4426 Börsenblatt s. d. Lisch». Buchhandel. Fertige Bücher. 90, 18. April 1908. Ruederer Schon vor Jahren schrieb Max Halbe m einer Münchener Wochenschrift: „Josef Ruederer ist kein Jüngling mehr und kein Stürmer und Dränger. Die Jahre, da man kaum dunkel geahnte Empfindungen, erst undeutlich geschaute Gestalten hastig und zugleich siegesbewußt aufs Papier wirst, um die ungeduldige Mitwelt nicht länger warten zu lassen und sich auch seine unveräußerlichen Ansprüche auf die Nachwelt der neidischen Konkurrenz gegenüber rechtzeitig zu sichern, diese Jahre schnell fertiger Ansterblichkeit liegen hinter ihm. Für Ruederer waren es Jahre des Kampfes mit der Welt, des Ringens um eine äußere Lebensstellung, Jahre vielfältiger Erfahrungen, Beobachtungen, wechselvollen Würfelspiels, und wenn während dieser Zeit, da sein Charakter sich im Strom der Welt bildete, auch sein Talent in der Stille sich regte, so hat er dessen unreife Äußerungen wohlweislich im Kasten verschlossen und mit sicherem Takte dessen Wachstum überwacht, bis der Tag der Erfüllung und der Reife gekommen sein werde. Und dieser Tag ist gekommen. Dank und herzliches Glückauf dem geduldigen Manne, der zu warten verstand, damit er als ein starker Künstler vor die Welt treten könne. Solche Naturen find selten und darum kostbar." Im „Berliner Tageblatt" schrieb Fritz Mauthner in einer Würdigung von Ruederers Wallfahrer--, Maler- und Mördergeschichten: „Die Geschichte vom ,strohblonden Augustin, dem brennroten Kilian und der sittlichen Weltordnung' ist oft wüst, oft schrullenhaft erzählt, so daß die Phantastik mitunter in traumhafte Anordnung übergeht; aber ihr Verkäster ist ein Dichter, so wahr E. T. A. Hoffmann ein Dichter war. And er wird uns mit diesem genialischen Wurfe ein ganzer Dichter bleiben, auch wenn er sich selbst späterhin untreu werden oder wenn die Lust an der Tollheit ihn gelegentlich geschmacklos werden lassen sollte. Josef Ruederer ist mit dieser einen Erzählung ein Poet, allerdings nicht für die überästhetischen Dekadenten, die kein Blut sehen können, wie der strohblonde Augustin, und die darum vor dieser Kraft und vor diesem lauten Gelächter erschrecken werden; wir aber freuen uns der Kraft und des Gelächters, weil Ruederers rasche Entwickelung uns ein Zeichen mehr ist dafür, daß die Zukunft nicht einer der neuen Schulen gehört, nicht dem pedantischen Naturalismus und nicht dem verschwommenen Symbolismus, sondern jeder starken, saftstrotzenden Individualität. Nur möge niemand glauben, auch Ruederer selbst nicht, daß ein solcher Löllenbreughel sich nachahmen oder leicht wiederholen lasse. Das Beste an der Geschichte ist ja doch, was zwischen den Zeilen steht, die Auf lehnung gegen alle Philisterei und das tiefe Mitleid mit dem Schicksal des strohblonden Augustin, das himm lische Mitleid mit der verkommenen Menschenseele, diese letzte Philosophie der Resignation, die nur Einer in Deutschland so ergreifend und so humoristisch darzustellen vermag: Wilhelm Raabe Es ist das Wesentliche der Dichtergabe, solche nahezu religiöse, natürlich freireligiöse Empfindungen, wenn man sie fühlt, dem stillen Leser mitteilen zu können; in einer Schule züchten lassen sich nur Manieren, nicht Empfindungen. So ist Raabe ein Einsamer geblieben; so mag Ruederer — fast möchte man's ihm wünschen — ein Ein samer bleiben.