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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 04.03.1901
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1901-03-04
- Erscheinungsdatum
- 04.03.1901
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
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1820 Nichtamtlicher Teil. 53, 4. März 1S0I. Großstädten gedeihen kann Das Theater kann man nicht für den mangelhaften Buchverkaus verantwortlich machen. Das ist eher ein Reiz mehr zum Bücheranschaffen Aber trotzdem bietet die Großstadt eben doch mehr Zerstreuung als die Kleinstadt, was eine Lektüre nicht aufkommen lassen kann. Wieviel Zeit beansprucht allein das in der Großstadt so üppig entwickelte, nervöse gesellschaftliche Leben! »Wie kommt es nun, daß in der Kleinstadt trotz der größeren Muße keine Litteratur gepflegt wird, daß man dort fast nur Bücher kennt, die nicht eigentlich ein tieferes Geistesleben fordern und fördern? »Meies mag an der fehlenden Anregung liegen. »Da sind z. B. die Zeitungen, die im Orte erscheinen. Die eine ist ein Kopfblatt, eine »unparteiische Zeitung«. Ihre beiden Innenseiten werden in einer Berliner Groß- druckerei hergeftellt. Politische Notizen, das heißt: Beförde rungen und Entlassungen von höheren Staatsbeamten, meistens von Militärs, wechseln mit parlamentarischen Nach richten aus dem Auslande. Dann kommt ein Reichstags bericht — der natürlich nie eine Rede der Opposition, nie eine Begründung der Opposition bringt. Darauf folgt ein Artikel »Fürstenliebe« oder »Der letzte Brigant«, ferner eine Reihe Berichte über Mordthaten, schreckliche Unglücksfälle und Gerichtsscenen. Zum Schluß einige »praktische Winke« und quer über beide Seiten unten ein »Roman«, meist ein Kriminalroman. Die erste Seite zeigt ab und zu eine Art Leitartikel, das heißt eine der »Konservativen Korrespondenz« entlehnte Notiz, wenn gerade Kolonieforderungen gestellt oder irgend eine auswärtige Angelegenheit im »patriotischen« Sinne besprochen werden kann. Innere Angelegenheiten werden, mit Ausnahme von Angriffen auf die Koalitions freiheit, grundsätzlich verschwiegen. Der übrige Stoff des Blattes besteht aus Bekanntmachungen, Berichten über Krieger vereins - Festlichkeiten, Bränden und Unglücksfällen aus der Umgebung. Die letzte Seite füllen Inserate. »Das andere Blatt wird ganz im Orte gedruckt Sein Ton ist ein klein wenig mehr auf das »Lokale« gestimmt. Dazu kommen ab und zu einige liberale Bemerkungen, die sich für Kaufleute und Hausbesitzer, auch sür die Lehrer schicken. Aber diese Liberalität ist nur höchst loyal. Und das ein wenig selbständige Betrachten der Geschehnisse ist nur scheinbar und an die Stellungnahme größerer Zeitungen gebunden. Die Berichterstattung ist etwas genauer und die Herauszerrung des Sensationellen gemildert. Die Beilagen sind dieselben, wie bei dem Kopfblatt: -Landmanns Sonntngs- blatt«, mit Reklameartikeln für irgendwelche Maschinen oder Dungsorten, ein »Illustriertes Sonntagsblatt« und eine »Lachende Welt«. »Außer diesen Blättern werden durch die Post bezogen: von den kleineren Kausleuten und einigen Rentiers ein Hauptblatt der Provinzhauptstadt, von einem höheren Ver- waltungsbeamten die »Neue preußische (Kreuz-) Zeitung«, von den Pastoren »Das Volk«, von Gutsbesitzern der Um gegend und Getreidehändlern die »Deutsche Tageszeitung«. Größere Hotels abonnieren stets aus das »Berliner Tage blatt-; sonstige freisinnige Elemente halten die »Morgen- Zeitung«. Von Witzblättern findet man, nicht überall, die »Lustigen Blätter« in dem besuchtesten Hotel. »Ferner existieren im Orte zwei bis drei Lesezirkel. Jede Woche giebt es eine neue Lieferung der Familienblätter: »Ueber Land und Meer», »Daheim«, »Gartenlaube-, »Dies Blatt gehört der Hausfrau», »Vom Fels zum Meer», -Zur guten Stunde« u. s. w. Dazu kommen noch einige Witz blätter: »Meggendorser«, »Dorfbarbier« und »Fliegende«. Einmal überraschte mich ein Lesezirkel durch die Lieferung des »Simplicisstmus«. Das war aber in einem Ländchen, das noch fast asiatische Zustände hat, wo der Fürst unum schränkt despotisch herrscht und der Bürgerschaft reichlich Gelegenheit giebt, die beißenden Bemerkungen als Anzüglich keiten auf Vorgänge im Herrscherhause zu betrachten. »Also: gelesen wird schon in den Kleinstädten. Aber was so bei dieser Bevorzugung des Journallesezirkels heraus kommt! Die Frau eines jungen Großbauern, die mehrere Jahre in einem Pensionat »Bildung« gelernt, gestand mir einst verzweifelt, daß sie nicht wüßte, in welchem Roman Lore ihren Lieutenant nicht bekommen sollte und in welchem sie ihn bereits bekommen. Zwölf oder gar sechzehn Fort setzungen verschiedener Romane jede Woche — das wäre eine Arbeit für einen Gedächtniskünstler, die Vorgänge und Personen auseinanderzuhalten. — »Ich will nun auch nicht sagen, daß die Kleinstädter wegen ihrer Interesselosigkeit an dem Werden der Litteratur etwa in der Kultur ein gut Stück zurück wären. Ja, es ist vielleicht ganz gut, daß sie all die Schwankungen der Mode, die Hetzereien und Jntriguen nicht mitmachen — würden sie sich nicht leider durch das Ueberfüttern mit der minderwertigsten Litteratur nicht allein den Geschmack, sondern auch die gesunde Freude an den Vorgängen des Lebens verderben. Was ist die Rede, daß das Leben schon genug Trauriges und Schreckliches biete, daß man so elivas nicht lesen wolle, anders, als eine unnatürliche Verzärtelung, als Entwöhnung von ehrlicher, wirklicher und inniger Kunst! -Wohl ist ein trockener Realismus nichts für die Klein städter. Der Deutsche liebt zu sehr die Romantik, als daß ihn eine getreue Darstellung seiner selbst interessieren würde — wenn sie nicht gerade vom Humor verklärt ist. Man soll nur nicht glauben, daß der Norddeutsche ohne Humor ist. Was für Witzbolde giebt es z. B. in der Provinz Sachsen, in Mecklenburg, Vorpommern und anderen, wohl habenderen Landstrichen! Dieses gesicherte Leben in heiteren, flachen Landschaften der Ebene erzeugt ja geradezu den Humor. Umsonst sind nicht die meisten der wichtigen Humoristen gerade Norddeutsche, wie Reuter und Wilhelm Busch. Jean Paul verbrachte ja auch geraume Zeit seines Lebens in Norddeutschland. »Diese Abneigung gegen Realismus verschuldet wohl auch die Vorliebe der Kleinstädter für Kriminalromane. Sie finden darin Stofs für ihre Phantasie. Diese Phantasie, die von den merkwürdigen Eindrücken der Ebene, durch mannigfaltige, sonderbare und seltsame Vorgänge in den rot stämmigen Kiefernwäldern, schilfumrahmten Weihern und Seen, unübersehbaren Feldern und Heiden mit einzelnen, melancholischen Baumgruppen, sowie an den wandernden Sandusern und moorigen Schlicken des rastlosen Meeres erzogen worden. »Welch ein Absatzfeld könnte dort eine Litteratur finden, die dem Wesen dieses Volkes entspricht, die nicht nur der litterarischen Sensationslust der Großstadt dient! Aber geschickte Verleger müßten es den Kleinstädtern mundgerecht machen, dieses neue Gericht. Denn: wenn auch schon die Familienblätter und die angeführten, falschen und halben Modernen viel mit ihren schlechten Würzen verdorben haben — so ganz ist die Ehrfurcht vor guten Büchern noch nicht erloschen. Fand ich doch in fast allen Familien noch die Bibel. Wohl wird sie jetzt nicht mehr so ausschließlich ge lesen, wie es einst gewesen sein soll — das ganze Lese bedürfnis wird ja fast allein von den Journalen befriedigt — einzelne Frauen fand ich doch Sonntag-Nachmittags über diesem klassischen Band prächtiger Wirklichkeits-Erzählungen und kräftiger Sagen. Eine meiner Wirtinnen studierte ehrfurchtsvoll die Zettelchen, die ihr verstorbener Sohn als Erläuterungen zwischen die Seiten der alten Familienbibel gelegt. »Geld giebt der Kleinstädter natürlich ungern aus; sehr
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