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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.10.1911
- Strukturtyp
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- Band
- 1911-10-06
- Erscheinungsdatum
- 06.10.1911
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- Deutsch
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233, 6, Oktober 1911. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. 11603 epochemachende Kunstausstellung. Und deshalb kaust man sich ein berühmtes Buch. Das heißt, man kauft es nicht; denn hier beginnt auf einmal die Inkonsequenz. Statt daß man nämlich bereit wäre, für diesen Genuß wie für jeden anderen — ja noch mehr als für jeden anderen, denn es ist der geistigste aller geistigen Genüsse — auch etwas zu leisten zugunsten des Menschen, dem man ihn verdankt, leiht man sich das Buch von einem guten Bekannten, der es ebenfalls schon geliehen hat. Alle diese Leiher und Verleiher leben in unserer Zeit und in ihren Ideen. Sie wissen, daß der Dichter, eben diese Jdeenrichtung der Zeit mit Notwendigkeit befolgend, darauf eingerichtet und angewiesen ist, seine bürgerliche Exi stenz aus den Beiträgen der Gemeinschaft zu bestreiten, die ihn so notwendig braucht wie irgend eine andere der großen Wohltaten. Von Ausnahmen abgesehen, wird der Künstler in demselben Maße, wie er seiner Zeit als ihr höchster Aus druck notwendig ist, außerstande sein, seine Subsistenzmittel anders als aus jenen Beiträgen zu erwerben. Man weiß das alles, man vergräbt sich mit wohligem Schauder in die Mystik dieses urmächtigen geistigen Naturereignisses, daß ein einzelner Mensch von einer dunklen Macht zum Gefäß des allgemeinen Bewußtseins gemacht wird — und doch macht man sich nichts daraus, dem nämlichen Menschen das Brot aus dem Munde zu nehmen, indem man ihn um den Gewinnanteil an einem verkauften Exemplar bringt. Es wird ein bedeutendes Stück gutmütiger Trägheit und Ge dankenlosigkeit bei diesem empörenden Verfahren im Spiele sein. Denn es ist mit einer sehr geringen Mühe verbunden, ein Buch von einem Haus ins andere zu tragen, und wenige Menschen sind so empfindlich, sich vor einem von fremden Händen abgegriffenen Buch zu ekeln. Außerdem spielt aber — bei uns in Deutschland wenigstens — die all mächtige Gewohnheit auch hier ihre unheilvolle Rolle. In Deutschland gab es Bücher zu lesen und zu leihen, ehe Geld für Theater. Konzerte und Kunstausstellungen vorhanden war. Diese jüngeren Gattungen des Kunstlebens sind mit dem wachsenden Wohl stand der Nation herausgekommen und haben den modernen Gedanken, daß man für Kunstgenuß etwas zu zahlen hat. organischer mit sich verbunden. Was dagegen das Bücher kaufen angeht, so haben wir Deutschen die verdrießliche Philistermode an uns. noch immer die Hungerleider zu markieren, die wir schon lange nicht mehr sind. Dazu kommt noch ein Drittes und Wichtigstes: Im Konzertsaal. im Theater findet sich eine Masse zusammen, die sich in ihrer lauten Be wunderung des Künstlers selber berauscht; auch wo es nicht in erster Linie darauf abgesehen ist. mit Toiletten zu glänzen, wird dieser Masseninstinkt bei der finanziellen Einschätzung dieser Kunstgenüsse vielfach im Unterbewußtsein eine größere Rolle spielen, als man vielleicht denkt. In der Tat hat das Genießen einer Masse etwas Großartiges, und es liegen hier eigenartige Werte, die nicht unterschätzt werden dürfen. Es ist vielleicht statthaft, auch hier die Kunst mit der Religion zu vergleichen und zu sagen: wie die Religion ohne Gemeinde, so die Kunst ohne Darstellung vor einer Masse: ein flüchtiger Duft, ein ätherisches Oll Deshalb bleibt auch die höchste Form, die eigentlichste Wirklichkeit der Dichtkunst das Drama und das sangbare Lied. Allein neben der Gemeindereligion gibt es heute eine ungemessene Summe von gemetnschastsloser, ja gemein- schastsseindlicher Jndividualreligion, und man wird schwerlich von vornherein sagen können, daß dies der wertlosere Teil unseres heutigen religiösen Besitzstandes ist. Ebenso gibt es die Jndioidualkunst der