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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.10.1910
- Strukturtyp
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- 1910-10-08
- Erscheinungsdatum
- 08.10.1910
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- Deutsch
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11706 Börsenblatt f, d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 234, 8. Oktober ISIS. Nichtamtlicher Teil, Schmutz und Schund in der Literatur. Referat, erstattet in der außerordentlichen Herbstversammlung des Verbandes der Kreis- und Ortsvereine am 23. September 19tS in Jena von Paul Nitschmann. Meine Herren Kollegen! Über Schmutz- und Schund literatur ist bereits unendlich viel gesprochen und geschrieben worden, in erster Linie von Pädagogen und Geistlichen, dann von Juristen, Verwaltungsbeamten, Literaten, Laien. Merk würdigerweise hat sich der Buchhandel erst in jüngster Zeit eingemischt in den Kampf gegen diese Seuche, der ihn im allergrößten Maße angeht. Diese Zurückhaltung des Buch handels hat in Pädogogenkreisen vielfach zu der Annahme geführt, daß auf tätige Beihilfe des Buchhandels im Kampfe gegen den Schmutz und Schund wohl nicht zu rechnen sei. Sehr mit Unrecht, wie ich meine. Der deutsche Buchhandel lehnt wohl fast ausnahmslos jede Gemeinschaft mit den Herstellern und Verbreitern wirklicher Schmutz- und Schund literatur ab, und wo Ausnahmefälle stallfinden, wird in der Regel Mangel an Verständnis und Ausklärung vor liegen. Es wird nicht ganz leicht sein, Ihnen, meine Herren Kollegen, im Rahmen eines nicht allzu laugen Referats Auf schluß zu geben über alles, was im Kampfe gegen den Schmutz und Schund in der Literatur bereits getan und versucht worden ist und was noch zu tun nötig und aus sichtsvoll erscheint. Zunächst möchte ich einmal eine strenge Trennung vornehmen zwischen Schmutz- und Schundliteratur, schon damit nicht, wie das häufig geschieht, die Begriffe ver mengt und dadurch gegeneinander verwischt werden. Unter Schmutzliteratur verstehen wir wohl ausnahmslos jene Literatur, die in Wort und Bild die Niedrigkeiten und Ab scheulichkeiten auf sexuellem Gebiete zum Gegenstände nimmt. Weniger leicht ist der Begriff der Schundliteratur zu definie ren. Ich möchte mich nicht unbedingt auf den Stand punkt jener stellen, die zu ihr auch etwa die süßlichen Backfischromane, die ungemein seichte sogenannte Reiselektüre rechnen wollen, überhaupt alles, was literarisch wertlos ist; wir würden da, fürchte ich, in der deutschen wie auch wohl in allen fremden Literaturen zu betrübenden Ergebnissen kommen. Unter Schundliteratur im engeren Sinne möchte ich erstens einmal jene sogenannten Kolportageromane ver standen wissen, die, literarisch ohne jeden Wert, in der Haupt sache Sensationen in widerlichster Art verwenden; dann aber, und das ist die schlimmere Schundliteratur, jene Geschichten und Abentcurererzählungen, die, ausschließlich für die Jugend berechnet, natürliche gesunde Triebe besonders unserer Knaben, wie Tatendrang, Enldccknngslust, Freude am Abenteuerlichen, in ungesunder, ich möchte sagen perverser Weise ausstacheln und wachpeilschcu, sodaß Verwilderung, Roheit, Brutalität, Verbrechen die beklagenswerten Folgen sind. Und wenn auch, wie mancher Bekämpser dieser Literatur meint, nicht immer das Verbrechen die Folge dieser schädlichen Lektüre ist, so wird doch mit unfehlbarer Sicherheit durch sie der gesunde Sinn verwirrt, der Geschmack verdorben und zur Ausnahme wirklich guter und gesunder Kost unsähig gemacht. Auch der Leserkreis der Schmutzliteratur aus der einen, des Schundes auf der anderen Seite ist ein ganz ver schiedener. Die Schmutzliteratur, meine Herren, die sich in den meisten Fällen durch exorbitante Preise auszeichnet, findet ihren Abnehmerkreis, mit