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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 22.03.1876
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 22.03.1876
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- Deutsch
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Seemann'schcn Erörterungen bei dieser Ueberzeugung stehen bleiben muß, so sind die Gründe dafür folgende: Kein Kunststyl wird von allen Völkern auf die genau gleiche Weise gepflegt und ausgebildet; jedes Volk, das überhaupt künst lerisch befähigt ist, drückt dem Styl, den es irgendwoher aufnimmt, seinen unverkennbaren Stempel auf; so erhielt auch die Gothik bald nach ihrem Auftreten in den verschiedenen Ländern verschiedene Aus bildung; jedes der sie ausbildenden Völker machte sie durch die ihm eigenthümliche Art der Ausbildung zu seinem geistigen Eigenthum, die deutsche, französische, englische, italienische Gothik: sie alle tragen den Stempel des sie ausbildenden Volksgeistes an sich und die deutsche Gothik ist ebenso unbestreitbar Eigenthum des deutschen Geistes, wie die französische das des französischen. Hr. Seemann ist Renaissanceverehrer! Wohlan die Re naissance ist auch nicht deutschen Ursprungs! Ist aber deshalb die, von dem deutschen Volksgeiste so höchst eigenthümlich gebildete liebenswürdige deutsche Renaissance etwa kein Eigenthum des deutschen Geistes? Ist sie etwa eine Afterrenaissance? Hr. Seemann wird diese Art, daß ein Volk ihm ursprünglich Fremdes zu seinem geistigen Eigenthume macht, um so eher anerkennen, als er in seiner Entgegnung eine Stelle aus Dürer's Biographie von Thausiug abdruckt (und dadurch sanctionirt), welche besagt, daß Dürer die Renaissanceschrift durch die von ihm vorge nommenen Umbildungen zu seinem geistigen Eigenthume ge macht habe. Nun wohl! Auf ganz gleiche Weise hat der deutsche Volksgeist die der Gothik entstammende Fracturschrift mit Geist von seinem Geiste versetzt, ihr seinen unverkennbaren Stempel auf gedrückt und sie zu seinem ausschließlichen Eigenthume gemacht; es ist somit nichts gerechtfertigter, als die Behauptung, daß die Fractur ein Kunstproduct des deutschen Geistes ist; so sicher, wie cs die deutsche Renaissance ist, obwohl diese wieder ihr letztes Ende in der Antike zu suchen hat; so sicher, wie Schinkel's Bauwerke Eigenthum des Schinkel'schen Geistes sind, obwohl dieser Meister seine Kraft in den Quellen der griechischen Kunst schöpfte! Wie könnte es auch anders sein? Glaubt Hr. Seemann im Ernste, daß das deutsche Volk durch Jahrhunderte hindurch eine Schrift pflegte und liebte, die dem deutschen Geiste fremd wäre? Die deutsche Fractur von heutzutage hat mit dem altfranzösischen Ursprünge der Gothik nichts mehr zu thun; sie ist durch und durch deutsch geworden (so wie die lateinische Schrift durch Dürer's Um bildungen sein geistiges Eigenthum, also Dürer'sche geworden ist), und ich komme auf die Behauptung meines ersten Aufsatzes zurück, daß es zu beklagen wäre, wenn in der Fractur ein Kunstproduct deutschen Geistes beseitigt würde. Muß ich demnach über das „Ob" dieser Beseitigung bei meiner ursprünglichen Ansicht verbleiben, so möchte ich mir noch ein paar Worte über das etwaige „Wie" dieser Beseitigung gestatten. Nach Hrn. Seemann ist diese Beseitigung sehr einfach; die größe ren Zeitungen beginnen mitderAntigna, die kleineren folgen nach und in kurzer Zeit hat das Volk den „Ballast" der Fracturschrift in die „Rari tätenkammer" geworfen und vergessen. Eine derartige Illusion ist denn doch etwas zu groß! Man betrachte doch nur, wie unendlich klein die von der Antiqua bis jetzt beherrschten Gebietstheile im deutschen Schriftwesen sind gegenüber denjenigen, wo die Fractur ihren Platz hält! Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß die deutsche periodische Presse eines einzigen Monats, soweit sic in Fractur gedruckt ist, genügt, um der äußern Ausdehnung nach ^ sämmtliche im Laufe eines Jahres erschienenen Erzeugnisse, die in Antiquaschrift gedruckt werden, auszuwiegcn. Natürlich muß diese viel größere quantitative Intensität (man verzeihe die beiden verflixten, aber bezeichnenden Fremdwörter), womit die Fractur auftritt, auch eine viel größere Wirkung auf die Anschauung des Volkes haben, und die Behauptung, daß die Antiqua im großen Ganzen dem Volke noch fremd gegenüber stehe, die ich in meinem ersten Aufsatze brachte und die mittlerweile in einem gleichzeitig er schienenen ausgezeichneten Artikel vonDaniel Sanders im„Dahcim" auch von diesem tiefen Kenner des deutschen Schristwesens gethan wird, dürste daher viel Wahres enthalten. Der Landmann, der Arbeiter, der Bibel, Gesangbuch und Ka lender im Hause hat, der sein einfaches Blättchen liest, der Gebil detere und besser Situirte, der seine Classiker im Schranke stehen hat und sich dann und wann ein unterhaltendes oder belehrendes Buch kauft oder ein belletristisches Blatt hält und seine politische Zeitung liest, diese Leute finden alle diese Erzeugnisse in Fractur gedruckt und kennen die Antiqua dem Namen nach fast gar nicht, der Sache nach vielleicht durch vereinzelte Zeitungsannoncen, ein Firmenschild oder eine Visitenkarte u. s. w. Für solche Leute, die doch die weitaus größte Masse des Volkes bilden, ist die Antiqua überhaupt von untergeordneter, nebensächlicher Bedeutung, die Fractur dagegen die täglich vor den Augen erscheinende Haupt- und Cardinalschrift. Alle diese Leute würden bedeutend große Augen machen, wenn ihnen eines Tages ihre Zeitung, ihr Unterhaltungs blatt statt in der gewohnten Fracturschrift in Antiqua vorgelegt würde; kein Mensch würde die Nothwendigkeit und Nützlichkeit dieses Schrittes einsehen und das Benehmen der fraglichen Redac tion sehr sonderbar finden, wenn sie plötzlich mit Aufdrängung einer Schrift käme, die Niemand gewollt hat, zur vermeintlichen Besei tigung vermeintlicher Uebelstände, die das Volk gewöhnlich gar nicht empfindet, denn die Zweiheit der Schriftformcn ist für den größten Theil des Volkes, wie oben gezeigt, gar nicht oder nur in verschwindendem Maße vorhanden. Fühlen sich die Gegner der Fractur dennoch stark genug, eine so ungeheure Umwälzung des Schristwesens zu versuchen, nun wohlan, so mögen sie einmal praktisch Vorgehen! Die Undurchführbarkeit der Reform wird sich dann bald zeigen und der Streit auf dem Papiere damit ein Ende nehmen. Vor hundert Jahren war ja auch der Kampf gegen die arme Fractur bis zum Fanatismus gestiegen; sie sollte unbedingt vertilgt werden! Sie besteht aber heute noch in kräftiger Blüthe und wurzelt fest in dem Boden des Volksgeistes. So wird auch der diesmalige Sturm machtlos an ihr vorbeiwehen! Zum Schlüsse seien mir noch einige persönliche Bemerkungen verstattet. Hr. Seemann setzt seiner Entgegnung ein Motto voraus, das mir zeigt, daß er der Meinung ist, ein Sprachlehrer sei sein Gegner. Dem gegenüber erlaube ich mir zu bemerken, daß ich weder Sprachlehrer noch Sprachgelehrter bin, sondern beides mei nem Vater vr. Booch-Arkossy überlasse; cs war mir freilich erfreu lich, daß mein Vater die Ideen, die ich in meinem ersten Aufsatze entwickelte und ohne sein Vorwissen in Druck gab, auf Grund seiner langjährigen buchdruckerischen und wissenschaftlichen Erfahrungen im Wesentlichen als richtig anerkennen zu müssen glaubte. Im klebrigen hat mein Vater weder früher noch jetzt etwas mit der Sache zu thun gehabt. Ich selbst bin also weder Sprachforscher noch Buchhändler (wenigstens jetzt nicht mehr) oder Drucker und erlaubte mir nur, die Frage an dieser Stelle einmal von einem allgemeineren Gesichtspunkte aufzufassen, als es wohl für gewöhnlich geschieht; die maßlosen Angriffe auf die Fractur erschienen mir ungerecht und ^ unbegründet und ich gestattete mir deshalb, sie zu beleuchten, mit dem Lichte, wie es sich eben im Kopfe eines schlichten, jungen Men schen aus dem Volke vorfindct. Wenn man mich deshalb einen „Fracturomanen" nennt, so irrt man; ich habe keineswegs ähnliche Vertilgungsideen gegenüber der Antiqua an dcnTag gelegt, wie die Verfechter der Antiqua dies gegenüber der Fractur regelmäßig thun,
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