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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.01.1900
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- 25.01.1900
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- Deutsch
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20, 25. Januar 1900. Fertige Bücher. 693 eines stillen rüstigen Fischers. Dort findet die verirrte Psyche Unterkunft auf ihrer Fahrt zu den Widdern des Helios, deren goldflockige Wolle zu bringen Aphrodite sie geheißen. Am Sonn wendtage kann man die Insel des Helios erreichen; Beda, der Mutter des Fischers den aufhorchenden Enkeln die Geschichte der ge heimnisvollen Fremden. Der dritte führt uns in die Götterwelt. Aphrodite sucht Demeter auf, ihren Rat zu hören. EroS ist krank, seitdem er Psyche verlassen. Demeter rät, den Sohn mit der Geliebten zu vereinigen, aber Aphrodite zürnt noch immer der Unzufrieden kehrt sie nach Paphos zurück, wo ihr Dionysos, der Weingott, begegnet und gleichfalls für Psyche Partei nimmt. Und endlich naht gar die Unselige selbst, die Flocken des goldenen Vließes in der Hand, Erfüllung des gegebenen Versprechens for dernd. Aphrodite weist sie abermals zornig zurück. Da meldet Dionysos, daß Eros entflohen sei. Die Göttin ahnt, wohin. Er ist zu ZeuS, um von ihm die Apotheose der Geliebten zu erbitten. In rasendem Zorne eilt sie ihm nach. Aber sie kommt zu spät. Im vierten Gesänge, der im Olymp spielt, hat Eros von dem Göttervater schon die Erfüllung seiner Bitte erlangt, aber auch die Das Wasser des Styx verwandelt Götter in Menschen, Menschen in Götter. Der Mensch, der von ihm trinkt, sieht plötzlich den ganzen Erdenjammer in einem Bilde, und sein Herz wird zu Stein, erbarmungslos wie das Schicksal. Denn die Götter kennen kein Mitgefühl. So kann er mit dem Opfer seines menschlichen Herzens sich ewige Jugend erkaufen. Psyche scheut auch den letzten schweren Gang nicht. Sie steigt in die Unterwelt, deren wunderbare Schilderung der fünfte Gesang enthält. Aber Becher des grauenhaften Trankes an die Lippen setzen will, da steht ihr plötzlich in leuchtender Schönheit der Gemahl zur Seite, küßt sie lange und — leert selbst den Becher. Der Gott, der Menschenliebe und Treue und Götterhärte kennen gelernt, ver zichtet auf sein Gottsein. Mensch will er werden und leiden, denn -in die Nacht der Vernichtung leuchtet die Wonne der Wieder geburt und des ewigen Werdens». Er wird Mensch und stirbt mit der Geliebten.^ So legt ein Dichter wieder^ Zeugnis davon ahnen als sehen läßt, sind Säulen gängevon einer Schönheit, die sich dem Schönsten, was Menschenhand geschaffen, an die Seite stellen können. Der germa nische Fluß, das sonnige Mittelmeer, die Insel Si- cilien, die Wohnung des Eros, die Heimat der Aphro dite, der Olymp und der Hades sind mit Farben gemalt, in Linien gezeichnet, die den bildenden Künstler mit ausgesprochen werden, ist die Rede von einer Glut und Bildlichkeit, die kaum übertroffen werden kann. Nur eine Probe sei davon gegeben, die beweisen mag, daß die Lob preisung des wundervollen Merkchens nicht unkritischer Ueber- schwenglichkeit entspringt. Dionysos klagt, daß seit der Erkrankung des Eros den Menschen alle Freude fehle. Das thut er folgender maßen: Wir sind Kinder des Zeus, doch ich, als Enkel des Kadmos, Stehe den Sterblichen nah', von der sterblichen Mutter geboren; Ihrem Geschlecht nun bin ich geneigt; wie dem hohen Prometheus, Der in der Schilfrohrstaude das heilige Feuer herabtrug, Brennt mir immer das Herz, in des Schicksals Räder zu greifen, Die mit krachendem Gang die Geschlechter der Erde zermalmen. Da, was nothtat, fand ich im Geist: ich schenkte dem Menschen Trunkene Lust, entzückenden Rausch und süßes Vergessen, Daß er das Leben in ewiger Not, ja mitten im Tode Köstlich nennt und nimmer begehrt, von der Sonne zu scheiden. Aphrodite lachte. Vergiß nicht, rief sie, der Liebe, Meiner Gewalt, die stärker berauscht; nicht braucht sie des Mischtranks. Dionysos lächelte sanft und erwiderte sinnend: Heilig ist mir jeglicher Rausch; ich lobe den Wein nur, Wo sich die Glut nicht selbst aus eigenem Feuer entzündet. Aber ich lobe den trunkenen Mut, der Leben im Tode Wirkt, ich lobe die Liebs, den Rausch der begeisterten Jugend. WaS sie gewaltig ergreift und die eherne Schranke des Tages Einreißt, holder Gesang und der Tanz und die Töne der Leier, Hr>mnen und mystischer Dienst, dithyrambische Rede der Seher, Völkergewimmel in festlichem Raum und musischer Wettkampf, Siebcnundsechzigster Jahrgang. Das