Buchdichtung, und wie ste die feineren Organe verlangt, so bietet sie die feineren Genüsse. Es würde hier zu weit führen — wenn es überhaupt möglich ist — das wirk liche Wertverhältnis dieser Sozial- und Jndividualkunst gültig bestimmen zu wollen. Fest steht dies: die Jndividualkunst ist vorhanden, und es ist ebenso verwerflich, ihr Leben zu schädigen, wie es nach allem Gesagten psychologisch verständlich ist. daß es noch immer in solcher Ausdehnung geschieht. Doch sittliche Wahrheiten haben die wunderbare Eigen schaft, sich durch ihr bloßes Ausgesprochenwerden unaufhaltsam durchzusetzen. Und so wird auch die Erkenntnis, daß es unstatthaft ist, die Bücher lebender Autoren zu leihen und zu verleihen, immer weiter durchdringen. Wie die Gesetze aussehen werden, in denen sie sich einmal niederschlägt, das ist heute schwer zu sagen, und wir alle erleben dies wahrscheinlich nicht mehr. Es ist anzunehmen, daß der Markt der Belletristik in irgend einer Form verstaatlicht wird, und daß irgendwelche mechanische Maßregeln zur Kontrolle des Buchverkehrs gefunden werden. Heute sind das alles leere Träume; man wird nur an dem guten Sprichwort festhalten können: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und inzwischen heißt es eben immer und immer wieder predigen: Ver leiht und leiht keine Bücher lebender Dichter! Kauft sie euch selber I Tut es auf die Gefahr, daß mal einer euren Beitrag nicht so arg nötig hat, tut es auf die Gefahr, daß alle Dichter im Handumdrehen steinreich werden durch die Proklamation des neuen Anstandsgesetzes! Die letzte Gesahr darf als sehr gering bezeichnet werden. Daß ein Einzelner von seiner Feder leidlich leben kann, kommt schon heute ab und zu vor. Ganz wenige und leider nicht immer die. - die es verdienen, werden sogar reich. Ist nicht diese Bevorzugung immer noch von viel edlerer Art als etwa die. daß ein Ingenieur durch einen einzigen, ganz zufälligen guten Gedanken, durch ein erfolgreiches Patent über Nacht zum Kapitalisten wird? Sie ist es in dem Matze, als die Interessen geistiger sind, von denen sie diktiert wird. Und von einem reichgewordenen Künstler ist es immerhin wahrscheinlicher als von einem erbreichen Bauer oder von einem protzenreichen Fabrikanten, daß er mit seinem Geld auf noble Weise zu wirtschaften versteht. Mir scheint es überhaupt die vornehmste und einwandfreieste Art von Reichtum zu sein, die durch künst lerische Erfolge errungen wird. Und was wird inzwischen aus jenen »armen Teufeln», die sich den Eigenbesitz moderner Belletristik nicht leisten können? Nun. diese sollen sich vorerst einmal die sogenannten Klassiker kaufen! Die Weltliteratur ist heutzutage um ein so unglaublich geringes Geld zugänglich, daß man so arm sein könnte wie Ben Akiba und sie doch in kurzer Zeit bei sammen hätte. Und sie ist so reich, daß man so alt werden könnte wie Methusalem, ohne auch nur das Größte und Köstlichste erschöpfend in sich ausgenommen zu haben! Zugegeben, es mag bei vielen, die nicht in der Lage sind, sich regelmäßig die stets teuren Neuerscheinungen zu erwerben, über jene Klassiker hinaus das Mitleben mit der zeitgenössischen Kunst ein starkes Bedürfnis sein. Hiergegen bleibt aber wiederholt zu betonen: jene »armen Teufel sind heute, in den Schichten unserer Intelligenz wie außerhalb, seltener als früher. Wir sind einfach nicht mehr das arme Volk, das wir vom Dreißigjährigen Krieg an bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts waren. Die Lebenshaltung der unteren Schichten steigt rapid. Auch der Minderbemittelte kann, wenn er nur dazu gebracht wird, die Zumutung ernst zu nehmen, in dem Kampf gegen den Unfug des Bücherleihens mehr tun als er vielleicht selber denkt. Gewonnen ist schon viel, wenn er je und je das Gebot des Selbstkaufcns mit grundsätzlicher Schärfe vor sich steht und wenn ihm jedes geliehene Buch eines Lebenden vom ersten bis zum letzten Augenblick, da er's im Hause hat, ein Unbehagen ausströmt. Auf der andern Seite könnten 1507»
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