^ 117, 21. Mai 1908. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt s. b. Dlschn. Buchhandel. 8711 Verlag von Egon Fleische! 6c Co., Berlin Wir versandten Rundschreiben über folgende Neuheiten, die demnächst erscheinen werden: Die Sünde an den Kindern Eines Schulmeisters Leben, Sterben und Fahrt in das Allherz von Walter Harlan Preis geheftet M. 5.—; gebunden M. 6.—- Dieser großangelegte Roman behandelt in der Lebensgeschichte eines ketzerisch ge- sonnenen und folglich abgesägten Schulmeisters den Gedanken des Diogenes „Nur aus Unvernunft ist man unglücklich" — religiös ausgedrückt: Wer seinem Gewissen folgt, dem kann alle Absägerei, dem können alle Schicksalsschläge gar nichts anhaben, er ist selig von Stund an. — Harlans Buch will zwar das Christentum aus der Zwangs jacke des apostolischen Glaubensbekenntnisses und alles Mirakelglaubens erlösen, es bleibt aber ein christliches Buch, weil es am Kern des Christentums festhält, daß wir „Gott lieben" sollen, das heißt, daß es Gottes Zwecke sind, um derentwillen wir alle arbeiten. — Unmöglich ist cs, in Siebenmeilenstiefeln die buntbewegte, gedankenstrotzende Dichtung zu durchlaufen, die wohl — ein Evangelium sein will, im gleichen Sinne wie jedes andere Evangelium. Es mag nur bemerkt werden, daß es sich nicht etwa um eine weinerliche Schulmeistertragödie handelt, sondern eher um ein Lustspiel, im gleichen Sinne wie Dantes Commedia. Denn einen echten, am reissten Wissen des zwanzigsten Jahrhunderts gesättigten Diogenes-Humor hat dieser Schulmeister und Märtyrer, einen allmächtigen Humor, den Humor aus der Höhe. — Harlans Buch wird voraussichtlich in den weitesten Kreisen erklärliches Aufsehen machen, besonders bei Theologen und Lehrern. Wir bitten, sich rechtzeitig Exemplare zu sichern. Die Roman von Auguste Hauschner Preis geheftet M. 6.— ; gebunden M. 7.50 Der Schauplatz des Romans ist Prag. Er beginnt kurz nach der Beendigung des Krieges von 1870. Deutschlands Einigung hat die Völkerideale umgewertet, die kosmo politische Idee ist in Verruf geraten, an ihre Stelle tritt der Nationalttäts- ge danke. In Österreich zerren die Völkerschaften an dem Band, mit dem die zentra listische Regierung das Stammgemengsel aneinander preßt, und die Kämpfe um die nationalen Reckte und die Muttersprache, durch Jahrhunderte von der Macht des Stärkeren zurückgchaiten, lodern heftig auf. Diese Zeit, in der die Jugend, ohne Stirners Lehre vom Solipsismus dem Wortlaut nach zu kennen, doch bereits unter seinem Einfluß steht, in der Nietzsche seine Pfeile gegen die Überschätzung der Historie schleudert, diese Zeit ist aus einer Anschauung heraus geschildert, die jedes Individuum in unlöslichen Zusammenhängen mit seiner Art und Gattung sieht. Der jedes kreatür- liche Geschehen nur in seinen Zufallsäußerungen dem Gesetz von Ursache und Wirkung unterworfen scheint, in seinem Tiefsten und Verborgensten jedoch an die Kette der Notwendigkeit geschmiedet. An diese Kette sind alle Menschen des Romans geschlossen, Deutsche, Tschechen, Juden, Christen. Ein jüdisches Geschwisterpaar ist in den Mittelpunkt geschoben. Das Mädchen, vierfach belastet von Rasse, Weibtum, Familiengeist und kleinstädtischer Sitte, der Knabe in offener Empörung gegen Druck und Enge, die Ungerechtigkeit des Lebens und die Widersprüche in der eigenen Natur. Die Vorgänge in Schule, Politik und Familie sind in den Reflexen aufgefangen, die sie in die Gemüter der Geschwister werfen. Und hinter ihnen steht die mittelalterliche Stadt in ihrer Schönheit, das Ruhende im Wechsel der Erscheinung. Die Liebe der Verfasserin zu ihrer wundervollen Vaterstadt spricht aus den Seiten des Romans, ihr Streben zu historischer Gerechtigkeit. Und der Wunsch, ihre Stimme in den Chor derjenigen zu mischen, die der Menschheit rufen: Hört nicht auf zu kämpfenl Kampf ist Leben. Aber laßt die großen Worte. Bekennt euch zu euren Menschlichkeiten und zu euren Zwecken. Bedenkt, daß unsere Einsichten von heute morgen Lügen heißen werden, daß nur eine Wahrheit uns gegeben ist, die relative, und nur eine Möglichkeit sie auszudrücken: die Ehrlichkeit der Überzeugung.