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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.07.1896
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1896-07-02
- Erscheinungsdatum
- 02.07.1896
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- Deutsch
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Nichtamtlicher Teil. Forderungen der Leser und der Bibliotheken an die Verleger. Unter der vorstehenden Uebcrschrift schrieb Herr Professor Eduard Ney er in Wien den nachfolgenden Artikel in Nr. 35 der »Nation« vom 30. Mai d. I (Berlin, H. S. Hermann), den wir mit gefällig erteilter Erlaubnis der Herren Verfasser und Verleger gern hier wiedergeben: Vielfach wird behauptet, jedes literarische Produkt finde sein Publikum, wenn es nur halbwegs unterhaltend oder- aufregend geschrieben sei. Vielbändige Sensationsromane und obscöne Produkte werden gelesen, armselige Erfindung und Sprache, schlechte Charakteristik und sinnlose Handlung können durch eine genügende Dosis Sensation mettgemacht werden; viele Leser nehmen auch schlechten Druck und erbärmliches Papier mit in Kauf, wenn das betreffende Produkt nur billig sei. Die Richtigkeit dieser Behauptungen geben wir nur be dingungsweise zu. Für kurze Zeit kann allerdings ein schlechtes Produkt auf dem Markte erhalten werden. Ueberblickt man aber längere Zeiträume, so findet man, daß doch das bessere und wertvollste schließlich im Kampf ums Dasein den Sieg davon trägt. Mag das Unkraut auch zeitlich und örtlich so wuchern, daß man am Aufkommen der jungen Bäumchen verzweifelt — über Jahr und Tag behaupten doch die letz teren das Feld und das Unkraut stirbt in ihrem Schatten ab. Offenbar hat das lesende Publikum im Laufe der Jahre sich doch ein Urteil gebildet, es verlangt die schlechten Pro dukte nicht mehr, und die Reklame, die dem Popanz an fänglich ein Scheinleben eingeflößt, ist nicht imstande, das ab gestorbene wieder zu beleben. Dieser langsame Prozeß kann durch das Eingreifen maß gebender Faktoren beschleunigt werden, ja, eS kann erreicht werden, daß das schlechte Werk gar nicht ins Leben tritt. Eine einsichtsvolle Kritik kann in dieser Beziehung viel erreichen; noch maßgebender ist es, wenn die großen Käufer von vornherein gewisse Produkte ablehnen. Das Litterarische Institut Mudie in London, das viele hundert, ja tausend Exemplare eines Werkes kauft, befolgt seit Jahren die Maxime, keine obscönen Werke, keine Sensationsromane niederer Sorte, keine vielbändigen Romane zu erwerben, und die Verleger, die mit diesem großen Abnehmer rechnen müssen, lehnen demgemäß den Verlag derartiger Werke ab. In gleicher Weise haben unsere großen litterarischen Institute Borstell in Ber lin und Last in Wien die litterarische Produktion günstig be einflußt, während die kleinen Leihbibliotheken der alten Aera bekanntlich im gegenteiligen Sinne wirkten, indem sie dem schlechten Geschmack und Gelüste die weitgehendsten Konzes sionen machten. Ferner sind als einflußreiche Faktoren zu nennen die Referenten für Schulbibliotheken, doch scheinen sie uns in manchen Fällen (speziell in Preußen) den patriotischen Standpunkt in einer Weise zu vertreten, die einiger maßen an französischen Chauvinismus erinnert, während anderseits der Krieg gegen das sensationelle Element so er bittert geführt wird, daß die betreffenden Jugendschriften ungenießbar langweilig werden. Eine derartige Beein flussung der Litteratur verfehlt selbstverständlich ihren Zweck, denn die jungen Leute lassen eben die Bücher ungelesen. Die meisten Schülerbibliotheken vermeiden es wohlweislich, eine Benutzungsstatistik zu veröffentlichen; die Zahlen würden in vielen Füllen kein günstiges Zeugnis für die betreffende Schulverwaltung ablegen. Ungleich