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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.11.1924
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1924-11-04
- Erscheinungsdatum
- 04.11.1924
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- Deutsch
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- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
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1V420Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Gehilfen- und Lehrlingsstellen. X? 259, 4. November 1924. Und doch — schöpft nicht der Künstler alles, was er gibt, aus einem Buch? Gewiß, es ist der Quell, aus dem er schöpft; versenkt sich in das Werk, erschöpft tiefinnerste Bedeutung, last seinen Geist von dem des Buchs befruchten und gewinnt in diesem schöpferischen Mt die Kraft, es neu, aus Eignem, zu erleben, zu gestalten. Und je gewaltger sein Erlebnis war, je inniger sich Geist mit Geist vereinte, um so gewaltger wird die Wirkung sein, Wie viele unserer modernen Bücherleser erweisen einem Buche, das sie lesen wollen, die Ehre, sich ihm zuliebe in „Stim- mung" zu versetzen, sich zu sammeln; wie viele sind überhaupt fähig, durch ein Buch jenes starke Erlebnis in sich auszulösen, das ihnen ein „Ereignis" im Konzert- oder Theatersaal so leicht zu vermitteln pflegt? Hier sind wir bei der Grundursache angelangt, warum das Buch, das wirksamste Kulturmittel, immer noch nicht die Stellung errungen hat, die ihm gebührt, warum wir organi sierte, zielbewusste Werbearbeit brauchen. Der heutige Mensch, auch der Gebildete, hat im allgemeinen nur lockere, ober- flächliche Beziehungen zum Buche, begnügt sich mit dem verstandesmähigenAssimilieren desJnhaltes und dem ästhetischen Genus;, der sich gegebenenfalls daraus ergibt, aber er weih nichts von des Buches wahrer, innerster Bedeutung für seinen geistigen Organismus. Er weih nicht fruchtbar, nicht schöpferisch zu lesen; er verspürt am Buche nur eine schwache Andeutung des gewaltigen inneren Erlebnisses, das es ihm bringen könnte; er kann nur diesen Abglanz als Wertmesser für den Genuh des Le sens betrachten, und darum — wertet er das Buch zu gering: sein „geistiges Interesse" am Buche ist bei weitem nicht lebendig genug, um als Faktor des Kauswunsches die zur Überwindung der „ökonomischen Hemmungen" notwendigen inneren Energien so oft an sich zu ziehen, wie es in seinem, des Buch s und — des Buchhandels Interesse wünschenswert wäre; und darum kauft er Bücher viel zu selten, und dann meist noch — zum Verschenken. Hie muh unsere Arbeit einsetzen. Wir müssen unser Publikum zum fruchtbaren, zum schöpfe rischen Lesen erziehen, in wohl durchdachter, zielbewusster, lan ger, geduldiger, aber — erfolgsicherer Werbearbeit. Dann wird unseren Zeitgenossen allmählich der rechte Begriff vom wahren Wert des Buches aufgehcn, mehr und mehr werden sich zur Ge meinde der wahren Bücherfreunde bekennen, denen es wahrlich nichts verschlägt wenn die gewohnte Flasche Wein bei Tisch in nebelhafte Ferne rückt oder wenn der magere Geldbeutel zum Plan einer Sommerreise bedauernd den Kopf schüttelt (ich bitte, diesen plastischen Vergleich zu würdigen). Der echte Bücher freund kann alle Länder der Welt in seiner Dachkammer be reisen. Hat er nicht recht? Ist nicht bei allen Freunden und Ge nüssen dieser Erde das wirkliche Erlebnis immer ein inneres geistiges, und sind alle äuheren Umstände mehr als auslösende Begleiterscheinungen? Nun — Auslöser für alle erwünschten geistigen Erlebnisse besitzt der Bücherfreund in seiner Bücherei. Und er wird seine geistigen Erlebnisse reiner, kultivierter, hem mungsloser genichen als jener andere, der die unvermeidlichen Störungen des realen Lebens dabei mit in Kauf nehmen muh. Der wahre Lesekundige ist frei von Störungen, unabhängig vom Trug der Auhcnwclt; die „realen" Dinge des Lebens erscheinen ihm weit weniger real als die geistigen Realitäten, über die er nach seines Herzens Wunsch und Laune unumschränkt gebieten kann. In seiner Bücherei ruhen ihm unschätzbare Werte, die un vergänglich sind. Das Ziel aller Werbearbeit sei also, dah das Buch richtig geschätzt, geachtet (und darum gekauft!) werde: es soll und muh dem SNenschen zur Erhaltung seines geistigen Organismus genau so unentbehrlich werden wie Trank und Speise seinem Sortiment. Schon dadurch, dah wir dieses Ziel recht verstehen, uns seine Notwendigkeit, seine Erreichbarkeit klar zum Bewusst sein bringen, wird es uns lebendig, wird