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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.04.1905
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 29.04.1905
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- Deutsch
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.ffk 98, 29. April 1905. Nichtamtlicher Teil. 4067 fünfzigjährigen Bestehens der Anstalt ausgesprochen hat, durch meinen Herrn Vorgänger gerückt worden ist. Meine hochverehrten Herren! Ich bin mir recht wohl bewußt, daß unsre Arbeit nur dann rechte Früchte tragen kann, wenn Schule und Haus, Lehrer und Lehrherren sich zu gemeinsamem Wirken im Dienste unsrer Jugend zu sammenschließen, und ich darf mich gewiß von Ihnen aller wohlwollenden Förderung und helfenden Teilnahme versichert halten. Aber ich weiß auch recht wohl, daß Sie alle an der Spitze großer buchhändlerischer Unternehmungen stehen, und glaubte daher meine Aufgabe falsch aufzufassen, wenn ich Sie wegen jeder Kleinigkeit im Schulleben behelligen würde und nicht vielmehr versuchte, mit meinen jungen Leuten in den weitaus meisten Fällen, sei es im Guten, sei es im Bösen, selbst auszukommen. Aber ich kann doch nicht umhin, Ihnen schon heute einen kleinen Wunschzettel zu unterbreiten, wie ihn reifliches Nachdenken und das Interesse für meine Schüler mir eingibt. Meine Herren! Wir leben in einem Zeitalter des Subjektivismus, der seinem Wesen nach darin besteht, daß, im Gegensatz zu früher, dem Subjekt, dem einzelnen empirischen Ich, ein hoher Eigenwert zuerkannt wird, während er auf wirtschaftlichem Gebiet die freie Konkurrenz bedeutet. Daraus ergibt sich die Forderung der Ethik sowohl für die Schule als auch für Sie, meine hochgeehrten Herren, den Schüler um seiner selbst willen so tüchtig fürs Leben vorzubereiten, daß er jederzeit im Wettbewerb mit seinesgleichen erfolgreich bestehen kann. Verfolgt man diesen Gedankengang logisch weiter, so führt er zu der unabweis baren Pflicht, daß die Buchhandlungslehrlinge in ihrem eignen Interesse unbedingt angehalten werden müssen, das volle Lehrziel unsrer Anstalt zu erreichen, wozu aber der drei jährige Besuch derselben erforderlich ist. Der Entschluß, die Lehrlinge auch das dritte Jahr zur Schule zu schicken, wie das schon durch deren Organisation vorgesehen ist, dürfte Ihnen aber wesentlich erleichtert werden dadurch, daß der Schulausschuß in höchst dankenswerter Weise und mit ge höriger Sachkenntnis bereits die Initiative ergriffen hat, nächste Ostern mit der Einführung fachlichen Unterrichts zu beginnen, und zwar handelt es sich zunächst um einen Lehrgegenstand, den ich mit dem allgemein verständlichen deutschen Namen als Buchgewerbekunde bezeichnen möchte. Und damit trete ich schon einer Frage näher, von deren Lösung meines Erachtens das künftige Schicksal, zum mindesten die gedeihliche Weiterentwicklung unsrer lieben Schule abhängen wird. Seit mehr als 250 Jahren ist von den einsichtsvollsten Pädagogen und Philosophen das psychologisch begründete Fundamentalprinzip der An schauung aufgestellt worden und längst zur allgemeinen Anerkennung gelangt. Für jede der Leipziger Schulen, hohe wie niedere und mittlere, wird daher alljährlich im Haushalt plan der Stadt ein bestimmter Betrag ausgeworfen, damit gemäß jenem Prinzip das nötige Anschauungsmaterial beschafft werden könne, und keine hiesige Lehranstalt leidet fühlbaren Mangel daran. Nur die Leipziger Buchhändlerschule hat nichts, rein gar nichts an Lehrmitteln auszuweisen, obgleich sie bereits auf ein mehr als halbhundertjähriges Bestehen zurückblicken kann. Hier gilt es offenbar, lang Versäumtes nachzuholen, und wer es wohlmeint mit unserer Anstalt, wird mir beipflichten müssen und mir gewiß gern auf diesem Wege seine Unterstützung leihen. Wenn irgendwo, so muß das