnen im Augenblicke nur gerade so einfiele, den Hauptwunsch nach bringen. Die zweite Art von Wünschen, zur Unterstützung beim deutschen Aufsatz, verräth sich wieder sofort durch ihre Einkleidung; sie nennt eben einfach das Thema, dem sie nur bisweilen, eben um es nicht als solches zu verrathen, eine urkomische Fassung gibt. Da bittet der eine um „eine Biographie des Nestor", ein zweiter um „eine deutsche Kulturgeschichte, worin besonders die Sitten der alten Deutschen recht ausführlich behandelt sind" — es handelt sich natürlich um einen Aufsatz über die „Germania" des Tacitus —, ein dritter lieber gleich um ein Buch „über das Mystische im Wallenstein". Man geht den armen Schelmen an die Hand, soweit man es vor seinem Gewissen verantworten zu können glaubt; ini Uebrigen hält man sie sich in möglichster Entfernung. Fatalere Kunden sind die, welche mit lächerlichen Zumuthungen anrücken. Hierher gehören vor allein die Büchertiger, die ein seitenlanges Verzeichniß von Büchertiteln präsentircn und thun, als ob sie dreißig oder vierzig Bücher gleichzeitig neben einander benutzen könnten. Ferner die, welche das Thema zu irgend einer ihnen ganz fern liegenden Arbeit aus der Luft gegriffen haben und vom Bibliothekar verlangen, daß er ihnen die gesammte darüber bereits eristirende gedruckte Literatur auf dem Präsentirteller vorlegen, die eigentliche Hauptarbeit also, das Aus spüren und Zusammentragen des Materials ihnen abnehmen soll, damit sie dann hübsch beguem aus elf Büchern das zwölfte zusammenstellcn können. Da bittet ein Herr -b. „um gütige Zusammenstellung der Literatur über Ludwig den Heiligen", ein Herr N- um Sophokles' Antigone, und zwar die Ausgaben von Erfurdt, G.Hermann, Boeckh, Wunder, W.Dindvrf, Schneidewin, Meineke, Seyffert „und was sonst etwa noch für Ausgaben vorhanden sind", ein Herr Z., ein pcnsionirter adliger Major aus der be nachbarten Provinzialstadt, der sich auf seine alten Tage vor lieber Lange weile noch ans das Schriftstellern legen will, sucht brieflich nach, „ihm gefälligst alle diejenigen im Besitz der Bibliothek befindlichen Bücher bezeichnen zu wollen, in denen er etwas über die Geschichte seines Ge schlechtes finden kann". Aehnliche Zumuthungcn sind es, wenn der Bibliothekar ans einem Sammelwerke oder einer Zeitschrift von fünfzig Jahrgängen, aus der sechzigbändigen Gesammtausgabc eines Schrift stellers dem Entleiher eine einzelne Schrift heraussuchcn soll, bloß weil dieser zu bequem gewesen ist, beim Abschreiben des Citates sich die Zahl des Bandes zu »otiren. Um alle diese Käuze befriedigen zu können, müßten unsere öffentlichen Bibliotheken das zehnfache Personal haben. In der Regel finden denn auch derartige Wünsche nur sehr partielle Erfüllung oder werden wohl auch, wie der Brief des Herrn Majors, einfach all uota gelegt. Bedenkt man, wie oft obendrein hinter solchen naiven Zumuthungen keineswegs ernstes wissenschaftliches Interesse, sondern nur oberflächliches Gelüsten, bloße Neugierde steckt, so müßte man ein Thor sein, wenn man die kostbare Zeit an die Befriedigung derselben wenden wollte. Man nehme folgenden, so gut wie alle anderen, aus der Praxis geschöpften Fall. Ein junger Kaufmann wünscht irgend einen Aufsatz von Voltaire zu lesen, dessen Titel er angibt. Die Ge- sammtausgabe von Voltaire's Schriften hat 71 Bände. Man führt also den Bittsteller an den Standort und fordert ihn auf, sich den ge wünschten Aufsatz herauszusuchen. Wie er die lange Reihe Bände stehen sieht, bekommt er plötzlich Beklemmungen und empfiehlt sich mit den Worten: „Nein, nein, so ängstlich ist es nicht, ich brauche ihn nicht so nöthig." Der Bibliothekar also soll sich hinstcllen und eine Viertelstunde lang blättern, um einen Wunsch zu befriedigen, mit dem es dem Wünschen den so wenig Ernst ist, daß er selbst keine Minute an seine Erfüllung zu wenden Lust hat. Die unerfreulichste, aber leider sehr zahlreiche Sorte von Bibliotheks benutzern sind die, welche auf Bibliotheken suchen, was sie eigentlich nicht suchen sollten, deshalb, weil sie es anständigerweise besitzen müßten. Es ist unglaublich, was für Bücher alles auf öffentlichen Bibliotheken begehrt werden, und von was für Leuten! Zwar ist es nicht wahr, was ein deutscher Feuilletouist dem andern nachschreibt, daß in Frank reich und England mehr Bücher gekauft würden, als in Deutschland, daß jeder gebildete Franzose und Engländer eine gewählte Bibliothek als eine Zierde seines Hauses betrachte. Die Litcrarstatistik hat längst nachgewiesen, daß Deutschland, mit Abrechnung Oesterreichs und der Schweiz, jährlich etwa 50 Procent Bücher mehr producirt als Frank- kreich und England, daß diese Uebcrlegenheit vor allem in der streng- wissenschaftlichen und in der populärwissenschaftlichen, keineswegs aber in der eigentlichen Bibliotheksliteratur besteht, daß im Gegentheil in der letzteren die Engländer uns um 10 Procent voran sind, daß end lich das deutsche Bibliothekswesen, einzelne Städte ausgenommen, gegen das englische verhältnißmäßig bedeutungslos ist. Trotzdem läßt sich nicht hinwegleugncn, daß täglich bei uns auf öffentlichen Bibliotheken Wünsche angebracht werden, die der Bittsteller nicht ohne Erröthen aussprechen sollte. Das Bild von der vornehmen und reichen deutschen Frau, die heute in ihrem Hause ein üppiges Mahl veranstaltet, bei dem der Wein in Strömen fließt, und morgen die Zofe in die Bibliothek schickt, um sich den neuen Moderomau in einem Exemplar holen zu lassen, nach dessen Benutzung sie sich die Hände mit grüner Seife reinigen möchte, ist oft genug gezeichnet worden. Aber auch unter dem wissenschaftlich gebildeten Publicum, welches wissenschaftliche Literatur ans Bibliotheken sucht, ist zum guten Theil dieselbe mcsquinc Gesinnung verbreitet. Freilich ist der deutsche Gelehrte im Durchschnitt ein armer Teufel, der aus die Ergänzung seiner Privatbibliothek im Jahre nicht eben große 122*
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder