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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.02.1900
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 14.02.1900
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- Deutsch
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Die Kurist wird trotz der scheinbar beschränkten Anwendungs fähigkeit dieses Paragraphen gefährdet, sie wird schon dadurch gefährdet, daß man überhaupt beginnt, die Verbreitung solcher nicht unzüchtigen Bilder in irgend einer Form unter Strafe zu stellen. Welche Veranlassung liegt nun für ein derartiges neues Gesetz vor? Es ist ja schon öfter in diesem hohen Hause gesagt worden, doch kann mich das nicht von der Pflicht entbinden, es zu wiederholen, daß alle diese Dinge, das Geschlechtliche, das Nackte, das Unbekleidete, dem Reinen rein sind; dem Schwein aber wird das alles zur Schweinerei. Dem ist eben nicht abzuhelfen. Gegen eine solche Gesinnung, die in dem Reinen, Natürlichen, Unbekleideten etwas sieht, woran sie sich aufregt, weil sie unkeusche Gefühle empfindet, giebt es überhaupt keinen gesetzlichen Schutz. Es giebt unreife Kinder und unreine Naturen auch im höheren Alter, die sich aufregen, wenn sie in der Bilderbibel Adam und Eva sehen. Wollen Sie etwa deshalb die Verbreitung solcher Bibeln bekämpfen? Es giebt Leute, die sich ausregen an naturwissenschaftlichen und medizinischen Darstellungen des Nackten und Natürlichen, die in der Darstellung des nackten menschlichen Leibes nicht den Menschen, sondern eben bloß das Nackte sehen. Wollen Sie solcher Schmutzfinken wegen ein Gesetz geben? Ich begreife nicht, welchen Zweck es hat, auf solche Leute irgend welche Rücksicht zu nehmen, die ihre unlauteren Gelüste doch auf tausend und abertausend andere Weisen werden befriedigen können. (Sehr richtig! links.) Es hat aber dieselbe Sache noch eine andere Seite. Es ist unzweifelhaft, daß es Leute giebt, die, ohne selbst unkeusche oder unzüchtige Handlungen zu begehen, überall bei Anderen Unkeuschheiten und Unzüchtigkeiten wittern. Ich erinnere mich eines alten Herrn, den ich in meiner Kindheit gekannt habe; der setzte uns Kindern auseinander, daß die mittel alterliche Kunst darum so viel höher stehe als die antike und moderne Kunst, weil man bei der mittelalterlichen Plastik niemals den menschlichen Leib unter den Gewändern sehen könne. Im menschlichen Leibe witterte dieser Herr immer etwas Unkeufches; nach seiner Meinung durfte man bloß den Kops darstellen, das übrige sollte wie ein Brett gehalten sein. Das war auch so eine Kunstauffassung, die aus der ewigen Angst vor dem Natürlichen hervorgeht. Es giebt bekanntlich Dämchen, die nicht das Wort Hose hören können, ohne zu erröten, weil sie immer an das denken müssen, was darin steckt. (Große Heiterkeit.) Es giebt Leute, die sich — offen gesagt — schämen, daß sie nackt in ihren Kleidern stecken; ja es giebt Leute, die den Kindern verbieten wollen, sich zu waschen, weil sie dabei ihren eigenen nackten Leib sehen. Ich meine, daß wir auf solche Verirrungen keine Rücksicht nehmen sollten, und ich glaube, daß dieses ganze Gesetz aus diesem durchaus ver fehlten Geiste herausgeflossen ist. Es fehlt auch jeder Beweis eines Bedürfnisses hierfür, trotz des Vortrages mit Lichtbildern nach moderner Manier, den uns eben der Herr Kollege Roeren hier gehalten hat. Die neuere Reichsgerichtsjudikatur — das habe ich gestern schon besprochen, und das hat Herr Roeren ebenfalls erwähnt — hält heutzutage schon alles Mögliche für unzüchtig, wobei früher kein Mensch daran gedacht hatte. Der Herr Kollege Roeren fürchtet nur, daß sich die Judikatur des Reichsgerichts einmal wieder wandeln könnte. Meine Herren, wenn wir das hoffen könnten, wäre es