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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.10.1911
- Strukturtyp
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- 1911-10-05
- Erscheinungsdatum
- 05.10.1911
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- Deutsch
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2S2, 8. Ottober 1S11. Nichtamtlicher Teil. «örftMatt s. d. Dpch». Bachiand-l. 118 4 L Nichtamtlicher Teil. Leipziger Briefe. v. Sieben Städte stritten sich um den Ruhm, der Geburts ort Homers zu sein. Wenn sich sieben oder mehr Verlags- orte den Rang streitig machen, um ein bedeutendes und nicht weniger gewinnversprechendes Litcraturwerk aus der Taufe zu heben, so wird man gewöhnlich auch Leipzig unter ihnen finden. Andrerseits gibt es aber auch Erschei nungen, um die der Verleger nicht den Verleger, der Ver- lagSort nicht den Verlagsort beneidet. Zu diesen gehört — wenigstens was Leipzig anbetrisft — das Memoirenbuch der Frau Luise von Toskana alias Toselli. Die Palme im Wettbewerb ist der Reichshauptstadt zugefallen; von ihr geht das Buch hinaus in alle Welt. Es ist etwas eigenes um dieses Buch. Früher wurde man alt, ehe man es wagte, seine Memoiren zu schreiben. Der Stapel der Er fahrungen und Erlebnisse mußte recht hoch und verstaubt sein, ehe man das Wissenswerte sür die Welt daraus her vorholte und den Epigonen in schmackhafter Form hinterließ. Heute hat Karlchen Mießnick im Zeitraum zwischen Sexta und dem reichlich bemessenen Aufenthalt in Quarta sein Leben schon beschrieben. Man lebt rasch und erlebt rasch. Nicht das Resultat des Lebens interessiert die Leute, sondern die besondere Art und Schnelligkeit, mit der es gelebt wird. Hier hat Frau Luise von Toskana vielerlei zu bieten, und das Ungewöhnliche ihrer Entwicklung gestaltet sich zu einer Kette von Sensationen, die zwar sattsam bekannt find, von ihr selbst beschrieben aber, und durch die gewollte und unge wollte Propaganda der Tageszeitungen gefördert, so recht dem Hang nach Klatsch und Tratsch entgegcnkommen, der unsere Zeit beseelt. Hier wird ein Haufen Schmutz bis in die Tiefen aufgewühlt, damit die eigene Person sich um so strahlender von diesem dunklen Hintergrunds abheben soll. Das Erscheinen dieses Buches hätte an dieser Stelle ruhig übergangen werden können, wenn es nicht einen empfind lichen Nerv unseres Leipziger Buchhandels berührt hätte, der merkwürdigerweise in dem sonst so stillen Kommissionsgeschäft mit besonderer Stärke reagierte. In dem Augenblick nämlich, in dem die Ankündigung des Buches erfolgte, legte der Leipziger Kommissionär die Vertretung der Verlagsfirma nieder. Mehr noch. Als das Buch, ehe es das Licht der Öffentlichkeit erblickte, von der einen in die andere ähnliche Hand hinüberwanderte, da wollte auch der Kom missionär der anderen Hand nichts mit der schmutzigen Wäsche der Frau Luise zu tun haben und tat desgleichen. Und doch stellte sich der König von Sachsen auf den Standpunkt Mark Antons gegenüber dem Brutus von Verleger. Er hinderte das Buch nicht in seinem Wege und ließ jeden Schritt dagegen ungetan. Wie kommen nun auf einmal diese profit wütigen Leipziger Kommissionäre dazu, Rücksicht gegenüber dem angestammten Herrscherhaus? zu üben, das dergleichen gar nicht verlangte? Sie, die sonst so ungern einen ihrer Klienten ver lieren, namentlich wenn der Verkehr mit ihm bei der Jahres bilanz eine Rolle spielt? Nun müssen wir uns in Leipzig fürchten, in den Berliner »aufgeklärten- Kreisen als rück ständig angesehen zu werden. Und niemand wird uns den Genuß dieses Wermutstropfens ersparen, der in unsere Freude darüber fällt, daß man einer Anstandspflicht gegenüber der sympathischen Persönlichkeit eines deutschen Fürsten ein Opfer brachte. Wenn man mit dem Buchhändler von der Leipziger Messe spricht, so denkt er natürlich an die Freuden der Ostermesse. Viel