Bedauern sei es gesagt, in unfern besten Gesellschaftsklassen, in den Kreisen der Ge bildeten und Wohlhabenden und wird da naturgemäß sehr geheim gehalten. Ins Volk, in die Jugend dringt sie Gott sei Dank äußerst selten, hauptsächlich weil die Strafbestim mungen der ZZ 184 und 184a des Strafgesetzbuches doch recht strenge sind und wohl allgemein gefürchtet werden, dann aber, weil sie, wie bereits angedeutet, in der Regel sehr teuer ist. Darum möchte ich annehmen, daß der Buchhandel in der Bekämpfung der Schmutzliteratur keine Lorbeeren wird ernten können. Die Kreise, in die diese teure pornographische Literatur auf Schleichwegen dringt, sind für unsere Be lehrung und Bevormundung gänzlich unzugänglich und würden unsere Einmischung als unerbeten ablehnen. Hier, glaube ich, reichen unsere gesetzlichen Bestimmungen aus, ich wäre nicht einmal für eine Verschärfung, da eine solche für Silt- lichkeitsfexe eine Handhabe bieten könnte, auch der wertvollen Literatur auf sexuellem und erotischem Gebiete zu Leibe zu rücken. Denn es ist nicht zweifelhaft, daß es solche Literatur gibt, die wir nicht beeinträchtigt zu sehen wünschen. Ganze Zeitalter werden uns oft erst verständlich im Spiegel ihrer ero tischen Literatur. Ich erinnere an das Settecenio Italiens und an das Zeitalter des Sonnenkönigs in Frankreich. Was gefordert werden könnte, wäre vielleicht eine Sach verständigenkommission aus Juristen, Buchhändlern und Literalen, der alle zweifelhaften Fälle vor Erhebung einer öffentlichen Klage vorgelegt werden könnten, um die Breit- tretung des Schmutzes und dadurch das Aufmerksammachen aus ihn zu vermeiden. Denn wir finden, daß die Breit- lretung in der Tagespresse bei jedem literarischen Prozesse ganz andere Folgen zeitigt, als angenommen werden sollte. Da in derartigen Berichten zumeist der Titel des bean standeten Buches, eine mehr oder minder ausführliche Inhalts angabe und der Name des Verlegers zu finden sind, so wird der Verleger in der Regel die Geldstrafe, auf die in den meisten Fällen erkannt wird, bald zehnfach ersetzt haben durch Bestellungen aus Kreisen, die auf seine Produkte erst auf merksam gemacht worden sind. Die Schwierigkeiten einer solchen Kommission kann man darin sehen, daß niemand in ihr wird sitzen wollen, denn wer vertrüge auf die Dauer eine stete Beschäftigung mit dieser Literatur? Was unbedingt gefordert und durchgesetzt werden muß, ist eine Vereinbarung der Regierungen, dahingehend, daß die Strafverfolgung eines Herstellers von wirklicher Schmutz literatur in seinem Heimatlande erfolgt, auch wenn die Ver breitung nur im Auslande stattgesunden hat. Denn beispiels weise sitzen diese Hersteller heute in Prag, Pest, Brussel, Lissabon ufrv., senden ihre Erzeugnisse über die Grenze, zumeist die deutsche, und bleiben straffrei, wenn sie in ihrem Heimatlande eine Verbreitung nicht vorgenommen haben. Ich weiß nicht, ob der Vorstand des Börsenvereins eine solche Anregung an die Reichsregierung bereits gegeben hat, sie würde, wenn sie vom deutschen Buchhandel ausginge, sicher Eindruck machen, besonders, wenn auf die ganz analogen Bestimmungen über die Bekämpfung des Mädchenhandels verwiesen würde. Ganz anders sind nun Leserkreis und Verbreitung der Schundliteratur, ungleich größer ist die durch sie heroor- gerufene Gefahr für unsere Jugend und Volksgesundheit. Die schlechten Kolportagervmane erscheinen bekanntlich in un geheuren Auflagen und bringen es auf hundert bis hundert- sünfjig Hefte zu je zehn Pfennig, das macht zehn bis fünfzehn Mark für einen sogenannten Roman, der von süß lichen Liebesabenteuern, von Mord und Totschlag trieft, und für dessen Anschaffungspreis man Schillers und Goethes Werke in guten, sauberen, gebundenen Ausgaben, also einen
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