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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.03.1876
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 06.03.1876
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- Deutsch
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5< 6. März. 8.?5 Nichtamtlicher Theil. Wir sagen: keinen Grund hierfür gibt es, und wir wollen nun in Kürze einige der Hauptargumente, die die Gegner in dieser Beziehung aufstellen, näher beleuchten. Was zunächst die Raumfrage betrifft, so wird schwerlich Jemand in der Welt sein, der ein großes volkswirthschaftliches Unglück darin sieht, wenn dadurch, daß eine Bibel statt mit Antiqua mit Fractur schrift gedruckt wird, einige Bogen Papier mehr erforderlich sind. Darüber, ob die Antiqua- oder die Fracturschrift schädlicher für das Auge sei, ist eine Autorität ersten Ranges, vr. Sanders, anderer Ansicht als der Verfasser des Artikels in Nr. 48. Nach Sanders ist im Gegenthcil das Lesen der Antiquaschrift weniger vortheilhaft für das Auge, als dasjenige der Fracturschrift. Die Jntcrnationalitätenfrage anlangend, so muß auch der eifrigste Verfechter der Antiquaschriftsciuführnng zugeben, daß die selbe so lange nicht bestimmend auf die Entschließungen des deut schen Volkes in dieser Beziehung einwirken kann, als die Russen, Griechen, Türken, Armenier, Araber, Serben u. s. w. fortfahren, ihre Schriftzeichen beizubehalten. Die Behauptung endlich, daß das Ausland sich mehr um die deutsche Literatur kümmern würde, wenn wir andere Schriften hätten, muß erst noch bewiesen werden; für jetzt steht fest, daß wohl nur deshalb so wenig deutsche Zeitungen und Bücher im Auslande gelesen werden, weil die Ausländer meist viel zu träge und thcil- weise auch viel zu wenig beanlagt sind, um deutsche Sprachstudien mit Erfolg zu treiben; der Ausländer aber, der einmal die deutsche Sprache ernstlich studiren will, erlernt auch mit Leichtigkeit, ja mit einer gewissen Vorliebe sogar die deutsche Schrift. So hat z. B. Schreiber d. Z. bei den vielen ausländischen Schüler», die im Laufe der Jahre die Anstalt seines Vaters besuchten, stets die Beobachtung gemacht, daß diese ausländischen Zöglinge gerade die ihnen viel interessanter vorkommende deutsche Schrift mit Vergnügen erlernten und ihren höchsten Stolz darein setzten, ihren Eltern einen sauber geschriebenen deutschen Brief zuschicken zu können. Abgesehen von dieser Einzelheit muß cs auch im Allgemeinen als eine sonderbare Zumuthuug an ein ganzes Volk angesehen wer den, wenigen Tausenden Ausländern zu Liebe eine Umwälzung seines Schriftstzstems vorzunchmen; warum schlägt mau dann nicht lieber gleich vor, eine andere deutsche Sprache einzuführen, die den Ausländern beim Erlernen recht mundgerecht sei? Das einzige Capitcl der Pluralbilduug im Deutschen bietet dem Ausländer hundertmal mehr Schwierigkeiten bei Erlernung der Sprache, als die Fracturschrift! Nein, kein vernünftiger Grund liegt vor, um das deutsche Volk zur Beseitigung der Fracturschrift zu veranlassen, zur Besei tigung eines Kunstwerkes, in das es seit Hunderten von Jahren seinen Geist, sein Herz und sein Gemüth gelegt hat und dem der Stempel seiner Eigenheit unverlöschlich aufgcdrückt ist. Daß dies nicht leere Phrasen sind, lehrt die einfache Erwägung, daß bisher für diejenigen Geistesproducte, die zu der Phantasie, dem Herzen und dem Gemüthe des Volkes sprechen sollen, die Antiquaschrift nicht mit Erfolg verwandt werden konnte; für weniger gemüthlich ansprechende Werke, wie Abhandlungen über Borstenwürmer oder gynäkologische Aufsätze, für strengwissenschaftliche Werke überhaupt oder für Preiscourante, Kurszettel und Wechselformulare mag ja die Antiqua verwandt werden; aber man komme dem Volke nicht mit Romanen, Gedichten u. s. w., die in Antiqua gedruckt sind. Schon an den Zeitungen würde die Einführung der Antiqua bedenk lich sein; das hübsche, gemüthlichc, interessante Aussehen unserer Blätter, in denen sich alles freundlich durcheinander bewegt und doch klar abhebt, würde womöglich dem