218, IS. September 1911. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt >. b. Dtschn. Buchhandel. 10671 2- B. Widmann im Berner Bund in einem durch drei Nummern laufenden Feuilleton: Mit Voreingenommenheit — ich gestehe es — bin ich an das Lesen dieser Briefe gegangen. Ich sagte mir: wir haben Feuerbachs Bilder, wir haben das wundervolle Buch „Vermächtnis", das Frau Lenriette Feuerbach aus den Auszeichnungen ihres Sohnes zusammengestellt hat, wir besitzen ferner Allgeyers eingehende Feuerbachbiographie und wissen zur Genüge, daß dieses wesentlich tragisch verlaufende Künstlerleben ein Doppelmartyrium war, ein Martyrium des Künstlers und damit auch seiner Mutter. (Nie hat eine Stiefmutter auf den Namen „Mutter" bessern, reineren Anspruch gehabt, als Lenriette Feuerbach, die ihrem Stiefsohn und dessen Schwester aufopferungsvoll ihr ganzes Leben darbrachte; es ist, als ob diese Frau die Sendung zu erfüllen gehabt hätte, das in unzähligen Wiederholungen verbreitete uralte Volksmärchen von der bösen Stiefmutter durch eine wahrhaft heilige Erscheinung der Wirklichkeit zu widerlegen.) And nun, nachdem ich die bis 1860 reichenden Briefe des ersten Bandes gelesen habe, bin ich von meiner Voreingenommenheit gegen ihre Veröffentlichung zurückgekommen und habe das, was in mir dagegen sprach, hier nur angeführt, weil es zur Charakteristik des Inhalts der Briefe dient. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß etwas so Lebendiges, wie es Anselm Fenerbachs Briefe sind, für immer in verschlossener Truhe zu halten, ein Frevel am Leben und an der Kunst gewesen wäre. Weserzeitung: Anselm Feuerbach hatte — so meinten wir — in dem wundervollen „Vermächtnis" sein letztes Wort von jenseits des Grabes schon zu uns gesprochen. Nun aber sind seine Briefe da, die solange, auf den Wunsch der Mutter, im Archiv der Nationalgalerie ruhten, und plötzlich steht er lebendig wieder vor uns, der früh und kummervoll Gestorbene, als sechzehnjähriger Knabe, wie er selbst sich gezeichnet hat, mit den wehenden Locken und den schönen, mutigen Augen unter dem kecken Künstlerhütchen, eben herausgesprungen aus dem wundervollen Eltern haus; glückselig, auf der Fahrt ins Märchenland der Kunst, ruft er uns zu: „Mir ist's, als ob mich alles kennte und mir freundlich entgegenkomme: kurz, ich bin aller Welt gut und bin in Köln und Mainz überall heimisch wie in Freiburg; kurz, ich kann das Gefühl nicht aus- sprechen. Jedes Ereignis sehe ich von der besten Seite. Wenn dieses Gefühl mich nicht verläßt, wozu cs viel zu tief eingewurzelt ist, so werde ich, wo ich bin und gehe, der glücklichste Mensch sein." Wie rühren uns solche Worte, ein solcher Anfang eines Lebens, das zu den schwersten Leiden und Enttäuschungen bestimmt war! — — — — — — — — — Man weiß, aus welchen Quellen dieser begnadete Knabe getrunken hatte, — was für goldenes Spielzeug ihm die Mutter gebracht hatte! Er selbst ist sich ganz klar darüber, was er einem so erlesenen Elternhause verdankt, „was ihm nie allgewöhnlich werden wird!" In einem wunderschönen Briefe spricht er das aus, mit dem wir diese Besprechung — ungern — schließen, denn man möchte nicht aufhören, von den Schätzen dieser unvergleichlichen Brief sammlung zu sprechen. — — — — — — — — — — — — — - — Das Vermächtnis von der Land der liebevollsten Mutter zum Denkmal des Frühverstorbenen geweiht, ist das vollendete Kunstwerk, der geglättete Marmor, auf seinem Postament vor aller Augen erhöht! Dies Briefbuch aber läßt uns in die Werkstatt hineinsehen, die Meißslschläge hören und fühlen, mit denen das eherne Schicksal, mit denen der »Bildhauer Gott" den hoffenden, ver- krauenden jungen Genius in herben Schmerzen und Qualen zum Manne bildete.