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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 25.01.1900
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- 25.01.1900
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- Deutsch
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692 Fertige Bücher. 20, 2S. Januar 1900. lEi Neue Ireie Ureß'e. Wien, den 13. Januar 1900. Ein nachgeborener Hellene. Ein witziger Kopf behauptete einmal, Gutenberg verdiene zwar seine Denkmäler, weil man Dank seiner Erfindung nun alles drucken alles drucke, was man wolle. Von dem Unsegen der segensreichen Erfindung wird man zu keiner Zeit stärker überzeugt, als in den Wochen vor Weihnachten. Jede Post bringt neue Stöße von Büchern, bloß broschierten und in Prachtbände gehüllten, mit und ohne Schutzkarton, und verzweiflungsvoll fragt man sich, wie es denn möglich sei, in dieser Flut sich zu orientieren, die Spreu vom Weizen zu sondern. Man verzichtet wohl auch schließlich darauf, alles vom Anfang bis zum Ende zu lesen, und greift nur so auf gut Glück hie und da einen Band auS dem Haufen heraus, um ihn nach flüchtigem Durchblicken wieder zu dem Uebrigen zu legen. Es ist ja so selten der Mühe wert. Und wieder einmal griff ich in den Haufen. Ein schmales Büchlein mit Schutzkarton blieb mir in der Hand: Hans Georg Meyer. „Eros und Psyche" *) stand auf dem Karton gedruckt. Meyer heißen und über Eros und Psyche schreiben, ist ein bißchen stark, dachte ich mir. Meyer ist doch überhaupt kein Name, auch mit zwei Vornamen davor noch nicht. Der Conrad Ferdinand hat schon das Unglaublichste geleistet, als er diesem blässesten aller Gattungsnamen zu einer individuellen Physiognomie verhalf. Freilich, was für knorrige, eigenartige Sachen hat der auch ge schrieben! Den „Jürg Jenatsch" und die „Hochzeit deS Mönchs" und allerlei Buntes und brausend Starkes. Den Mann wird man nimmermehr vergessen. Aber nun noch ein Meyer, und was ist es gar, was er uns anbietet? Etwas Mythologisches. „Eros und Psyche". Ich klappe das Buch auf. . . . Mein Gott, Hexa meter auch noch dazu! Meyer heißen, ein mythologisches Thema behandeln und noch obendrein in Hexametern, das ist ja eine ganze Mitrailleusenladung von Unmöglichkeiten. ... So was schickt ein Verleger auf den Büchermarkt? O, Gutenberg! Apathisch, nur dem Trägheitsmoment folgend, irrt das Auge über ein paar dieser langen Hexameterzeilen, nur um noch die letzte Bestätigung zu holen, daß man auch dies Produkt welt fremder Gymnasiallehrer-Litteratur getrost zu dem Uebrigen legen dürfe. . . . Doch was ist das? Die Apathie hält nicht an, die Hexameter rinnen nicht wie der Sand der Uhr an Auge und Ohr eintönig einschläfernd vorüber, sie haben Physiognomie und Farbe, sie haben Wohllaut, sie werden immer plastischer, immer interessanter! Interessante Hexameter, die unser Blut in Wallung bringen, wer hat sie geschrieben seit Goethe? Kein Mensch hat es auch nur versucht. Und nun dieser Herr Georg Hans oder Hans Georg Meyer. . . . Der Divan ist zum Glücke nahe. Eine bequeme Lage wird gesucht, die Cigarre angezündet und nun das Buch von vorne an gelesen, wie es sich schickt einem Autor gegenüber, vor dem man schon den Hut gelüftet hat. Wirklich gelesen, nichtskandiert. Bald verschwindet das Gefühl völlig, daß die Geschichte da von einem mythologischen Pärchen handelt, daß sie in Versen erzählt ist, in gekünstelter Sprache. Leicht, wieaufsingendenWellen trägt uns der Hexameter dahin durch Bilder von berauschen der Schönheit . . . des alten Hellas Wunder steigen auf ... der Vorwelt silberne Gestalten ... Wo ist die Apathie geblieben? . . . Stunden vergehen, ohne daß ich es bemerke, und als ich endlich bei der letzten Zeile das Buch aus der Hand lege mit brennendeni Aug und glühender Wange, da hält es mich nicht mehr; ich muß ausrufen: Ein Dichter! ein Dichter! Deutschland hat wieder einen Dichter! Ja, Deutschland hat wieder einen Dichter, und Meyer heißt er, Hans Georg Meyer. Den Namen wird man sich merken müssen, so schwer es auch fallen mag, wie Lord Byron sich den Namen kro; unll«« Leorg Mever. Dritte Auflage. Preis geb. 4 brosch. 