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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 19.12.1912
- Strukturtyp
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- 1912-12-19
- Erscheinungsdatum
- 19.12.1912
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285, IS. Dezember 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel, 16165 Der englische Roman erlebt jetzt trübe Tage und wird von allen Seiten angegriffen. Die eine Partei schreit Zeter und Mord, daß der jetzige Roman nur für Kinder berechnet sei, die geschilderten Charaktere nur Marionetten wären, die wirklichen Lebensprobleme kaum berührt würden und der Aufbau nach uralten Regeln fabrikmäßig hergestellt würde. Neue Ideen und lebenswahre Schilderungen seien verpönt. Wehe dem Schriftsteller, der etwas Neues bringe, dreimal wehe dem, der das Leben so male, wie es sich wirklich ab spielt: er verfällt dem Bann der Presse und der Leihbiblio theken, so daß sein Verleger den Roman als Makulatur ein stampfen lassen kann. Die andere Partei, aus Pädagogen und Geistlichen aller Schattierungen bestehend, ruft dagegen Ach und Wehe über die verderbte Richtung der heutigen Ro mane, die alles Heilige und überkommene in den Kot ziehe und die Überlieferungen einer älteren, ehrbareren Zeit lächerlich mache. Die goldene Zeit des englischen Romans, die eines Dickens, eines Thackerah, einer Eliot sei vorbei, die Neueren hätten weder Stil noch Handlung, und von einem geschickten Aufbau sei gar nicht mehr zu reden. Man spräche über Sachen, die man in guter Gesellschaft überhaupt nicht er wähne. Der Erzbischof von Uork, vr. Lang, hat neuerdings sich dieser Partei angeschlossen und seinen Bannstrahl gegen die neuere Richtung geschleudert. Er spricht von »Lloare^eck Riotion« (triefäugiger Romanliteratur) und deren verderb lichen Einflüssen auf die Heranwachsende Generation. »Die Romanschriftstellerei des zwanzigsten Jahrhunderts«, sagt er wörtlich, »ist von dem Geschlechtsproblcm behext und schildert es nicht in der althergebrachten Weise mit glücklichem oder traurigem Ausgang, sondern nur seine sinnlichen Äußerungen im menschlichen Leben.« Natürlich hatte er mit diesen Worten in ein Wespennest gestochen, und die stets auf Skandal dres sierte »vail^ dlail« wandte sich an verschiedene Schriftsteller, Verleger usw. mit der Bitte, sich zu dieser Frage zu äußern. Mr. William Heiuemann, einer unserer bedeutendsten Verleger, sprach Seiner Erzbischöflichen Gnaden jede Kompe tenz ab, die neue Romanliteratur zu beurteilen. »Ich glaube nicht«, sagte er, »daß der Erzbischof viele Romane liest, oder daß er vieles von der Rationalliteratur kennt! War es nicht Balzac, der behauptete, daß es nur drei Geschichten gäbe, die erste handle von einem Mann und einem Weib, die zweite von einem Mann und zwei Weibern und die dritte von zwei Männern und einem Weibe? Ich kann nicht glauben, daß der Erzbischof alle Romane auf das Wiederholen der ersten Geschichte beschränken will. Das Geschlecht ist der einzige Gegenstand, den der Romanschreiber behandeln kann. Alle Romane sind daraus gegründet, und eine Geschichte ohne Lie- beskonflikt würde kein Roman sein.« Ein anderer Verleger, Mr. Werner Laurie, sagt, der moderne Romanleser wünsche, daß der Roman sich mit aktuellen Lebensproblemen be fasse. Geschichten aus der Großväterzeit finden unter dem modernen Publikum keinen Anklang. Romane wie die »Rair- elülck Rawilz-« ziehen nicht mehr. Messrs. Chapman L Hall behaupten, daß der Erzbischof ganz recht habe, ihre Firma mache es sich zur Richtschnur, keine unsittlichen Romane zu veröffentlichen. Eine andere Autorität gab den weiblichen Schriftstellern schuld, daß so viele unmoralische Bücher veröffentlicht wür den. Persönlich möchte ich die Ansicht des Verlegers Stanley Paul für die einzig richtige halten. Mr. Paul sagt, er stimme ganz und gar nicht mit dem Erzbischof über ein. »Die sentimental angehauchten Romane des letzten Jahr hunderts hatten einen viel verderblicheren Einfluß auf den Charakter (falls Romane überhaupt den Charakter beeinträch tigen können!), als die realistischen Werke unserer Tage. Die Romanliteratur hat in Wirklichkeit keinen Einfluß auf die Moral, sie schildert nur einen bereits bestehenden moralischen! Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. Standpunkt. Was das Behextsein anbetrisft, so steht die ganze Literatur und Kunst unter dem Banne einer besonderen Idee. Das als Grund gegen den Roman in das Feld zu führen, ist unsinnig, da ja ein Roman auch im Banne vollkommen moralischer Eigenschaften stehen könnte. Wer aber möchte Wohl ein solches Buch durchlesen? Alle Schriftsteller suchen mit Vorliebe das Anormale auf, wie es ja auch der Durch schnittsmensch macht. Der Charakter einer Nation muß da nach beurteilt werden, ob er Widerstandsfähigkeit gegen das ihm nicht Zuträgliche, das Böse, besitzt, und man nützt ihr nicht, indem man sie in Unkenntnis läßt und die Dinge anders färbt als sie sind.« Die bekannte Schriftstellerin Annie Swan führte in einer längeren Rede in Hitchin aus, daß der von dem Erzbischof gegen die neue Richtung der Romanliteratur geschleuderte Bannstrahl eine große Ungerechtigkeit sei. Die Strömung in der Lite ratur, »perverse Unsittlichkeiten« breitzutreten, sei im großen und ganzen überwunden. Die weiblichen Schriftsteller, die hauptsächlich von Seiner Gnaden beschuldigt würden, hätten diesen Vorwurf nicht verdient. Sie wären sich ihrer Aufgabe und Verantwortung Wohl bewußt, und ihr Zweck und Ziel sei, gesunde und gedankenticfc Erzählungen zu schreiben. Mau muß zugeben, daß diese Bedingungen in den zwei neuen viel besprochenen Büchern aus weiblicher Feder erfüllt wor den sind. Richard Dehan, die Verfasserin des »Dop vootor«, hat sich in »Rotrveen tvo Tbiove«, was Schürzung des Knoten und Stil anbelangt, selbst übertroffen. Die Er zählung ist in die Viotorian Lern verlegt und macht den Leser mit den neuen sich in England Bahn brechenden Ideen bekannt. Die Schlüsselnote des spannenden Buches ist »Krieg«. - Eine andere Tendenz hat der neue Roman von Sarah Grand, der Verfasserin der einst Aufsehen erregenden »Reo vensv Tvins«. »Lckuam's Orebarck« ist die Geschichte des eng lischen Probinzlebens, wie es sich jetzt in England abspielt. Selbstverständlich kommen die Liebeskonflikte zwischen Mann und Frau, wie sie das moderne Leben zeitigt, zur Sprache, und der Standpunkt der modernen Frau wird gebührend gewürdigt. Beide Romane erschienen in dem rührigen Verlag von Messrs. Heinemann zu dem gewöhnlichen Preise von 6/—. Am meisten Aufsehen macht das Werk »Tbe Rrivate Rite »k Reorv Nuitlanck«, vv Norlox Roderts (Eveleigh Nash 6/—). Eine wahre Flut von Zeitungspolemik hat sich über dieses Buch er gossen, und große Schriftsteller wie Thomas Hardy sahen sich veranlaßt, ihre Ansichten darüber zu äußern. Dieser Roman gehört zu der Art von Schlüsselromanen, die mehr das Anrecht auf den Namen einer Biographie verdienen. Mr. Roberts erzählt das Privatleben seines Freundes George Gissing , der in der englischen Romanliteratur der letzten zwanzig Jahre einen hervorragenden Platz einnahm. Alle Verirrungen des unglücklichen Verfassers von »dlev 6rub 8treet« werden uns vorgeführt. Als Schüler einer höheren Lehranstalt vergriff er sich an dem Eigentum seiner Mit schüler, um einem armen Mädchen, zu dem er eine tiefe Liebe gefaßt hatte, die notwendigsten Lebensbedürfnisse zu beschaf fen. Für diesen jugendlichen Leichtsinn wurde er mit Gefäng nis bestraft. Diese entehrende Strafe hing während seines ganzen Lebens wie ein Damoklesschwert über ihm, sie trieb ihn aus seinem Vatcriande nach den Vereinigten Staaten, wo er längere Zeit als Klempner und Reporter sein Leben fristete. Rach seiner Rückkehr nach London heiratete er die arme Jenny, die sich inzwischen dem Trünke ergeben hatte und sein Leben zu einer wahren Hölle machte, so daß er sie^ verlassen mußte. Er bewilligte ihr eine wöchentliche Rente aus seinem hart er worbenen literarischen Einkommen, bis ein barmherziger Tod sie dahinrafste. Dann trat er zum zweitenmal in den Stand der Ehe, die nicht glücklicher war, als seine erste; er verließ Sl02
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