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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.05.1905
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- Erscheinungsdatum
- 11.05.1905
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- Deutsch
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^ 108, II. Mai 1905. Nichtamtlicher Teil. 4161 Kern der Menschheit, jene sind die Blüte und das Blatt. . . Unsere Sprache wird die Welt beherrschen!« Anders als Schiller es dachte, hat sich sein Propheten wort erfüllt. Aber wie hätte das Schwert das Herrliche zu vollbringen vermocht, wäre nicht der Geist, der es lenkte, gestählt worden im Bade der großen Gesinnung, die für ewige Güter das Leben einsetzt, um ein höheres Leben dem einzelnen und der Allgemeinheit zu erringen. Der Weg der ästhetischen Erziehung, den uns Schiller führen wollte, leitet durch die Schönheit zur sittlichen Frei heit, und au seinem Ziel erblickte er einen Zustand der menschlichen Gesellschaft, wo jeder freudig sich dem Gebote der Pflicht gegen sich und die andern fügt. Selbstsüchtiges Begehren, niedere Sinnenlust, Neid und Habgier verstummen. In dem Mitmenschen achtet jeder sich selbst. Die Kunst, zuvor die Lehrerin der Menschheit, der sie Bilder einer besseren und schöneren Welt vorspiegelte, braucht nicht mehr einer niederdrückenden Gegenwart zu entfliehen. So sah Schiller die Zukunft, als er von der Erde schied. Und noch zwei Mcnschenalter hindurch ist der schöne Traum geträumt worden, als sei es der Macht des Gedankens möglich, die Menschen mit sanfter Hand in das Reich des Friedens und der Freude einzufllhren, dort Ivo die Millionen sich als Brüder umschlingen mit dem Gelübde: Bruder, galt es Gut und Blut — Dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Liigenbrutl« Mit Recht reden wir von einem Erwachen des deutschen Volks, als es sich auf seine höchsten nationalen Aufgaben besann und mit festem Entschluß des Wirklichen Herr zu werden suchte. Wir wollen nicht darum klagen, daß wir den Weg verließen, den Schiller und seine großen Zeit genossen uns weisen wollten, und daß Schiller der Kunst unsrer Tage, wenn sie ihr eignes Fühlen wahrhaft versinn lichen will, nicht mehr Vorbild und Norm sein kann. Wir würden uns der Unwahrheit, der leeren Phrase schuldig machen, wollten wir heute in Schiller den Vorkämpfer der Gegenwart feiern und versuchen, mit übel angebrachtem Drehen und Deuteln seinen Worten einen Sinn abzuzwingen, den er ihnen nie geben wollte. Ja, es würde nicht einmal gut sein, wenn wir in Schiller noch den höchsten Ausdruck unsers Fühlens und Denkens fänden, weil es unserm Volk nicht zur Ehre ge reichte, wenn es jetzt noch auf demselben Punkt der Ent wicklung stände, in demselben Gedankenkreis sich genügen ließe, der vor hundert Jahren sein geistiges und politisches Dasein umspannte. Wir wollen uns dessen freuen, daß dem nicht so ist, daß neue große Aufgaben im öffentlichen Leben und in der Geisteswelt emporgewachsen sind. In den jammervollen Tagen des Deutschen Bundes richteten sich unsre Väter an dem hehren Idealismus Schillers auf und ließen sich von ihm hinausführen in ein schöneres Sein, Wir haben jetzt gelernt, daß ein erhabener Sinn das Große im Leben selbst suchen darf. Wir sind nicht gesonnen, um eine verlorene bessere Welt zu klagen, das irdische Los des Schönen nur im Untergang erfüllt zu sehen, wir erkennen im Gegen wärtigen unser Glück und unsre Pflicht, Aber es wäre weit gefehlt, wollte man daraus schließen, daß Schillers Sendung erfüllt sei oder seine geschichtliche Bedeutung durch den Zeitraum begrenzt werde, da das Empfinden seines Volkes in seiner Dichtung den höchsten Ausdruck fand. Seine Erscheinung sinkt nicht hinab in das unerfreuliche Schattendasein der Geister, die das Totenreich der