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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.07.1913
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1913-07-12
- Erscheinungsdatum
- 12.07.1913
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- Deutsch
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- Saxonica
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7190 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 159. 12. Juli 1913. etwa wagen, einen Boccaccio, Shakespeare oder Voltaire aus der Literatur auszuscheiden? Wer würde es wagen, ein »Tage buch einer Verlorenen« auszumerzen, ein Werk, von dem inner halb zweier Jahre zirka 200 000 Exemplare abgesetzt wurden! Oder wohin sollen wir Casanova einreihen, wohin die galanten Abenteuer anderer, deren Werke ernste Literatur bedeuten? Und wer würde sich getrauen, die wissenschaftlichen Werke zu verban nen, welche, in unrichtige Hände gelangt, verderblich werden können, eigentlich aber riesige Fortschritte in der Entwicklung der Menschheit bedeuten? Die Kraft der Umgestaltung fehlt leider selbst dem besten Buche. Würde es diese Macht besitzen, so müßten wir bereits zu jener idealen, höchsten Vollkommenheitsstufe gelangt sein, über die hinaus es keine Entwicklung mehr gibt. Und ebenso wie dem guten dürfen wir auch dem schlechten Buche, der Schundliteratur, keine allzu große Wirkung beimcssen. Es ist Wohl nur ein Zeichen menschlicher Schwäche, wenn wir die Verantwortung auf das Buch zu wälzen trachten, dem Tausende Bildung, Wissen und Kultur verdanken. Der sich in dünne, die Formen scharf herbortretenlassende Seidenstoffe hüllende Körper oder ein moderner Tanz, bei dem sich der nur notdürftig verhüllte Frauenleib eng an den Leib des Mannes schmiegt, all das erweckt hundertfach mehr erotische Gedanken als viele pornographische Bücher. Jene Mutter, die ihre 16jährige Tochter derart kleiden läßt, daß durch das Kleid hindurch die Formen des Körpers bis ins kleinste Detail zu er kennen sind und wobei das enganliegende Kleid wahrhaftig die Rolle der Kupplerin ersetzt, bringt den 16jährigen Jüngling in größere Versuchung als so manches Buch, vor dessen schädlicher Wirkung wir ihn zu bewahren uns ängstlich bemühen. Der Ge danke an diesen Anblick, der sich überall oft genug bietet, erweckt in mir unwillkürlich die Frage, ob Wohl die Menschheit, die den Kult ihres Körpers derartig öffentlich zur Schau trägt, auch wert ist, daß wir uns hier um sie bemühen, indem wir Wege und Möglichkeiten zum Schutz gegen das Buch suchen, gegen dieses in der Verbreitung der Unzüchtigkeit gewiß harmloseste Mittel. Ich wiederhole und betone, daß ich es borziehen würde, den 16jährigen Knaben lieber in eine Bibliothek von nur porno graphischen Büchern zu stellen, als daß ich ihn die Straßen irgend einer Weltstadt passieren ließe, wo die Begierde, mit ihren sämtlichen Abarten, mit der Ehrlosigkeit, Roheit, Gewissenlosigkeit nach ihren Opfern haschend, ihm an allen Ecken und Enden aus lauert. Es ist daher natürlich und erklärlich, daß auch die Literatur von der Liederlichkeit nicht unbesudelt bleiben kann und daß die gewissenlose Literatur sich ihrer ebenso bedient, wie es die Mode tut, daß die durchbrochenen Seidenblusen Pornographie zur Folge haben, nie aber umgekehrt. So schwierig es ist, den Begriff der Pornographie zu bestim men, ebenso schwer ist es, Maßnahmen gegen die unzüchtige Lite ratur zu treffen, und besonders schwierig ist die Lage des Buch händlers inmitten dieses Bestrebens. Schwer deshalb, weil der anständige Buchhandel, obwohl er an der Erzeugung und Ver breitung der Schmutzliteratur keinen Anteil nimmt, doch nach außen als Mitschuldiger der unwürdigen Kollegen dastchen muß. Wie sehr er sich auch von der Verbreitung dieses gedruckten Schmutzes fernhält, vermag er doch nicht sie zu hemmen, da es zur Genüge geheime und öffentliche Wege gibt, auf denen die Einschmuggelung dieser Literatur nicht nur in die Kreise der Eingeweihten mit Erfolg betrieben werden kann, sondern auch neue Liebhaber gewonnen werden können. Der wirkliche Buchhändler wird niemals versuchen, sich da- mit zu verteidigen, daß er nicht wußte, was das von ihm zum Verkaufe angebotene Buch enthält, da er dies unbedingt wissen muß und da die eigentliche Pornographie viele äußere und innere Kennzeichen besitzt, aus denen er es sehr bald er sehen mutz, daß er das betreffende Werk nicht verkaufen oder wenigstens nicht in die Hände von Unreifen gelangen