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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 17.10.1907
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 17.10.1907
- Sprache
- Deutsch
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243. 17. Oktober 1907. Nichtamtlicher Teil. virlcnblatt I. d, Dtschn. Buchhandel. 10729 verletzt. Man sollte ruhig den Leuten solche Bilder vorlegen, die ganz geeignet sind, übertriebene Sinnlichkeit zurllckzudrängen. Das Gewöhnen an das Nackte ist das einzige Mittel, um falsche Wirkungen solcher Bilder auf den Menschen zu beseitigen. Jedes staatliche Kunst-Lehrinstitut besitzt eine größere Anzahl solcher Photo graphien zu Studienzwecken, die den Kunstschülern übergeben werden. Zuerst stürzen die Kunstjünger mit gierigen Blicken darauf los, bald aber betrachten sie sie wie jedes andere Kunstblatt. Der Schriftsteller Professor Adolf Bartels aus Weimar ist abweichender Meinung. -Ich halte-, erklärt er, »von den in Rede stehenden Bildern eins, das ein nacktes Weib darstellt und -Im Mai- betitelt ist, für objektiv unsittlich und meine, daß eine große Anzahl andrer in der .Schönheit' veröffentlichter Bilder vsrunsittlichend wirkt, denn unter den Lesern der Zeitschrift be findet sich doch sicher eine Reihe von Menschen, die nicht reif sind, solche Bilder so anzusehen wie der Künstler. Man sieht auf dem Bild in einer stark exponierten Stellung ein nacktes Frauenzimmer. Es ist weiter nichts als eine Fleischausstellung. Weshalb es ,Jm Mai' getauft ist, bleibt ganz unverständlich. Bei uns laufen doch die Damen im Mai nicht nackt heruml- Geheimer Santtätsrat Or. Küster: Es ist gar keine Frage, daß Gesundheit und Schönheit in einem gewissen Zusammenhang stehen; ein kranker Körper kann nie schön sein. Es ist daher sehr anerkennenswert, daß der Angeklagte diese Richtung ungeschlagen hat. Wir sind körperlich zurückgegangen, den Sinn für körperliche Schönheit haben wir verloren, und erst in der neueren Zeit zeigt sich das Bestreben, zur Natur zurückzukehren und nackt den Körper durch Luft, Licht, freie Luftbäder rc. zur Natur zurückzuführen. Diese Bestrebungen werden immer weiter gehen und sind nicht aufzuhalten. Ich billige die Tendenz der Zeitschrift durchaus und kann die Bilder durchaus nicht für unsittlich ansehen, auch nicht das von Professor Bartels bemängelte Bild. Bildhauer Harro Magnussen gibt sein Gutachten dahin ab: Es kommen bei der Beurteilung zwei Punkte in Betracht: der der Ästhetik und der der Keuschheit. Abbildungen von nackten Menschengestalten können ästhetisch oder unästhetisch, keusch oder unzüchtig sein. Ein sehr verbreiteter Irrtum ist es, daß nackte Darstellungen von Künstlechand in hervorragender Weise ästhetisch und keusch wirken müssen, während die mechanische Wiedergabe der Natur durch einen photographischen Apparat unästhetisch und un züchtig sein soll. Das ist ganz falsch. Nicht wie die Darstellungen ent standen sind, sondern welcher Gedanke und Zweck ihrer Entstehung zugrunde lag, ist das ausschlaggebende Moment. Man hat Beispiele in der Kunst, die beweisen, daß hochstehende Künstler mit all ihrem Können Abstoßendes und Zotiges malten, während gute Photographien oft die Natur in lieblicher, edler Weise zur An schauung bringen können. Die Darstellung einer gut gewachsenen Gestalt eines Menschen kann in der ihr durch die Natur ver liehenen Schönheit niemals verletzen oder unzüchtig wirken, ob sie nun durch Malerei, Plastik oder Photographie hergestellt werden. Unästhetisch wirken auf uns die nackte Darstellung von abnormen Körperzuständen, Fettleibigkeit, großer Magerkeit, Greisenalter oder Verstümmelung, oder Wiedergabe der nie deren Körperfunktionen. Von beiden ist hier nicht die Rede, im Gegenteil sind alle Abhandlungen und Ab bildungen der Zeitschrift ästhetisch und keusch. Kein Sitt lichkeitsverein kann es verhindern, daß Mann und Weib ver schieden gebaute Körper haben, und kein Sittlichkeitsvcrein kann die Tatsache aus der Welt schaffen, daß in bestimmten Jahren die Geschlechtsreife und damit der Drang nach Wissen in der Jugend erwacht. Da ist es besser, wenn Eltern und Lehrern Mittel in die Hand gegeben werden, sie vorzubereiten, ehe sie aus heimlichen und verbotenen Wegen ihr Wissen bereichern. Es ist direkt ein Verbrechen, das Kind ahnungslos vor die Versuchungen des er wachenden Geschlechtstriebs zu stellen, nur weil es nicht -an ständig- sein soll, über diese Dinge zu reden. Geheimrat Professor Or. Eulenburg: Ich kann an die an geschnittene Frage nur vom ärztlich - hygienischen Standpunkt herantreten. In ästhetischer und künstlerischer Beziehung geht meine Privatmeinung dahin, daß mein Sittlichkeitsgefühl durch die Bilder nicht beeinträchtigt wird. Ich