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                    Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.05.1910
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 - Ausgabe
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 - 1910-05-07
 - Erscheinungsdatum
 - 07.05.1910
 - Sprache
 - Deutsch
 - Sammlungen
 - Saxonica
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 - LDP: Zeitungen
 - Digitalisat
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                              Nichtamtlicher Teil. 103, 7. Mai 1910. (Poferrr) es kennen lernen. Das könne aber unvollkommen geschehen durch Bücherlesen. Darum beschäftige sich auch die moderne Pädagogik mit Recht bereits in der Schule mit der Erziehung zum prak tischen Leben. Der Geist werde nicht mehr allein durch Lesen und Lernen exerziert; durch die Tätigkeit der Hände beim Pappen, Kneten, Formen, Schnitzen usw. werde der jugendliche Geist zum Nachdenken über die Arbeit des Handwerkers hingeleitet. Der moderne Mal- und Zeichenunterricht dränge mehr zum unmittel baren Schöpfen aus dem Leben und vermittle mehr als früher die Beobachtung der Natur. Darin liege seines Erachtens der Schwerpunkt. Durch weit mehr Betätigung als seither in der Natur, sei es durch zielbewußte praktische Arbeit in Schul gärten, sei es durch mehr oder weniger ausgedehnte instruk tive Wanderungen, sei es durch harmlose Spiele im Freien, sei die Jugend zu der Erkenntnis zu erziehen, daß das edelste und erhabenste Lehr- und Lesebuch für jung und alt die schöne Gottesnatur sei. (Abg. Günther: Sehr richtig!) Man solle doch die Jugend lehren ein Stückchen Erde umgraben, ein Samenkorn streuen und ein Bäumchen Pflanzen. (Sehr richtig!) Welche Fülle von Anregungen würde man damit der Jugend geben, wenn sie beobachten müßte, wie sich das Samenkorn langsam entwickle, wie das Bäumchen von Jahr zu Jahr größer werde und endlich Blüten und Früchte trage, wenn sie aber auch acht geben müsse auf alle Feinde in und über dem Erd boden, die herbeigekrochen und -geflogen kämen, um die Pflanze wieder zu vernichten! Ganz von selbst würde die Jugend da nach Schriften und Büchern greifen, die das Wissen auf diesen Gebieten bereicherten und ihr darüber Aufschluß gäben, wie die Natur schaffe und wirke, sie aber auch darüber aufkläre, wie die Natur in fremden Ländern aussehe. Was für die Kleinen tauge, das werde auch den Großen nützen, und da halte er dafür, daß es kein leeres Schlagwort sei, was man jetzt so oft höre: Zurück zur Natur! Das Wirken der Natur sei göttlich, und in ihr sei nichts gemein. Das Schaffen in ihr und die innige Fühlung mit ihr erhalte Geist und Körper gesund. Wer diese Erkenntnis in sich ausgenommen habe, werde auch aus sich selbst heraus immun sein gegen die schädlichen Einflüsse schlechter Literatur und falscher Kunst. Bei ihm sei das erreicht durch Erziehung, was durch Gesetzesparagraphen in solchem Maße jedenfalls nie werde erreicht werden könne. In den jüngsten Tagen sei in Dresden viel von einer neuen Erziehungsmethode gesprochen worden, von der Methode des Professors Dalcroze, der durch rhythmische Bewegungen und Übungen das ästhetische Empfinden und die Harmonie zwischen Geist und Körper zur Vollkommenheit entwickeln wolle. Auch dies sei als ein geeignetes Kampfesmittel anzusehen. Selbstverständlich werde man auch die erweiterte Hilfe der Gesetzgebung und der Polizei in Anspruch nehmen müssen. Es werde auch die Unterstellung der Kinematographen- theater unter die Reichsgewerbeordnung anzustreben sein. Man dürfe aber doch nicht vergessen, daß heute mit unseren voll kommenen technischen Einrichtungen und dem hochentwickelten Verkehrswesen polizeiliche und gesetzgeberische Maßnahmen sicher leicht unwirksam gemacht oder umgangen werden könnten. Es sei aber auch die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, daß bei einer zu großen Machtbefugnis der Polizei bei der Be urteilung literarischer und künstlerischer oder photographisch technischer Erzeugnisse eine nicht gewollte Unterbindung von Kunst und Literatur herbeigeführt werden könne. (Abgeordneter Fräß- dorf: Sehr richtig!) Kunst und Geschmack seien nicht beständig, und von der Polizei werde man nicht verlangen können, daß sie den Wandlungen mit Gefühl und Verständnis zu folgen immer im stande sei. Darum werde die Regierung bei der Beurteilung künstlerischer und literarischer Erzeugnisse den Polizeiorganen nicht zu weitgehende Machtbefugnisse zugestehen dürfen; solche Be urteilungen würden nur unter Hinzuziehung von Sachverständigen vorzunehmen sein. Aus dem Berichte der Ersten Kammer ersehe man, daß auch die Staatsregierung diesen Petitionen