217, 18. September 1911. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt s. S. Lychn. Suchhander. 10599 S. Fischer, Verlag, Berlin S> Wir versandten soeben Prospekt über Martin Beradt: Das Kind Roman. Geheftet 3.50 Mark, in Leinen 4.50 Mark Wie die „Eheleute", so hat auch das neue Buch Beradts dies heutige Berlin zum Hintergründe, aber dieses Mal nicht das wohlhabende, zu seinen Erlebnissen durch Müßiggang verführte, sondern den Urgrund der Bevölkerung, den Not und Triebe bewegen. Beradts dem Anschein nach recht gewöhnliche, bei genauem Hinsehen und Hinhören sehr ungewöhn liche Heldin ist eine aus einem kleinen Ackerbürgerstädtchen nach Berlin verschlagene Dienstmagd, die, von Muttersehnsucht verzehrt, sich verführt glaubt, ohne es zu sein, sich Mutter fühlt, obwohl sie Jungfrau ist, und dies ersehnte und nicht vorhandene Kind ermordet zu haben wähnt, sie, deren reine Hände nie zu einem Frevel langten. Diese Geschichte, so sonder bar sie aussieht, ist dem Kriminalisten vertraut, der Psychologe begründet sie Schritt vor Schritt aufs exakteste; darüber hinaus aber führt der Dichter den Leser so in den Kern und das Innerste einer Weibesseele, daß das abenteuerliche Erlebnis nur wie die zufällige Überspannung des tiefsten Erlebnisses einer jeden Frau erscheint. So wie seine Heldin hat Beradt sein ganzes Buch zwischen Wirklichkeit und Phantasie zu halten, uns diesen Eindruck durch die Realität des Hintergrundes zu steigern versucht. Eine Fülle von klaren und scharf gesehenen Figuren aus dem niederen Volk zieht vorbei, aus dem arbeitenden, gassenhauerbrüllenden, triebhaften Volk, an Sonntagnachmittagen in den Wäldern von Berlin, an Abenden in den Zelten, bei Kahnfahrten; im Äbermut der Lust und in der Not der Armut, des Verbrechertums: im Gebärhaus, im grünen Wagen der Polizei, in den unheimlichen Aufregungen des Untersuchungsgefängnisses. Reich an Szenen und Gestalten, dabei aber straff und energisch auf sein Thema hin komponiert, bedeutet dieses Buch Beradts eine wesentliche Bereicherung der oft gewünschten und selten gekonnten dichterischen Um stellung des modernen Berlins.