tiefer einschneidend in das Wirtschaftsleben unserer Stadt find aber die Engrosmeffen, die unsere Häuser der inneren Stadt in Plakatsäulen verwandeln und alle Hotels und Wirtshäuser mit Fremden füllen. Ihre Wiege, die jetzige Klein- und Schaumesss, ist dagegen zum Paria herab gesunken. Schon vor Jahren mußte sie das Weichbild der Stadt verlassen, um auf den Wiesen vor dem Frankfurter Tor eine Unterkunft zu finden. Die Verlegung hat ihr gewiß nicht geschadet, und ich wüßte wenige Angehörige unseres Berufes, die nicht hier und da den traditionellen »Meßbummel- dahin mitmachten. Man amüsiert sich dort zwar teuer und schlecht, aber es ist »mal etwas anderes«. Auch mein Weg führte mich auf diese Vogel wiese, auf der zweimal im Jahre mehrere Wochen lang Schützenfest gefeiert wird. Mein Spaziergang galt diesmal den Kollegen, den Buchhändlern, die dort in Bretterbuden unter dem schützenden Segeldach alte und uralte Schmöker verhökern. Drei große Buden nebeneinander. Es war gewissermaßen der Schindanger der Literatur, den ich betrat; aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn mit geringerem Interesse gemustert hätte, als die Auslagen unserer groß städtischen Buchhandlungen. Einige Literaturfreunde standen vor den Buden, in die Bücher vertieft und sichtlich bemüht, aus der Masse des Plunders einige Perlen herauszufischen. Auch sonst fehlte es nicht an Interessenten und Neugierigen. Ich mischte mich unter sie und studierte die Titel der ausgelegten Bücher. Wenn ich aber geglaubt hatte, daß man Antiquariat finden könnte, dessen Wert zufällig oder aus Unkenntnis von dem Unternehmer verkannt worden wäre, so irrte ich mich gründlich. Diejenigen Erscheinungen nämlich, die noch markt fähig waren und sichtlich dazu dienten, der Masse wertlosen Gerümpels eine Folie zu verleihen, wurden zu merkwürdig festen Preisen angeboten. Was aber in Bausch und Bogen mit 10 und 20 durch deutliche Plakate ausgezeichnet war, das war in den seltensten Fällen des Groschens wert, den die Käufer dafür ausgaben. Eine alte Frau war als Verkäuferin engagiert. Wohl mochte sie vielleicht als Zeitungsausträgerin oder Reinmachfrau mit der Literatur in oberflächliche Berührung gekommen sein, vom Buchhandel verstand sie aber nichts. Ein Backfisch stellte die Frage ohne Angabe des Autors: »Haben Sie Hermann und Dorothea?« -Nein!« Das ging ihr sichtlich über den Horizont, obgleich in manchem der herumliegenden einzelnen Goethebände das Epos zu finden gewesen wäre. Sie war eine Art Automat und nur fähig, die Preise derjenigen Bücher zu nennen, die ihr, aus den verschiedenen Fächern herausgenommen, vorgezeigt wurden. Aus einem anderen Verkaufsstande leuchteten mir die grellbunten Titelbilder der sattsam bekannten Bussalo-Bill- und Nick-Carter-Hcste entgegen. Ich zerbrach mir den Kops darüber, warum der Rat der Stadt Leipzig tausend Taler sür die Herstellung einer Warnung vor dieser Literatur ausgibt und nicht selbst die Gelegenheit znm Eingreifen in den Kampf gegen die sogenannte Schundliteratur benutzt, indem er die Verkaufsstände nur unter der Bedingung vermietet, daß die ominösen Hefte nicht verkauft werden. Es gibt Ruhmes blätter, die man in seinen Kranz einbinden könnte und die man doch nicht einbindet. Eine verpaßte Gelegenheit wird leicht zum Vorwurf. Ich sagte mir auch, daß es eigentlich ein Unrecht sei, wenn sich der zünftige Buchhändler von dieser Kleinmesse sernhält. Denn ich hatte nicht den Eindruck, daß es an Kauflustigen fehlte. Es ist aber undenkbar, daß einer unserer Sortimenter zum Markt- Budiker herabsinkt, obgleich er auf dieser Messe erst die rich tige Gelegenheit hätte, tiefere Volksschichten und ihre lite rarischen Bedürfnisse kennen zu lernen, Volksschichten, denen es nie einfällt, seinen vornehmen Laden zu betreten. Freilich 1408»
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