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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.01.1904
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- Erscheinungsdatum
- 16.01.1904
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- Deutsch
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508 Nichtamtlicher Teil. 12, 16. Januar 1904. seinen Lehren und Mahnungen (Paränesen und Maximen) in direktem Widerspruche stehen. Und daß die Neueren etwa gesitteter wären als die Alten, ist irrig. Zwar sagt schon Lichtenberg um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts: »Alles reformiert sich, Satire war ehemals Pasquill, und wo man heute sagt: erlauben Sie gütigst, schlug man einen vor alters hinter die Ohren.- Aber wenn man sür die Streitereien der Gelehrten ein offenes Auge hat, so wird man finden, daß die Neueren sich ebensowenig zu meistern geneigt sind als die Alten. Man braucht nur die Polemiken zu lesen, die sich in den wissenschaftlichen Fachblättern, in Vor reden und Nachworten finden. Herbert Spencer hat in seinem Werke über das Studium der Soziologie im 7. Kapitel des 1. Bandes der Erregung als Hemmnis der reinen Erkenntnis eine ausführliche Dar legung gewidmet. Er sagt, daß Gefühle der Liebe und des Hasses rationelle Urteile in öffentlichen wie Privatangelegen heiten unmöglich machen, und sllgt hinzu: man kann dies klar genug an andern, wenn auch nicht so klar an sich selbst sehen. -Vollständig ausgedrückt ist die Wahrheit die, daß keine Behauptungen, außer denen die uns völlig gleich gültig sind, sei es unmittelbar oder entfernt, ohne Vorliebe und Widerwillen betrachtet werden können, wodurch die Meinung, die man sich von ihnen bildet, beeinflußt wird. Erregte Gefühle lassen uns die Wahrscheinlichkeit, und sie lassen uns die Wichtigkeit falsch schätzen.« Das ist ganz richtig: allein die Frage ist, wieweit der Erregte sein Gefühl im Zaum hat und sich durch den bloßen Vorsatz nötigt, seiner Empfindung Meister zu sein. Im all gemeinen kann man sagen, daß z. B. ein aufgeregter Astronom keine genauen Messungen vornehmen wird; daß ein Chemiker mit bewegtem Gemüt keine guten Analysen machen kann, daß ein zorniger Richter Recht und Unrecht genau zu wägen nicht imstande sein wird. Allein die Frage ist, ob jene Gelehrten wirkliche Forscher, Wahrheitsbekenner oder Dok trinäre, Zeloten, Rechthaber sind. Der Astronom kontrolliert alle seine Passungen, besonders aber die, denen er nicht ganz traut. Der Chemiker wird ebenso, um nicht irre zu gehn, seine Analysen wiederholen. Und der gerechte Richter wird, wenn sein Zorn verraucht ist, die Beurteilung seines Falls mit kaltem Blute neu vornehmen, alle Gegengründe prüfen nnd sich so den Namen des gerechten Richters erst verdienen. Lessing, der wegen seiner lebhaften Polemik sehr bekannt ist, war bei allem Temperament einer der kaltblütigsten Analytiker. Niemals schob seine Empfindung den Intellekt beiseite; er sagt auch von sich: Ich wollte nicht gerne, daß jemand in der Welt wäre, der sich lieber belehren ließe als ich. Ja, sprächen nur alle Gelehrten so! Indessen woher kommen denn die wilden Schimpfereien? Doch nur daher, daß die Gründe erschöpft sind und nun das cur tel sst mou plaisir, sie vvlo sio jubeo eintritt. Sich belehre» lassen, er fordert Selbstüberwindung: der schwerste Kampf, den es gibt. Zu sagen: »ich habe mich geirrt« erfordert nicht nur Einsicht, sondern auch Charakter. Wenn also ein junger Gelehrter mit neuen Ideen auf- tritt, so ist es sehr die Frage, ob die Charaktere der Fach- genofsen überhaupt eine gerechte Beurteilung zulassen. Diejenigen, die meinen, so viel Objektivität müßte doch immer vorhanden sein, daß eine gerechte Beurteilung bei Universitätslehrern sich immer von selbst einstellen müßte, kennen den Lauf der Welt nicht. Im Jahre 1837 wurden in Götiingcn sieben Professoren von der Hochschule verjagt, weil sie den Verfassungsbruch des Königs Ernst August nicht gutheißen