ein wohl wollendes Interesse entgegengebracht habe. Die Beschwerde- und Petitionsdeputation beantrage, die Kammer wolle in Übereinstimmung mit der Ersten Kammer beschließen: 1. die Petition des Volksbundes zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild in Berlin und die Petition des freimaurerischen Vereins »Fürsorge« in Dresden, betreffend die Vorführungen der Mutoskope und Kinematographen sowie die Ausstellung und den Verkauf anstößiger Schriften und Bilder, der Königlichen Staatsregierung zur Erwägung zu über weisen und 2. die anonyme Petition, denselben Gegenstand betreffend, wegen Anonymität auf Grund von § 23u der Landtags ordnung für unzulässig zu erklären. (Bravo!) Abgeordneter Keimling (soz.): Die Wünsche der Petenten bewegten sich nach zwei Richtungen. Sie verlangten erstens eine Bekämpfung der Schundliteratur, und zwar durch Verbot des Verkaufes respektive, wenn ein derartiges Verbot aus reichsgesetzlichen Gründen nicht angängig sei, durch Verbot der Auslegung und der Anpreisung der sogenannten Schund literatur. Sie verlangten weiter, daß von Gesetzes wegen oder durch irgendwelche andere Maßregeln die Kinematographen und Mutoskope energischer bekämpft würden, als das bis her geschehen sei. Es werde niemand im Hause sein, der die Notwendigkeit dieser Forderung nicht ohne weiteres anzu erkennen bereit sei. In der Tat sei ja die Frage der Schund literatur heute von allergrößter Bedeutung geworden, vr. Ernst Schulze, ein Hamburger Schriftsteller, berechne, daß Jahr für Jahr in Deutschland etwa 60 Millionen Mark an Schundliteratur umgesetzt würden. Sachverständige schätzten die Zahl der Roman händler noch heute auf 8000 selbständige Geschäftsleute und 30 000 Kolporteure. Speziell in Dresden seien eine Anzahl Firmen vor handen, die sich den Vertrieb und die Herstellung der Schund literatur zu eigen machten. Nach seiner Auffassung hätten die Nick Carter-Hefte rc., mit denen heute unsere Jugend in der Hauptsache gefüttert werde, keine geringere Verbreitung als die Hintertreppenromane, die von Haus zu Haus getragen würden. Die Bedeutung dieser Frage sei also unverkennbar. Die Wirkungen der Schundliteratur seien nach verschiedenen Richtungen festzustellen. Die Schundliteratur verderbe vor allem den Geschmack an guter Literatur, sie führe zu einer Überspannung der Phantasie und weiter zu einer Verwirrung des sittlichen Urteils. Die letzt genannte Wirkung komme zum Ausdruck in unserer Tagespresse und vor allem auch in unserer Justizstatistik. In Rixdorf bei Berlin sei im Dezember 1908 eine Diebes- und Einbrecherbande festgenommen worden, die aus 26 Schulknaben im Alter von 10 bis 14 Jahren bestanden habe. Diese Bande habe sich gebildet infolge der Lektüre von Nick Carter-Heften. Im Oktober 1909 sei im Schonergrund bei Dresden der Fleischerlehrling Höch er mordet worden. Der Mörder sei der 18^2jährige Dienstknecht Heinze gewesen, von dem in der Gerichtsverhandlung festgestellt worden sei, daß er zu der Tat vor allem geführt worden sei durch Lektüre von Schundlitertatur. Es seien in seiner Schlafkammer eine größere Anzahl Schundromanhefte (»Rinaldo Rinaldini«) und Hefte mit dem Titel »Die Schönheit des weiblichen Körpers« gefunden worden. Heinze habe zugegeben, daß er die Kolporteur gekauft habe; die anderen Hefte seien ihm von einem Mitknecht geschenkt worden. Es sei nun ohne Zweifel richtig, daß Heinze das Opfer der sozialen Zustände geworden sei, in denen er ausgewachsen sei. Sein Vater sei kurz nach seiner Ge burt gestorben, und seine Mutter habe sich aus Schwermut das Leben genommen. Er sei dann seinem Vormunde zur Erziehung überlassen worden. Da sei es sehr naheliegend, daß das Fehlen der Eltern eine nachteilige Wirkung gehabt habe auf den späteren Entwicklungsgang des Kindes. Und zu diesen Wirkungen sei noch die Lektüre der Schundliteratur gekommen, die den Menschen endgültig zum Verbrecher gemacht habe. Fast zu gleicher Zeit sei ein Mordprozeß in Leipzig verhandelt worden. Es habe sich da um den 21jährigen Zimmermann Georgi gehandelt, der den Oberregierungsrat Frhrn. v. Wöhrmann in dessen Wohnung er mordet hatte. Auch da sei in der Gerichtsverhandlung festgestellt worden, daß dieser junge Mann ein besonderer Liebhaber von Räubergeschichten gewesen sei. In einem Zeitungsbericht sei aus drücklich festgestellt worden, daß Georgi nicht nur alle möglichen Räubergeschichten verschlungen habe, sondern auch häufig in den Kinematographen gegangen sei und sich auf diese Weise all mählich an den Gedanken gewöhnt habe, jedem »eins vorn Kopp« zu geben, der sich ihm hindernd in den Weg stellen würde.
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