erforderliche Anschauungsmaterial gerade hier in Leipzig, der Zentrale des deutschen Buchhandels, zu beschaffen sein, u. a. nötigenfalls oder nebenbei so, daß wir unsere Schüler selbst in hervorragende Etablissements des Leipziger Buch gewerbes sowie in das benachbarte Buchgewerbemuseum führen. Und in engem Zusammenhangs damit steht es, wenn ich mich unterwinde, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß unsre Schule trotz ihrer fünf Jahrzehnte noch keine Bibliothek besitzt für die Hand der Schüler. Man wird geneigt sein mir entgegenzuhalten, daß unsre jungen Leute ohnehin tagtäglich in Buchhandlungen beschäf tigt find und abends in der Regel die Erledigung der Schulaufgaben zu besorgen haben. Zugegeben, daß dem so sei, so ist doch darauf zu bemerken, daß die Bücher, mit denen es die Lehrlinge im Geschäft zu tun haben, oft gar nicht zur Privatlektüre geeignet sind, und ferner, daß begabte, gute und fleißige Schüler gar oft noch eine Stunde oder zwei für das Lesen eines guten Buches zu erübrigen vermögen, zu allermeist an den Sonn tagen und in den verschiedenen Ferien, die wir alljährlich haben. Ob unsre Schüler lesen würden und wollen? Sicher; aber die Schule muß ihre Lektüre leiten! Ich vermag mir in der Tat keinen unsrer angehenden Buchhändler zu denken, dem ich Gustav Freytags »Aus einer kleinen Stadt« oder Scheffels »Ekkehard« oder irgend ein andres gutes Werk mit in die Sommsrferien gegeben hätte, und der es mir bei sonst anregendem Unterricht in der Literatur un gelesen wieder zurllckbrächte. Und wer wollte leugnen, daß ein hoher religiöser, moralischer, kulturhistorischer, ästhetischer und sonstiger Gewinn für die Erkenntnis und die gesamte Lebens- und Weltanschauung unsrer jungen Männer aus einer recht sorgfältig ausgewählten und betriebenen Lektüre erwüchse, ein Gewinn, der die gebrachten Opfer reichlich auswöge und ihnen und dem Leipziger Buchhandel, ja dem ganz Deutschlands in der Form erhöhter Tüchtigkeit Ihrer Gehilfen zugute kommen müßte! Ach, meine sehr ge ehrten Herren, daß Sie es doch nicht für unziemlich halten möchten, wenn ich Sie schon in dieser Weihestunde bescheiden bitte, mir geeignete Werke zur Begründung einer Bücherei für alle braven Schüler unsrer Anstalt recht bald zu überweisen. Ich werde nicht verfehlen, Ihnen mit Freuden im nächsten Jahresbericht meinen wärmsten Dank für alle gütigen Zuwendungen dieser Art abzustatten. Und nun noch ein kurzes Wort an Sie, liebe Schüler! Ich habe nun schon zwei Jahre mitten unter Ihnen gestanden und oft schon rechte Freude empfunden über die wackere Haltung und die anerkennenswerten Leistungen einzelner Klassen. Ich bitte Sie, meine Schüler, kommen Sie mir mit Vertrauen, mit unbefangenem, offnem Gemüt entgegen, damit ich Ihnen, je länger, je mehr, mit Ernst oder Milde, ein Freund, ein Berater und Helfer sein kann. Ich hoffe zu versichtlich, daß Sie mir und allen Lehrern die Erfüllung unsrer Pflichten nicht erschweren, sondern pünktlich sich fügen und uns, sowie dem treu für Sie sorgenden Schul ausschuß, Ihren hochverehrten Lehrherren und Ihren Eltern Freude, unsrer Anstalt aber jetzt und allezeit Ehre bereiten werden. So, meine hochverehrten Herren und lieben Schüler, stehe ich vor Ihnen, von Idealen erfüllt und von der Be deutung meiner Aufgabe durchdrungen; ich weiß, daß schwierige Arbeit meiner harrt, und daß nicht immer das Erreichte dem Erstrebten und der aufgewandten Mühe ent sprechen wird. Dann aber will ich nicht kleinmütig ver zagen, sondern mit dem Dichter denken und sagen; »Der Mißerfolg sollt' mich erschlaffen? Sporn sei er mir in meinem Gleise, Weit tücht'ger als bisher zu schaffen. Der rechte Mann hält niemals still, Ob's biegt, ob's bricht, allein Gott will!» Amen.
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