Möglichkeiten, Wege finden, unsere Arbeit zu orientieren, Werbedrucksachen, Plakate, Inserate, Kundenbriefe irgendwie in seinem Sinne zu beein- zugleich eines unsere wirksamsten Propagandamittel, das mo derne Vortragswesen, gründlich zu reformieren. Nicht als ob nun die Vorträge, Kulturabende usw. in der Form, wie sie jetzt üblich sind, abgeschafft werden mühten — im Gegenteil, sie mögen mit gleichem Fleihe wie bisher weiter aus- sie gewih — wenn auch erfahrungsgemäß in verhältnismäßig geringem Ausmaße und jedenfalls lange nicht nachhaltig genug — auf den Verkauf der Werke des Vortragenden oder der ein schlägigen Literaturgebiete fördernd cinwirkcn, kurz: man wird die Vorträge — wie sie heute sind — als bewährtes Kampf mittel gegen Indolenz und Leseunlust gelten lassen müssen; aber an der psychischen Ursache aller Indolenz. Interesselosig keit, Kaufunlust usw., an der seelischen Grundhaltung der Hörer, an ihrer oberflächlichen, lockeren, wenig geistigen Einstellung zum Buche überhaupt ändern sie nichts. Ihre effektive Propa gandawirkung ist minimal, und das ist für uns Buchhändler, die wir schließlich doch nicht nur Idealisten sein, sondern auch auf den berühmten grünen Zweig kommen wollen, unerfreulich. Erweitern wir also unser Vortragswesen um ein neues, für uns das wichtigste Gebiet! Legen wir die Art an die Wurzel des Übels! Ergreifen wir das wirksamste, weil radikalste Werbe mittel! Predigen wir das „schöpferische Lesen"! Was wir uns darunter zu denken haben, konnte ich hier nur kurz andeuten, aber wir wissen es ja alle, sollten es wenigstens wissen. Manche Kollegen, z. B. Engelhardt und Schnabel (im Börsenblatt), dann z. B. F. M. Hübner (in seinem Werke „Das Buch und der Mensch") haben es uns schön und eindringlich auseinander gesetzt. Gut, angenommen, wir wissen alle und haben alle verstanden, was „schöpferisch lesen" ist, können wir es darum? Ehrlich — Hand aufs Herz? Wer kennt jenen vom feinsten Vibrieren bis zur gewaltigsten Erschütterung unendlich wandlungsfähigen Zusammenklang der harmonisch abgestimmten Seelen des Buches und seines Lesers, jene mystische Kommunion, in welcher allein das Buch seinen letzten Sinn, die Quintessenz seiner geistigen Bedeutung, jenseits aller rein lexikalischen Worterfassung und alles rein intellektuellen Verstehens, dem Leser erschließt! Wem dieses Erlebnis einmal zuteil geworden, der fragt nicht mehr, warum der restlose, ungestörte Genuh der Lektüre eines guten Buches ein Höchstes bedeutet für den. der zu lesen versieht. Wer aber dem schöpferischen Lesen und damit dem Buche selbst werbend den Weg bereiten will, der muh dieses Erlebnis kennen, muh die vertrautesten Beziehungen zum Buche und seinem Geiste unterhalten. Denn niemand kann einem andern neues, tieferes Erleben vermitteln, wenn er es selbst nicht kennt. Der Wander redner, nach welchem Fritz Schnabel ruft (Iuliheft der „Re klame"), muh von seiner Idee beseelt von seiner Mission durch drungen, von Schaffensdrang im besten Sinne begeistert sein — er hraucht sich deswegen nicht als wirklichkeitsfremder Schwarmgeist zu präsentieren—, dann mag er für seine Vor träge irgendein Thema aus dem unermeßlichen Gebiete der Wissenschaft, Literatur oder Kunst zum Ausgangspunkt wählen, immer wird es ihm gelingen, die Werbung für das Buch und das schöpferische Lesen in subtiler, fast unmerk licher — und gerade deswegen um so wirksamerer Form als Unterton dauernd milschwingen zu lassen und sein Fühlen und Erleben in die Seelen anderer zu tragen, gleichviel wie der Kreis seiner Zuhörer beschaffen ist. Läse ein anderer die gleichen Worte vor, sie würden wirkungslos verhallen, der Träger der lebendigen Idee aber findet Derständigungswege, direkter, unmittelbarer als alle Worte, wie sie der Künstler auf der Bühne findet; von Hirn zu Hirn schlingt er ein geist'ges Band und spürt es, wenn des Denkens St om geschlossen ihn mit den Hörern eint, wenn alle Hörer, die verstehen wollen, es plötzlich können, mehr noch — mit erleben und geistig völlig einig sind mit ihm, auf seinen Seelenrhythmus abgestimmt. Und wenn in diesem psychologischen Moment allerhöchst gesteigerter Nezeptivität ein Leitwort ausgesprochen wird, z. B. „Werdet dem Buche wahre Freunde !", der Name eines Autors, eines Verlags, eines Wissensgebietes, eines Buches, jo wird dieses Leitwort in die wohlvorbereitcten Seelen der Hörer hineinsinken, wird sofort Wurzel fassen, in ihren geistigen Or-
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