Geschichte aufnimmt, zu einem freudlosen Schweben zwischen Sein und Nichtsein, Er bleibt uns lebendig. Ein neuer, zweiter Tag im Leben des Unsterblichen ist ange brochen, weit Heller und schöner als der erste. Hat er früher nur seinem Volk und seinem Zeitalter gedient, so tritt er hinein in die kleine Schar der Propheten, der Bildner und Sänger, deren Andenken in ihren Werken unsterblich, jede neue Generation begeisternd, fortlebt. Über Zeit und Raum erhaben stehen ihre Namen mit ewigen Lettern in dem goldnen Buch verzeichnet, das die Schaffer neuer Werte die Erfllller alter Sehnsüchte nennt. Über die Aufnahme eines Großen unter diese Schar der Erlesenen entscheiden nicht die Zeitgenossen und Enkel, Nicht die Liebe und der Dank einer Nation, nicht der mächtige Einfluß auf ihre Entwicklung fällt ins Gewicht, sondern es wird gefragt nach den Geistestaten, die noch den letzten Enkeln als unvergängliches Erbe verbleiben. Was ist nun das Dauernde, das Unverwelkliche in jenem Kranze, der Schillers edles Haupt schmückt? Er wird geflochten aus Gedichten und dramatischen Werken, aus geschichtlichen und philosophischen Schriften, Mit den Blüten von farbenfroher künstlerischer Pracht einigen sich die reisen Früchte Uesen Denkens, und unter all der Schönheit verborgen die Dornenzweige des Leids, des Mangels, des harten Kampfes mit der Not und der Krankheit, Am unmittelbarsten, am persönlichsten wirken bei einem Goethe die lyrischen Gedichte, In sie ergoß der Götter liebling die Freuden und die Schmerzen alle, die gewaltigen, die ihm geschenkt waren. Anders Schiller! Mit stolzer Scheu verbirgt er vor den Augen der Welt das Leid, als schäme er sich der Berührung mit der irdischen Notwendigkeit, Zuerst, in der Jugend, trägt es ihn mit gewaltigem Schwung hinauf in die Sphäre der Begeisterung, oder mit zynischer Derbheit verhöhnt er diese Welt der gemeinen Sinnlichkeit, Die Liebe, das Hauptgebiet aller Lyrik, wird für ihn zu einem Wirbel widerspruchsvoller Empfindungen, die niemals das reine Glück der Hingabe und des Besitzens gewähren können. Die Seele schwillt in ekstatischen Wonnen, denen die Wirklichkeit kein Äquivalent bieten kann. In steter Selbstzucht ebben sich die wilden Wogen, Um sich selbst als Künstler für die hohe Aufgabe zu bilden, der Menschheit ihr reines Abbild darzubieten, läutert Schiller seine große Seele von den Schlacken des Hasses, triebhafter Sinnlichkeit und unklarer Schwärmerei, In dem Gedicht -Die Künstler« wird die neue Auf gabe gestellt und in der philosophischen Poesie der folgenden Zeit erfüllt. Ein hohes, reifes Denken soll sich jetzt in der edelsten Gestalt so darbieten, daß der Reiz der Form die mühevoll errungenen Ergebnisse verhüllt und in anmutiges Spiel auflöst. Die schönsten Vorstellungen aus der antiken Mythologie müssen diesem deutschen, modernen Denken als edle Schale dienen, die -Klage der Ceres«, das »Eleusische Fest«, das -Verschleierte Bild zu Sats« und eine Reihe von Sprüchen höchster Weisheit, die »Vubuluo votivao«, sind staunenswerte Denkmäler dieses Bestrebens, Aber der fremd artige Stoff und die Schwere des Gedankengehalts haben ihnen die Volkstümlichkeit im höchsten Sinne versagt. Diese wurde unter Schillers Gedichten den großen Balladen zuteil und neben ihnen vor allem dem Liede von der Glocke, das wir mit dem Namen, den Schiller einem andern Gedicht zuerst verleihen wollte, das deutsche »Bürgerlied« nennen dürfen. Ausgelöscht ist hier alles, was an eine fremde, von außen empfangene Kultur erinnert. Als Gemein besitz erscheint die edle Humanität, die Reife des Denkens und die Seelenschönheit, umgesetzt nicht in große, heroische Taten, sondern sich bewährend in der Erfüllung Börsenblatt kür den deutschen Buchhandel. ?2. Jahrgang. 589
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