ja sehr schön. Wir haben aber bei allen Wandlungen, die die Judikatur des Reichsgerichts erfahren hat, immer nur gemerkt, daß sie sich nach rückwärts wandelt (sehr richtig! links), aber nie nach vorwärts. Die Fälle, die der Herr Kollege Roeren hier vorgetragen hat, vermögen auch mich trotz der Bilder, die ich mir angesehen habe, nicht davon zu über zeugen, daß es ein Bedürfnis ist, derartige Gesetze zu machen. Zunächst würden die Fälle, die Herr Kollege Roeren vor getragen hat, überhaupt nicht von dem Gesetze betroffen werden. Wenn er sich von dem Buchhändler die Mappe hat vorlegen lassen und aus der Mappe herausgesucht hat, was er kaufen wollte, um es uns als abschreckendes Beispiel vor zulegen, so würde der Händler auch nach diesem Gesetze nicht strafbar sein; denn der Herr Kollege Roeren ist meines Wissens nicht unter 18 Jahren (Heiterkeit), und außerdem waren die Bilder im Laden nicht offen ausgestellt (sehr richtig!), sondern lagen in der Mappe. Das Gesetz wird allerwege seinen Zweck verfehlen; denn jeder dumme Junge, der solche Sachen kaufen will, hat immer einen Bruder oder Vetter Uber 18 Jahre, der für ihn hingeht, um die Sachen zu kaufen, und so wird das Gesetz immer aus diese Weise um gangen. Ich kann ebenso in der Statistik, die Herr Kollege Roeren vorgetragen hat, nichts finden, das mich überzeugen könnte. Es ist richtig, die Zahl der Sittlichkeitsdelikte hat zugenommen. Nach meiner kriminalistischen Erfahrung kommt aber ein großer Teil dieser statistischen Zunahme daher, daß heutzutage viel schärfer ausgepaßt wird und zahlreiche Dinge zur Anklage und Verurteilung kommen, die früher überhaupt nicht zur Aburteilung gelangten. Wir haben es erlebt, daß Knaben und halbwüchsige Burschen, weil sie nackt im Flusse gebadet haben, wegen unzüchtiger Handlungen verurteilt worden sind. (Hört! hört!) Ja, in Kleidern kann man nicht baden. Mir fehlt auch der Beweis dafür, daß die so und so vielen Tausende, die wegen Unzucht verurteilt worden sind, dazu verführt worden sind durch Bilder oder Schriften, die nicht unzüchtig waren, wie es ja dies Gesetz erfordert. Der Herr Kollege Roeren ist mir trotz des Beispiels aus seiner Vaterstadt den Beweis dafür schuldig geblieben; nach meinen kriminalistischen Erfahrungen ist gewöhnlich dis Jugend schon viel früher verdorben, ehe derartige Schriften an sie herangeraten. Es kann mich auch nicht einmal mit Entrüstung er füllen, wenn ich die Bilder selbst sehe. Ich sage offen, für mich haben sie nicht etwas so Entsetzliches, Abschreckendes wie für den Herrn Kollegen Roeren. Die eine Postkarte stellt das bekannte Bild, wenn ich nicht irre, von Corregio »Zeus als Wolke und Jo- dar; das ist ein klassisches Bild, an dem meiner Meinung nach überhaupt nichts Schamverletzendes ist, es zeigt einen nackten Frauenleib von hinten. Ich habe bei dem Anblicke dieses Bildes nie irgend welche unksuschen Empfindungen gehabt und auch nie an die Möglichkeit ge dacht, daß ein anderer sie dabei haben könnte. (Heiterkeit.) Herr Roeren legt uns ferner Bilder von nackten Weibern vor, die so photographiert worden sind; freilich, es läßt sich nicht leugnen, es sind nackte Weiber mit allen Merkmalen weiblicher Nacktheit. Ja, was beweist das, was ist dabei? Die Bilder sind gemacht worden zum Studium für junge Künstler. Es ist nicht jeder Künstler in der Lage, sich nackte Modelle kommen zu lassen und vor ihnen nach der Natur zu zeichnen, und deshalb sollen ihm die Photographieen dienen, die erheblich billiger sind. Ich meine auch — und ich denke, der Herr Kollege Roeren wird wohl selbst meiner Meinung sein —, daß an der Sache durchaus nichts ge bessert wäre, wenn man die Maler zwänge, sich persönlich
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