konnten. Unter diesen mar Jakob Grimm, der seinen Standpunkt in einer Abhandlung: »Über meine Ent lassung« dargelegt hat. Die Schrift trägt, das Motto: war fint die eide kamen? Sein Charakter und der seiner sechs Genossen ließ den Eidbruch nicht zu. Jakob Grimm erzählt, wie zuerst eine allgemeine Empörung ausgebrochcn sei, wie dann aber nach und nach »die Charaktere sich entblätterten« und schließlich von den Protestlern nur noch sieben übrig blieben. Es gehörte freilich Mut dazu, einem König zu sagen: Du mußt deinen Eid halten. Diesen Mut hatten damals von den Göttinger Professoren nur sieben — nein so dürfen wir nicht sprechen! Es ivaren wirklich sieben, eine ungeheuere Zahl, die offen einem König widerstanden. So tapfer war man damals. Die andern duckten unter, schwiegen, lächelten und ließen fünf gerade sein. Na, es ist ja »mensch lich«; aber wer möchte in die Hände solcher Richter fallen! Es gibt eben zwei Arten von Gelehrten: solche, deren Wille so stark ist, daß sie sich durch gute Gründe über zeugen lassen, weil ihr Charakter es zuläßt, einzugestehen: ich habe mich geirrt. Diese Klasse ist die Prima. Die andre Klasse ist auf eine bestimmte Meinung eingeschworen und neigt gern dazu, in Sachen der Wissenschaft die Wahrheit durch Abstimmung fcstzustellen. Sie ersetzt oftmals durch Ingrimm und Hochmut, was ihr an geistiger Energie abgeht. Das sind die, die mit besonderer Vorliebe den -Fachmann« hcrvorkehren, den Kastengeist wie einen Schutzpanzer anlegen und besonders gern das Wort Banause gebrauchen, so wie die Griechen ehemals das Wort »Barbar» anwendeten für alles, was nicht griechisch war. Die Frage ist nun: ist das Schicksal eines Manuskripts in den Händen der Fachgelehrten besser aufgehoben als in denen eines Verlegers? Der Verleger sieht es gern, wenn ein Buch Staub aufwirbelt — den Staub, der sich bei Wind stille langsam niedersenkt. Der Gelehrte zweiter Klasse da gegen, der eine Meinung wie ein Dogma festgehalten zu sehen wünscht, sieht ungern eine» frischen Luftzug, der zu erneuter Prüfung aufforderl. Er nimmt gern Rücksichten auf seine nähern Kollegen und ist leicht bereit, auch sonst Rücksichten walten zu lassen. Ein solcher Kompromiß gelehrter wird ungern gegen einen seiner Parteimänner anftreten, auch dann nicht, wenn er sieht, daß durch dessen Irrtum Schaden angerichtet wird, durch seine Übereilung Unrecht ge schieht. Er wird nicht sagen wie Luther: Hier stehe ich, ich kann nicht anders! sondern er wird schweigen und nur denken: Hier stehe ich nicht, ich kann aber auch anders. Doch was soll ich diese beiden Klassen von Gelehrten noch lange schildern, da sie doch längst unübertrefflich geschildert sind! Nämlich von dem Universitätsprofessor Friedrich von Schiller in seiner Antrittsvorlesung: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Dort nennt Schiller den Freien, den Tapferen, den Freund der Wahrheit, den Ge nossen der sieben Göttinger: den philosophischen Kopf. Und den andern, den Abhängigen, den Vorsichtigen, den Freund der Kompromisse kennzeichnet er mit dem Ausdruck: der Brotgelehrte. Daß die Fachgelehrten durchaus nicht immer die rich tige Witterung haben, geht aus mancherlei Tatsachen hervor. Man denke z. B. an die Anfänge des jetzt so wohl akkreditierten Schliemann. Über diesen schrieb ein von der Archäologie zur Kunstgeschichte übergegangener Fachmann im Jahre 1874: ein Werk neuesten Datums mit geschickterer Reklame ins Werk gesetzt und deshalb auch kaum eines vom größern Publikum mit mehr Spannung erwartet worden als die Schlicmannschc Publikation. Doch setzen wir cs nur gleich hinzu: auch darin dürste dieser photographisch-illustrierte Fundbcricht des glücklichen Entdeckers von Hekubas Kofferschlüssel, der in ihrer Art gewiß nicht ganz unverdicnstlichcn biographischen Leistung des dahin- geschicdcnen Imperators ähnlich werden, daß nach wenigen Monaten schon kein Hahn mehr danach krähen wird. In
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