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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.04.1906
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 27.04.1906
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- Deutsch
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Nichtamtlicher Teil. 4213 ^ 96, 27. April 1906. einzig und allein die Routine des Geschäftsmanns. Habe ich gekauft, so teile ich meinen Kauf eventuell in 2 Konten: Materielles Wert-Konto und Ideales Wert-Konto. Hiervon mache ich jedes Jahr meine Abschreibungen, wie es mir mein Gewissen sagt. Bei Teilhaberschaft würden die Fälle ähnlich liegen. Leider steht der Buchhändler noch heute in der Buch führung weit im Hintertreffen; es gibt da Geschäftsführungen, die oft jeder Beschreibung spotten. Meine langjährige Tätig keit als Buchhändler hat es mir oft bewiesen. Und wenn ich mich heute als Angestellter einer Buchhandlung der Buch führung annehmen würde, so würden doch 50 Prozent der Chefs denken, ich hätte nichts zu tun. Ich hätte im nächsten Moment eine andre Arbeit, und wenn es Bindfaden aufzuknüpfen wäre, den wenigstens stillen Vorwurf der Bum melei noch extra Vielleicht finde ich noch die Zeit, mein angefangenes Werk über eine wirklich buchhändlerische Buchführung unter Berücksichtigung der verwandten Gewerbe durchzuführen: das gesammelte Material ist groß. Bücherrevisor Robert Lehmann, Leipzig. Kleine Mitteilungen. * L. Vom Reichsgericht. (Nachdruck verboten.) — Im Ver lage von Theodor Unger in Altenburgerschienen im vorigen Jahre in zwei Bänden die Novellen des Masuccio in der Über setzung von Ur. Paul Sakolowski. Tommaso dei Guardati Masuccio, aus Salerno gebürtig, lebte in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts am Hofe zu Neapel und ist be rühmt als Verfasser des »Novellino» (Neapel 1476, Mailand 1483, Venedig 1484 und 1492), einer Samnilung von 50 Novellen, die, wie es in Meyers Konversations-Lexikon heißt, eine Nach ahmung von Boccaccios »Decamerone-, lebenswahre, oft verwegene Sittengemälde aus der damaligen Gesellschaft enthalten und daher dem Forscher für italienische Kunst, Sitte und Lokalgeschichte des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts eine unschätzbare Quelle darbieten. Weil nun in einer der Novellen von der Verführung einer jungen Nonne durch den Prior ihres Klosters die Rede ist, glaubte ein Mitglied des Kölner Männeroercins zur Hebung der Sittlichkeit sich beschweren und das ganze Werk dem Staatsanwalt als unzüchtig bezeichnen zu müssen. Dieser lehnte die Verfolgung des Verlegers und Übersetzers ab; aber auf erhobene Beschwerde tat dies der Oberstaatsanwalt in Jena. Das Landgericht Altenburg erkannte aber in der Verhandlung vom 29. September v. I. auf Freisprechung des Herrn Unger von der Anklage der Verbreitung einer unzüchtigen Schrift. In den Urteilsgründen heißt es u. a.: Das Gericht hat den Inhalt der beiden Bände eingehend geprüft und gefunden, daß die wissenschaftliche Tendenz derart vorherrscht, daß diejenigen Stellen, die das Scham- und Sittlichkeitsgefühl verletzen könnten, dagegen zurücktreten müssen. Der Sachverständige Professor Or. Witkowski aus Leipzig hat sich dahin geäußert, daß die Übersetzung gewissenhaft angefertigt ist und daß der Übersetzer den altertümlichen Ton geschickt getroffen hat, der eher dazu bei trägt, die Anstößigkeit zu verhindern, als zu erhöhen. Der Über setzer hat die Anstößigkeit nicht erhöht, sondern abgeschwächt. Durch zahlreiche Anmerkungen sind dem Forscher wertvolle Finger zeige gegeben worden. Eine derbe Stelle hat der Übersetzer weg gelassen; aber er hat keine Novelle unterdrückt. Bisher gab es noch keine Übersetzung in deutscher Sprache; deshalb ist das vor liegende Werk von großem Werte. Cs kann deshalb nicht zuge geben werden, daß man es hier mit einer unzüchtigen Schrift zu tun hat. Das Buch setzt einen gebildeten Leser voraus; die Aus stattung ist angemessen und läßt keine nachteiligen Schlüffe zu. Gegen das freisprechende Urteil hatte der Staatsanwalt Re vision eingelegt. Es wurden Bedenken dagegen geltend ge macht, daß das Gericht sein Urteil lediglich auf das Gutachten des Sachverständigen ausgebaut habe. Auffällig sei es, daß in den letzten Jahren diese Reproduktionen von alten Schrift stellern mit solchen obszönen Darstellungen sehr in Mode gekom men seien, obwohl ein erhebliches literarhistorisches Bedürfnis Börsenblatt siir den Deutschen Buchhandel. 