13090 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Künftig erscheinende Bücher. ^ 253. 30. Oktober 1909 Die Woche schreibt: Eine Bilanz der dcuischcn Kultur von heute zu ziehen, mag als gigantisches Werk erscheinen. Fritz Berolzheimer, der bekannte Rechtsphilosoph und Nallonalokomnn, der so wagemutig an diese Aufgabe herantritt, bringt drei treffliche Eigenschaften mit: die Gabe, scheinbar Verworrenes schnell und sicher zu überblicken, alle Ausdrucks,armen der Kultur ohne Leidenschaft zu bewerten und, was er sieht, und wie er es sieht, in klaren, knappen Bild. rn feftzuhaltcn. Diese Vorzüge des Verfassers werden von einer ausgesprochen positiven, lebensbejahenden Weltanschauung getragen; er sieht i» unserem so widerspruchs vollen Getriebe das Drängen »ach neuem Inhalt, nach neuen Idealen und ist überzeugt, daß die dcutsche Kulturdämmerung den Anbruch einer glücklicheren Zeit bedeutet. Berolzheimer teilt seinen Stoff in fünf große Kuppen ein: Politik und Wirtschaft, Wissenschaft, Literatur und Presse, die schönen Künste, Gesellschaft. Es ist erstaunlich, wie fest der Verfasser bei seinem kühnen Ritt durch die Gegenwarts- kultur im Sattel sitzt; wie gut er es versteht, dem Leser selbst solche trockenen Themen wie das der volkswirtschaftlichen Probleme schmackhaft zu machen. Er ist kein Eiferer, kein eingeschworener Partei- mensch; sein Urteil klingt milde und verbindlich selbst da, wo er verurteilt. Alles in allem, ein un- gewöhnlich interessantes, flott geschriebenes Buch, unterhaltend und anregend, wo man es auch auf schlagen mag; ein Buch, aus de», inan eine Menge Dinge lernt, ohne einen Augenblick das Gefühl zu haben, geflissentlich belehrt zu werden. Victor Ottmann. Der Literarische Ratgeber schreibt: Man mutz einfach staunen über die Universalität des Kulturphilosophen Dr Fritz Berolzheimer bei seiner kritischen Bearbeitung aller Erscheinungen des geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens der deutschen Gegenwart. Politik und Wirtschaftsleben, alle Wissenschaften, Literatur und Presse, bildende Kunst, Musik und Theater, und schließlich im 5. Buche die Gesellschaft (die deutsche Frau und die Frauenfrage samt literarischen Vorkämprerinncn, Erziehung und Bildung, Sport und Temperenz und endlich Sittlichkeit und Verbrechen) mit gleicher Sachkenntnis zu bearbeiten, überall zu belebren und Individuelles zu geben, ohne je nach der Schablone anderer zu zeichnen: das ist eine bewunderungswürdige Leistung. Verfasser gibt nicht nur eine Darstellung der neuesten Entwicklung auf allen genannten Gebieten, sondern auch Charakterbilder und knappe Biographien der hervorragendsten Persönlichkeiten neben ihren Porträts. Eingehend und interessant ist die Würdigung Kaiser Wilhelms ll. Aber auch Bülow und Bassermann, Dernburg und Bebel, Ad. Wagner und Nietzsche, Mommsen und Äelmholtz, E. Nathenau und G. von Siemens, Gerhart Lauptmann und Clara Viebig und eine schier unübersehbare Reihe anderer Charakterköpfe tauchen vor uns auf. Am lehrreichsten sind die Zusammenfassungen und Ausblicke in die Zukunft. So charakterisiert B. das politische Deutschland als ein Reich, das wohl ein Kaisertum hat, aber dennoch kein Kaisertum ist. Seinem inneren Kern nach ist Neudeutschland eine Demokratie mit einem Kaiser an der Spitze S. 210: „Die Deutschen von heute sind nicht mehr das Volk der Dichter und Denker, vielmehr das Volk der Ingenieure und Techniker". — Lervorzuheben sind noch die knappe Form der Darstellung, die auf eine eindringende Beherrschung des Stoffes zurückzufuhren ist, und der große leicht lesbare Druck. — Ein Buch für die gebildete deutsche und ausländische Welt, was eine baldige Übersetzung in die Kultursprachen bedingt und das in keiner Bibliothek fehlen sollte. be. Rudolstadt. L. Wolfs-Abend roth. - und Hunderte werden folgen.