habe sie einer ganzen Anzahl von Personen, auch Damen, vorgelegt und keinen ge sunden, der Anstoß daran genommen hat. Auch ich meine, daß Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 74. Kahrgana. die Bestrebungen des Angeklagten aufs kräftigste zu fördern sind, denn wir haben alle Veranlassung, auf eine bessere Körperkultur hinzustreben. Dazu gehört die Kenntnis und ein gewisses liebe volles Verständnis des menschlichen Körpers, seines Baues und seiner einzelnen Teile. Geh. Medizinalrat Professor Or. Fritsch gibt sein Gutachten dahin ab, daß er sich nur nach jeder Richtung hin seinen Vor gutachtern Geheimem Rat Gurlitt und Magnussen anschließen könne. Dagegen müsse er sich gegen die Ansichten von Professor Bartels wenden. Die inkriminierten Bilder seien von hohem sittlichen und erzieherischen Wert, da seiner Ansicht nach die Darstellung des Nackten in dieser Form in hohem Grade zur Pflege der Körperschönheit beitrage. Inwiefern die auf dem Bild -Im Mai- dargestellte moderne Frisur nach Ansicht von Professor Bartels unzüchtig wirken könnte, sei ihm unverständlich. Als Vorsitzender der Freien photo graphischen Vereinigung erklärt sich der Sachverständige auch über die Qualität der Bilder in künstlerisch-technischer Hinsicht. Er gibt an, daß die Bilder eine außerordentlich künstlerische Wirkung haben und es dem Angeklagten zu danken sei, daß er in dieser Weise Bilder von künstlerischer Hand gewissen Kreisen der Öffentlichkeit unterbreitet habe. Das Bestreben des Angeklagten verdiene die allergrößte Befürwortung. Professor Max Koch hat als Lehrer am Kunstgewerbemuseum noch nie die Bemerkung gemacht, daß seine Schüler und Schülerinnen, die viel nach nackten Modellen malen und zeichnen, durch den Anblick des Nackten unsittliche Anregungen empfunden haben. Die Bilder wären zum großen Teil ganz ausgezeichnete, künstlerisch wertvolle Darstellungen. — Kunstphotograph Nikola Perscheid gibt vom technischen Gesichtspunkte ein durchaus günstiges Urteil über die Bilder ab, begrüßt als Photograph das Aufnehmen der Akte mit Freuden und kann aus den vorliegenden Bildern nicht im mindesten eine unsittliche Absicht erkennen. Der Vorsitzende des Volksbundes zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild Or. Marcinowsky: -Von meinem Standpunkt aus muß ich die Beschlagnahme von vornherein als unverständlich erklären. Unsre Ansicht geht dahin, daß unzüchtige Darstellungen immer eine gewisse freche Absichtlichkeit an der Stirn tragen müssen, oder aber, daß an sich einwandfreie Bilder durch Zusammenstellung und Umgebung unzüchtig werden können. Die vorliegenden Bilder haben weder durch diese Zusammen stellung noch im Ton oder in der Wiedergabe etwas Verletzendes, sondern gehören zu den schönsten Reproduktionen und stehen turmhoch über andern Werken der Reproduktion, bei denen die Spekulation auf das Sinnenleben durchsichtig ist. Man muß zwischen gesunder kraftvoller Sinnlichkeit und gemeiner Lüstern heit wohl unterscheiden. Die Bilder sind nicht geeignet, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl des normalen Menschen zu verletzen.« Staatsanwalt Raa sch hält die inkriminierten Bilder für geeignet, das normale Schamgefühl zu verletzen. Derartige Spiegelbilder der Natur, die keinerlei künstlerische Zwecke ver folgten, seien keinesfalls als Kunstwerke anzusehen. Die Absicht des Angeklagten, durch die Darbietung derartiger Bilder die Schönheitspflege anzuregen, habe ja allerdings viel für sich. Trotz der sehr lobenswerten Tendenzen müsse der Angeklagte damit rechnen, daß derartige Darstellungen in die Hände von unreifen oder ungebildeten Personen fallen können, die die idealen Ziele, die mit dieser Veröffentlichung bezweckt sind, nicht verstehen und Anstoß daran nehmen. Der Vertreter der Anklage be antragte eine Geldstrafe von 30 gegen den Angeklagten sowie Einziehung des Heftes 2 und Vernichtung der zu der Herstellung der in diesem enthaltenen vier Bilder verwendeten Platten und Formen. Rechtsanwalt Or. Werthauer setzte des längern auseinander, daß schon objektiv die Bilder nicht geeignet seien, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl zu verletzen, und beruft sich auf die überein stimmenden Gutachten fast aller hier vernommenen Sachverstän digen. Dem Gutachten des Professors Bartels lägen Jrrtümer zugrunde. In subjektiver Beziehung könne von einer Schuld des Angeklagten keine Rede sein; im Gegenteil sei unbestreitbar, daß dieser einem beherzigens- und lobenswerten Ziele seine Kräfte gewidmet habe. Er rechne unbedingt auf Freisprechung. Der Angeklagte Vanselow schließt sich seinem Verteidiger an und nennt zu seiner Enipfehlung eine ganze Reihe von l398
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