ist göttlicher Rausch. Wenn wild auf quellenumrauschten Höh'n die begeisterte Schar dionysischer Schwärmer dahinbraust, Dann scheint alles erlöst, und die Wanderer schreiten heroisch lieber den Nacken der Erde dahin von Gipfel zu Gipfel. Alle verschmelzen in heiliger Glut, und die goldene Zeit kehrt Wieder, der Tod ist nicht, und das Dasein ewiges Leben. Also war es — es ist nicht mehr. Mein göttlicher Rausch ist Nicht mehr heilig und fromm, denn mystische Weihe gebricht ihm. Ich hüte mich, andere Stellen auszusuchen. Das halbe Gedicht müßte hier abgedruckt werden, wenn von der Pracht dieser Verse eine rechte Vorstellung gegeben werden sollte. Wer Sinn hat für Adel der Form, wer in dem Eifer derGeschäfte und derBitterniS des Tages sich die Fähigkeit gewahrt hat, auf Bergeshöhe zu steigen und in Aetherbläue zu baden, wird ohnehin das Buch selbst zur Hand nehmen und sich still darein ver senken. Junge Paare, die am Strande von Sorrent ihren Liebesfrühling feiern oder in der Höhe von Taormina den Traum der Vergangenheit träumen, werden die Verse modulieren, wie einst die Strophe des göttlichen Homer dort ertönt. Dem Stumpfen aber kann man Schönheit nicht erklären. Den neuen Dichter zu ,,entdecken", ist nicht mehr von nöten. Er ist schon entdeckt. Wie es einem ergeht, habe ich von allen Ankündigungen des Gedichtes nicht eine einzige wahrgenommen, solange ich es selbst nicht gelesen hatte. Nun erst nahm ich sie zur Hand. Es sind Dithyramben. Die reichsdeutsche Kritik singt Jubellieder, und wenig fehlte, so würde der gestern noch unbe kannte Dichter Homer und Goethe als ebenbürtig an die Seite gestellt. So erfreulich das auch sein mag, weil es beweist, daß die hohe Empfänglichkeit der deutschen Elite für echte Poesie auch Ueberschwang auch im Interesse des Dichters kritisch entgegen getreten werden. Dem AuSruf des Entzückens fehlt das Maß, dem Urteil des Enthusiasmus die feste Kontur. Die muß dann gezogen ist, nicht die Menschen zwang, den Atem anzuhalten und einander zuzuraunen: es ist wieder einer entstanden, dem es ge geben ward, zu sagen, was wir leiden? Wie kommt es, daß auch der entzückte Leser von der Lektüre des Buches erwacht wie Die Erklärung giebt sich einfach. Goethe sagt, die besten Ge dichte sind immer Gelegenheitsgedichte. Er meint damit, daß die besten nicht diejenigen sind, die einer vorgefaßten künstlerischen Absicht entspringen, sondern diejenigen, die dem Dichter „auf die Nägel gebrannt* haben, die ein persönliches Bekenntnis enthalten. Die Secession hat dasselbe in der vermeintlich neuen Formel gesagt: Der Zeit ihre Kunst. Die Werke, die wie Offenbarungen wirken sollen, müssen aus der innersten Seele, aus dem innersten, tiefsten Erlebnis herausgeboren werden, bei aller Objektivität der Form durch und durch persönlich sein. Hamlet, Werther und Faust sind urpersönlich, auch die Jliade und die Odyssee waren es für den griechischen Sänger, dem der jähe Achill und der vielgewandte Odysseus als die eigensten Ideale vor schwebten. Was sind uns aber Eros und Psyche, was Aphrodite und Hermes? Was ist uns Hekuba? Wunder genug, daß ein Dichter uns auf eine Stunde in diese Welt hineintäuschen kann, aber es ist nicht unsere Welt. Genug ist geschehen, die antike Form mit neuen Gedanken zu erfüllen, und die kühne Wendung, daß nicht Psyche in den Olymp eingeht, sondern der Eros, den Olymp verabscheuend, zum Menschen wird, ist hochmodern und genial. Die ganze Dichtung ist trotzdem nicht in der Tiefe der Persönlichkeit empfangen und an innerem Lichte gereift, sondern entstanden als ein Krystall im Niederschlage der Begeisterung für die hellenische Antike, für eine Kunst, die schon einmal gewesen, für den originären Gefühlsausdruck von anderen. Das ist sekun däre Kunst, wenn man so sagen darf, die noch so vollendet sein darf, der doch im innersten Kern etwas Epigonenhaftes angeboren ist — Canova, nicht Praxiteles, Mendelssohn, nicht Mozart. Fruchtbar ist aber nur das Ursprüngliche, das Sonnenlicht, und nicht das Reflektierte des Mondes. Es wäre bedauerlich, wenn andere Talente dem Berliner Dichter um seines großen Erfolges willen in die Bahn folgen wollten, die doch nur zum Antikisieren, zum Akademikertum führt. Aber freuen dürfen wir uns an dem vollendeten Werke des Renaissance-Künstlers. Sein Werk ist ein Juwel, ein köstliches Werk, dessen Formenadel und Lieblichkeit reichlich entschädigt für das, was ihm an Feueratem der Ur sprünglichkeit fehlt. Hugo Ganz. 91
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