78. Jahrgang. sich nicht geltend gemacht habe. Daß das Buch für Forscher bestimmt sei, könne nicht zugegeben werden, denn es sei dem großen Publikum angeboten worden. Es sei in einer Auflage von 2200 Exemplaren erschienen. Das Gericht hätte dem Sach verständigen die Frage vorlegen müssen, ob in Deutschland sich 2200 Personen mit Studien über die italienische Renaissance beschäftigen. Das Urteil spreche selbst von der »derben, pikanten und nach unfern heutigen Begriffen fast anstößigen- Darstellung; es hätte also auf Grund seiner eignen Feststellung zu der Annahme kommen müssen, daß es sich um eine unzüchtige Schrift handle. In der Verhandlung vor dem Reichsgericht bezeichnete der Verteidiger die gegen das Urteil erhobenen Bedenken als solche tatsächlicher Natur, die in der Revisionsinstanz keine Beachtung finden könnten. Die Wirkung, die das Buch auf den heutigen Leser ausüben könne, habe die Strafkammer durchaus nicht ver kannt. Es handle sich hier um ein literarhistorisches Werk, und der Charakter eines solchen solle nicht geändert werden. Man müsse aus den Zweck des Originals zurückgehen. Die Straf kammer habe festgestellt, daß sich das Werk an gebildete Leser wendet, allerdings auch an solche, die an leichter Lektüre Gefallen finden. Schon der Preis des Buchs (jeder Band kostet 2 ^ 50 -)) verhindere, daß es in weitre Kreise dringe. Das Urteil des Reichsgerichts lautete auf Verwerfung der Revision. In der Begründung wurde folgendes ausgeführt: Die Entscheidung wird durch die Feststellung getragen, die deni Zusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen ist und die dahin geht: die Schrift ist die Übersetzung eines alten Originals und ein wertvoller Beitrag zur Kenntnis der Kulturgeschichte; sie ist ein bedeutendes Hilfsmittel für die literarische Wissenschaft und ein novellistisches Kunstwerk. Diese Feststellung ist tat sächlich und in der Reoisionsinstanz unanfechtbar. Wenn auf dieser Grundlage das Tatbestandsmerkmal der Unzüchtigkeit verneint ist, so kann darin ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden. Richtig ist zwar, daß eine Schrift des hier festgestellten Inhalts nicht rcchtsgrundsätzlich auch dann als straflos zu gelten hat, wenn dieser Inhalt sonst geeignet ist, das Scham- und Sittlich keitsgefühl zu verletzen. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des einzelnen Falls, und es kommt darauf an, zu prüfen, ob die Darstellung der geschlechtlichen Beziehungen durch das Vor herrschen des wissenschaftlichen und künstlerischen Zweckes derart in den Hintergrund gedrängt wird, daß das normale Scham- und Sittlichkeitsgefühl nicht verletzt wird. Es kann sein, daß der geschlechtliche Stoff zum Selbstzweck wird und daß beab sichtigt ist, auf den Leser einen geschlechtlichen Reiz auszuüben; es kann auch sein, daß der Verfasser die Behauptung, sein Buch sei didaktisch und wertvoll zur Bereicherung der Kenntnisse über eine bestimmte Kulturepoche, nur ausstellt, um sich vor ab fälliger Kritik zu schützen. Wenn aber die Gesamt- Tendenz dahin geht, den lehrhaften und künstlerischen Inhalt zum ausschließlichen Zweck zu gestalten, derart, daß dieser Zweck nur erreicht werden kann, wenn auch geschlechtliche Dinge heran gezogen werden, dann entfällt für das fragliche Werk der Cha rakter der Unzüchtigkeit. Hier kommt auch der Kreis der Leser in Betracht, für die das Buch bestimmt ist. Besteht er nur aus solchen Personen, die künstlerische und wissenschaftliche Zwecke bei der Lektüre verfolgen, so wird als Norm anzunehmen sein, daß das Buch nicht als unzüchtig anzusehen ist. War das Buch vom Verfasser für diesen Zweck bestimmt, so ist der Schluß auf den guten Glauben und den Mangel des Bewußtseins der Unzüchtigkeit gerechtfertigt. Von diesem Gesichtspunkte aus hat das Landgericht den Sachverhalt ge prüft, und aus tatsächlichen Gründen ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß der § 184,1 StGB, im vorliegenden Fall keine Anwendung findet. Das Landgericht hat auch insbesondre die von der Revision be mängelten Feststellungen getroffen. Es hat tatsächlich festgcstellt, daß die moralischen Betrachtungen des Originals nicht weggelassen ind, um die geschlechtlichen Dinge in den Vordergrund treten zu lassen, sondern aus rein künstlerischen Rücksichten. Das Land gericht hat auch die Frage geprüft, ob etwa aus dem nur dem Buchhandel zugänglich gemachten Prospekt auf eine unlautere Absicht zu schließen sei, und es hat wiederum festgestellt, daß der Prospekt aus rein buchhändlcrischen Rücksichten so abgefaßt worden ist, um den Fachgenossen die Möglichkeit zu geben, zu prüfen, ob sie das Buch verbreiten können. 553
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