gähncncrrcgenden, langweiligen Anblick einer „Times" oder dem nachlässigen Aussehen eines fran zösischen Blattes (versteht sich eines aus derClasse der täglich erschei nenden, z. B. des „Figaro") zu weichen haben. Davor bewahre uns der Herr in Gnaden! So ist denn die Antiqua bisher nur in beschränkten Kreisen, gelehrten oder kaufmännischen, zur Druckschrift geworden, wobei in- deß immer noch zweifelhaft bleibt, ob der Gelehrte oder der Kauf mann, der die Antiquaschrift an seinem Compendium oder an seiner Preisliste recht praktisch findet, mit demselben Vergnügen z.B. Ren- ter's Werke in Antiqua lesen würde wie in Fractur. Für den größten Theil des Volkes aber ist die Antiqua immer noch etwas Kaltes und Fremdes, sein Herz und seine Phantasie gehört der Fractur an. Und was würde man denn gewonnen haben, wenn man die Fractur vollständig verdrängt hätte? Man würde ein originelles, schönes Kunstwerk deutschen Geistes, das zu aumnthiger Belebung und Vermannigfaltigung des äußeren Ansehens unseres Schrist- wesens beiträgt, beseitigt und an dessen Stelle die nüchterne Einförmig keit gebracht haben, die andere Völker im Schriftwesen besitzen. Praktischer mag dies sein, — ob es aber gerade schöner und ange nehmer ist, muß erst bewiesen werden. Man macht unsrer Zeit so oft den Vorwurf, daß sie alles Originelle zurückzudrängen suche; dieser Nivellirwuth soll nun auch die Fractur zum Opfer fallen; unsere Schrifterzeugniffe, die sich im bunten und schönen Tuchgewande der Fractur so liebenswürdig ausnehmen, sollen alle über einen Leisten in das kalte Seiden gewand der Antiqua gekleidet werden. Nur zu; wir wissen doch, daß die jetzige bunte Fülle schöner und lebendiger ist, als die präch tigste Uniform, die eben, weil Alles sie trägt, langweilen muß. Die Befürchtung übrigens, daß cs den Antiquafanatikern je mals gelingen werde, ihre Ansicht vollständig durchzusetzen, ver mögen wir nicht zu theilen. Man vergißt eben zu oft, daß in dieser Frage nicht allein Ver standeserwägungen mitsprechen können und dürfen, sondern daß hierin ebenso, wie in allen anderen Fragen dem unbewußten Ge fühle, sozusagen dem Jnstinctc des Volkes eine entscheidende Stimme eingeräumt werden muß. Das feine Gefühl des deutschen Volkes nun entscheidet sich iustinctmäßig für die Fracturschrift; in ihr fin det es sein Wesen, sein Gemüth, seinen Charakter treu abgespiegelt, nicht in der glatten Allerwcltsschrift der Antiqua, die keinen einzel nen Volkscharaktcr mit derselben Ausgeprägtheit widerspiegeln kann. Mögen die Gegner dieses Gefühl bespötteln oder seine Berech tigung zu bestreiten suchen, es ist nichtsdestoweniger da und bildet die Klippe, an der alle Anläufe der Gegner scheitern werden. Gewiß zur Freude Aller, die eine kräftige und schön durchgebildetc Eigenart mit Interesse betrachten und sie erhalten zu sehen wünschen. Und eine solche Eigenart ist unsere Fracturschrift; kein anderes Volk hat Kraft genug besessen, eine solche Eigenart im Schriftwescn hervorzubringen und auf solche Höhe von künstlerischer Durchbil dung zu führen wie die Deutschen, einer künstlerischen Durchbildung, die nur der Kurzsichtige und Einseitige wegleugnen mag. Das deutsche Volk hat den Baum seines Lebens, der ihm von seinen Voreltern überliefert worden ist, von manchen dürren Besten und häßlichen Auswüchsen befreit, es hat die Opfer und Schmerzen nicht gescheut, die mit solchen Entwicklungen verbunden zu sein pflegen, denn es ist schwer, sehr schwer, einer alten Gewohnheit zu entsagen, selbst wenn man diese als schädlich erkannt hat; das deutsche Volk würde aber thöricht handeln, wenn es auf das Geheiß einiger son derbaren Fanatiker hin den Baum seines Lebens um einen der anmuthigstcn, kräftigsten und interessantesten Aeste, den dieser Baum je getrieben hat, berauben, wenn es mit anderen Worten seiner altgewohnten freundlichen, eng mit seinem Denken und Fühlen verwachsenen Fracturschrift entsagen wollte, ohne daß ein vernünf tiger zwingender Grund dafür vorlicgt. Max Booch-Arkossy. 112*
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