3 Derlin, Verlag von Aarl Slegirniuntl. Grillparzer hat merken müssen, so sauer das ihm auch geworden' Und da ich den Namen Grillparzer nenne, da werden mir auch schon die Fäden sichtbar, die von Sappho und Hero und Leander hinüberführen zu Eros und Psyche des Hans Georg Meyer. Es sind silberne, feine, kaum wahrnehmbare Fäden. Sie führen von Seele zu Seele, von Stimmung zu Stimmung, nicht von Form zu Form. Es ist nicht der Zusammenhang wie zwischen Meister und Schüler, zwischen Pfadfinder und Epigonen. Es ist Geschwisterlich- keit, eine Ähnlichkeit, die auf gleichen Ursprung zurückdeutet. Thorwaldsen, Canova, Grillparzer, Meyer, sie alle sind hervor- acgangen auS der staunenden Verehrung für die Wunder der Antike, die Winkelmann entdeckt und Goethe neu belebt hat. Wer kann sagen, der oder jener ist nicht originell, ist nur ein Nach ahmer? Die antike Linie trifft kein Nachahmer. Er muß ein Nachgeborener sein. Und ein Nachgeborener ist auch Meyer, ein nachgeborener Hellene. In wenigen Jahren wird sein Buch in keine mguten Hause mehr fehlen, wird man ihn den Nachklassikern, den Grillparzer, Hebbel und Kleist an gereiht haben, dieindenPhysiognomieen verschieden, doch alle den Adel ihrer Form der inbrünstigen Ver tiefung in die göttliche Schönheit derAntike verdanken. Ein episches Gedicht ist „Eros und Psyche", schön wie ein Silber-Relief von getriebener Arbeit aus der Hand eines Meisters der Renaissance. Die liebliche Gruppe des Canova, die in der Villa Carlotta am Comersee steht. Eros sich herabneigend zur sehnend sich aufrichtenden Psyche, ist aus tausend Nachbildungen aller Welt bekannt. Sie mag dem Dichter die Anregung und die Stimmung zu seinem Gedichte gegeben haben. Canova ist zart und süß, wenn man will, weiblich, ein Elegiker des Marmors. Elegisch ist auch die Grundstimmung des Meyerschen Gedichtes, jeder grelle, titanische Ton wird darin vermieden. In Wohllaut ist auch der tiefste Schmerz aufgelöst, kein Schrei der Revolte zerreißt die Harmonie. Gedanken von infer nalischer Wucht werden in himmlisch sanftes Gewand gekleidet; mit einem Kusse wird die olympische Welt vernichtet. Das Gedicht enthält, wie nur irgend ein faustisches Werk, eine resolute Absage an die Ueberirdischen, aber die Los lösung von dem Himmlischen geschieht ohne geräuschvollen Kampf, kein Pelion wird auf den Ossa getürmt, kein Titane ringt in gigantischer Qual. Von Adagio zu Adagio vollzieht sich ein sanfter Uebergang, und ehe wir uns dessen versehen, ist die stählerne, heitere Welt der Götter verschwunden und die leidvolle, aber geheiligte der Menschen an ihre Stelle getreten. Eine Götteroämmerung ohne Pauken und Posaunen. Der nachsinnenden Seele bleibt es Vorbehalten, die Größe des Vorgangs nachzufühlen. Den Stoff liefert wirklich und wahrhaftig die antike Mytho logie. Eros und Psyche sind der Gott und die Menschentochter und nicht etwa mythische Pseudonyme für moderne Gestalten. Ein Märchen, wenn auch voller tiefdeutender Gedanken. Der afrikanische Rhetor Apulejus (Anno 150 nach Christo) hat uns die Geschichte hinterlassen von dem Sohn der Aphrodite, der in Liebe zu Psyche, der Tochter des Königs Agenor, entbrannt war und sie wider den Willen der göttlichen Mutter, die der schönen Rivalin zürnte, zu seinem Weibe nahm. Psyche verscherzt das himmlische Glück, da sie, von Neugierde getrieben, mit der brennenden Lampe an das Lager des GotteS trat, den in seiner wirklichen Gestalt zu sehen den Menschenkindern nach ewiger Satzung verboten ist. Eros verschwindet, und Psyche macht in ihrem Unglück sich auf, ihn zu suchen. Aphrodite in ihrem Zorn legt ihr die schwersten Prüfungen auf. Die Liebessehnsucht der Psyche besteht sie alle. Endlich wird die Dulderin von Zeus in den Olymp ausgenommen und auf ewig mit dem Gatten vereint — Elsa, die ihren Lohengrin nach schwerer Prüfung wieder findet. nommen und in fünffüßigen Trochäen breitgeschlagen. Sein Epos mit den bekannten Thumannschen Illustrationen fristet noch sein Dasein als Geschenkwerk, aber es ist tot, tot wie die Mythologie, wie ein Makartsches Bild mit nachgedunkelten Farben. Das Gedicht H. G. Meyers lebt in allen Fasern, lebt wie nur der Marmor, von Meisterhand gebildet, leben kann. Es wird zu einem hohen Liede der Liebestreu wie das Gudrunlied und das Nibelungen-Epos. Nur fehlen die barbarischen Gräuel des germanischen Mittelalters, nur ist statt des düsteren Granits der milchweiße Marmor genommen. Frei und glücklich ist die Komposition des Gedichtes, keine sklavische Anlehnung an die Erzählung aus dem Altertum. In den germanischen Norden führt uns der erste Gesang zur Familie
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