größeren* universellen Einfluß auf die litte rarische Produktion werden die Volksbibliotheken ge- Dntmidjechzisiirr Zahlung. winnen, wenn ihnen nach dem Plane eines vr. Nörrcn- berg jene Organisation und jene finanzielle Kräftigung zu teil wird, die diese Bildungsinstitute so sehr bedürfen und verdienen. Endlich erwähne ich den Einfluß der zwei mächtigsten Korporationen: Staat und Kirche. Gewisse Personen und Parteien verlangen, daß der Staat eine Censur ausübe, doch scheint mir, daß alle vorliegenden Erfahrungen gegen diese Maßregel sprechen. Der Staat unterdrückt gewisse Schriften, die den herrschenden Klassen antipathisch sind, in Staaten mit einer einheitlichen Konfession unterstützt die Staatsgewalt wohl auch die betreffende Konfession durch eine entsprechende Censur. Ein maßgebendes Urteil über den litterarischen und ethischen- Wert eines Buches können wir aber vom staatlichen Censor nicht erwarten und müssen deshalb die Einmischung des Staates in dieser Beziehung natürlich ablehnen. Einen namhaften Einfluß auf die litterarische Produktion haben die streng konfessionellen Leser und Autoritäten. Wir erinnern nur daran, daß der katholische Borromäus- verein, der 55 000 Mitglieder zählt, in einem Jahre nahezu Million Mark eingenommen und allein für katholische Volksbibliotheken 42 000 Mark ausgegeben hat. In zwei Beziehungen verfolgen die orthodox protestanti schen sowie die katholischen Autoritäten gesunde Gesichtspunkte: sie drängen das sensationelle Element zurück und machen Front gegen jene geradezu neuropathologische Behandlung des Liebeslebens, die in unserer Tageslitteratur sich breit macht; die klerikale Partei vertritt überdies neuerlich den Standpunkt: die Jugend- und Volksschriften müssen so unter haltend geschrieben sein, daß die Leute sie gerne lesen. Es ist kein Zweifel, daß die Befolgung des letzteren klugen Prin- zipes viel dazu beigetragen hat, den Einfluß der klerikalen Lektüre insbesondere auf dem Lande zu heben.*) Für die litterarische Produktion im großen dürften aber die ländlichen Pfarr- und die konfessionellen Volksbibliothcken wohl nie schwer ins Gewicht fallen, weil das Landvolk im allgemeinen ein geringes Lesebedürfnis hat. Der große Konsum litterarischer Produkte wird auch in der fernen Zukunft auf die Bevölkerung der Städte entfallen, und hier wird die parteilose Volksbibliothek, die den mannigfachen Ansprüchen gerecht wird, zur Herrschaft kommen. Diese Behauptung ist nicht etwa nur Hypothese, sie stützt sich auf die Erfahrung. In den Ländern, die uns in Bezug auf Volksbiblio theken u. a. Institute der erweiterten Volksbildung weit über legen sind (England, Amerika), haben die Strenggläubigen verschiedener Konfessionen keine Auslagen gescheut, um ihre Weltanschauung durch billige Volksschriften und durch kon fessionelle Büchereien zu verbreiten, und doch sind jene Biblio theken im Laufe weniger Dezennien zur Bedeutungslosigkeit herabgcsuuken, weil sie nur von einem Bruchteil der Bevölke rung unterstützt und benutzt wurden. Die parteilose Volks- bibliothck aber, die allen Parteien und Konfessionen gerecht wird, hat allerorts die Herrschaft errungen. Die Orthodoxen haben den Kampf aufgegeben und finden schließlich, daß die stark besuchte Volksbibliothck, die auch orthodoxe Werke in reicher Auswahl bietet, zweckdienlicher ist, als eine dürftige konfessionelle Bibliothek, in der die Bücher ungelesen vergilben. Sobald die Volksbibliothek bei uns jene Stellung errungen *) Die Lektüre, die von orthodox protestantischen Korpo rationen geboten wird, hat keinen so spezifischen und exklusiven Charakter und beeinflußt den betreffenden Leserkreis weniger intensiv. 535
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