lassen darf. Ebenso wird der vornehme Buchhändler auch niemals wissentlich Pornographie verlegen. Ein wunderschönes, ja sozusagen er greifendes Beispiel des wirklich großzügigen Berussbuchhändlers sehen wir in Friedrich Perthes, in dessen Lebensbeschreibung ich folgendes lese: »Als im Jahre 1825 die große Vereinigung deutscher Buchhändler unter dem Namen »Börsenverein« zu Leipzig zu stande gekommen, suchte vor allen Perthes die Ehre dieser für das geistig-sittliche Leben der Nation so wichtigen Körperschaft zu erhalten. Als 1827 ein schmutziges Werk von einem deut schen Buchhändler verlegt und verbreitet worden war, trat er in einer von 200 Mitgliedern des Vereins besuchten Ver sammlung mit den Worten auf: ,Die Ehre des deutschen Buch handels ist durch diesen Unflat beschmutzt, der Verleger dieses Werkes ist ein gefährlicher Mensch, und jede Buchhandlung würdigt sich herab, die ein solches Werk verbreitet. Darum möge der Deutsche Börsenverein im Namen des deutschen Buch handels ein Zeugnis ablegen und der Börsenvorstand die zur Stelle befindlichen Exemplare der Schmutzschrift öffentlich zer reißen lassen. Und in ähnlichen Fällen möge das gleiche ge- schehen, damit die Ehre des deutschen Buchhandels aufrecht er halten werde? Der angeschuldigte Verleger war selbst zugegen. Einen Augenblick schwiegen die Anwesenden still, betroffen über das Gefühl der eigenen moralischen Macht, dann stimm ten alle bei, und am folgenden Tage vernichtete der Börsen vorstand wirklich in förmlicher und feierlicher Weise die vorhandenen Exemplare der schmutzigen Schrift. Der betreffende Verleger verklagte zwar Perthes, aber das Gericht sprach ihn frei.« Dies wäre natürlich das radikalste Mittel zur Verminderung der unzüchtigen Literatur; wie selten geschieht es aber, daß die edle Entrüstung eines Einzelnen eine ganze Korporation und auch das Gericht mit sich sortreitzt! Und dann dürfen wir nicht außer acht lassen, daß es sich in diesem Falle sicherlich uni absolut feststellbare Pornographie handelte, wann ist dies aber von einem anderen Buche mit Bestimmtheit festzustellen? Darin liegt eben die Schwierigkeit, daß diese Feststellung, die Bezeichnung der Grenzlinien zwischen Pornographie und wissenschaftlicher Literatur geradezu unmöglich ist. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Wirkung der Porno graphie auch ganz der individuellen Disposition unterliegt. Es gibt sehr viele Menschen, die selbst gegenüber der derbsten Porno graphie gefühllos bleiben, wie es wieder andere gibt, auf die schon die Ansicht einer nackten Abbildung oder einige erotische Zeilen ihre Wirkung ausüben, ebenso wie es auch Leute gibt, die für die sexuelle Aufklärung einstehen, andere aber, die hiervon den Ruin der Jugend befürchten. Und ebenso wie es Sache individueller Disposition ist, welche Wirkung die Obszönität auf irgendjemand ausübt, ist es auch eine subjektive Sache, was man für Pornographie hält oder nicht. Die Gerichtsbarkeit selbst ist in dieser Hinsicht schwankend. Das Los verschiedener Bücher aus verschiedenen Zeitabschnitten bezeugt es, wie sehr deren Beurteilung den jeweiligen Anschau ungen und äußeren Einflüssen unterliegt und durch diese be einflußt wird. Diese Ungewißheit zieht sich wie ein roter Fade» durch die Prozesse, die auf dem Gebiete der Literatur und Kunst um die Pornographie immer wieder zu entstehen pflegen. Da her kommt es, daß, wo immer sich die Gerichtsbarkeit bisher in diese Angelegenheit hineinmengte, die jedesmal als ein unbefugtes Eindringen in die heiligen Haine der Literatur und der Kunst betrachtet wurde, und das Schlußresultat war stets — wir halten diesmal bloß das Gebiet der Literatur vor Augen —, daß von dem gebrandmarkten Buche jedesmal eine weit größere Anzahl abgefetzt wurde, als es der Fall gewesen wäre, wenn die Auf merksamkeit des Publikums nicht darauf gelenkt worden wäre. Das Auftreten der Staatsanwaltschaft verlieh den in den meisten Fällen wertlosen literarischen Werken das Gepräge des Sensatio nellen, sehr oft auch solchen Werken, die man sollst gänzlich über sehe» hätte. Der Verleger versieht heute ein derartig beanstandetes Werk mit einer Schleife, auf der er mit Stolz verkündet, daß gegen das betreffende Buch wegen dieser und jener Ausdrucke von der Staatsanwaltschaft einProzeß anhängig gemacht worden war, daß es jedoch aus Grund des Gutachtens einer literarischen Kommission i siortsetzung aus Seite 7227.)
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